Buchvorstellung: Die 50er Jahre im Landkreis Dachau
„Was ist mit den 60ern? Was ist mit den 70ern? Das ganze Projekt schreit nach Fortsetzung.“
Der Historiker Wilhelm Liebhart denkt schon in die Zukunft, als er seinen Beitrag für das von Annegret Braun herausgegebene Buch „Die 50er Jahre im Landkreis Dachau. Wirtschaftswunder und Verdrängung.“ am 16. Mai 2018 in Hebertshausen vorstellt.
Die Publikum, darunter viele Autorinnen und Autoren des vorgestellten Bands und Mitwirkende der Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau, schließt sich dieser Feststellung nur zu gern an. Die Vielfalt des vorgelegten Sammelbands und die Entdeckerfreude der beteiligten Geschichtsforscher spiegelt sich in den Vorträgen.
Der Aufsatz von Sabine Gerhardus wertet Akten des Gesundheitsamts Dachau aus, die im Rahmen von Endschädigungsverfahren von NS-Verfolgten angelegt wurden. Da die Autorin verhindert ist, liest Herausgeberin Annegret Braun einen Teil ihres Textes vor. „Die Beurteilungspraxis durch die Gesundheitsämter war sicher nur ein Steinchen im Mosaik der Verdrängung.“, fasst Gerhardus zusammen.
Markus Erhorn beschäftigt sich in seinem Beitrag mit „Gesellschaft, Kultur und Politik in der Stadt Dachau“. Nicht zuletzt wird deutlich, dass so manches Ereignis der 50er Jahre auch den bayerischen Landtag beschäftigte.
Heide Bossert gibt ihr Zeitzeugeninterview mit Werner Kopp über Hebertshausen in den 50er Jahren im Dachauer Dialekt wieder. Ihr ist es gelungen, die Mundart auch in der Verschriftlichung beizubehalten und die Veranstaltungsbesucher freuen sich über den lebendigen Vortrag. Ob jeder alles verstanden hat?
Grußworte von Schirmherr und Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler, Landrat Stefan Löwl und des Hebertshausener Bürgermeisters Richard Reischl begleiten das Buch beim Start. Reihenherausgeber Bernhard Schossig erzählt, über welche Wege und Umwege die Bücher der Geschichtswerkstatt ihren Weg in die „Dachauer Diskurse“ des Herbert Utz-Verlag fanden. Annerose Stanglmayr vom Dachauer Forum dankt allen Beteiligten für die tatkräftige Unterstützung und veranschaulicht, was es alles braucht, um 600 Seiten Landkreisgeschichte zwischen zwei Buchdeckel zu bannen.
Und wer hätte sich träumen lassen, Elvis höchstpersönlich an diesem Abend in Hebertshausen zu begegnen?
Annegret Braun (Hg.): Die 50er Jahre im Landkreis Dachau. Wirtschaftswunder und Verdrängung. Herbert Utz Verlag München 2018. (= Dachauer Diskurse. Beiträge zur Zeitgeschichte und zur historisch-politischen Bildung. Bd. 9. Hg. von Nina Ritz, Bernhard Schoßig und Robert Sigel.)
Fotos von der Buchvorstellung
(17.5.18; Text und Fotos: Irene Stuiber)
11. Mai 2018
Peter Mreijen stellt Gedächtnisblatt zu Henk Zanoli fertig
Am 22. März hat Geschichtslehrer Peter Mreijen das Gedächtnisblatt über Henk Zanoli vorgestellt. Damit hat er die Arbeit vollendet, die zwei seiner Schülerinnen im Het Baarnsch Lyceum, Sophie Pelzer und Sophia Hoek, 2015 angefangen haben.
Familie Zanoli
Dass die beiden Schülerinnen das Gedächtnisblatt nicht selbst fertigstellen konnten, lag vor allem daran, dass ihr geplantes Zeitzeugeninterview mit einem bereits 92 jährigen Sohn von Henk Zanoli leider niemals stattfinden konnte. Er wurde krank und wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er einige Zeit später starb. Peter, der einen guten Kontakt zu Henk Zanolis Enkeltochter Joani Zanoli hat, fand es wichtig, die Arbeit doch noch zu vollenden. Joani Zanoli unterzeichnete das Gedächtnisblatt ihres Großvaters im Namen der Familie.
Joani und Peter im April 2018
Henk Zanoli wurde am 10. Juli 1896 in Hilversum in den Niederlanden geboren. Henk war ein überzeugter Anarcho-Syndikalist, der sich als selbstständiger Rechtsberater für die sozial Schwächeren einsetzte. Während der deutschen Besatzung wohnte er mit seiner Frau Johanna und sechs Kindern in Laren. Als im Juni 1941 der Angriff auf die Sowjetunion stattfand, wurde er im Zuge der CPN-Aktion verhaftet. Ziel dieser Verhaftungswelle war es, möglichen Widerstand von links zu eliminieren. Henk kam über die Polizeilichen Durchgangslager Schoorl und Amersfoort in die Konzentrationslager Neuengamme, Dachau, Majdanek, Auschwitz und schließlich nach Mauthausen, wo er im Februar 1945 starb.
Nach der Präsentation des Gedächtnisblatts am 22. März 2018 in Dachau fuhr Peter Mreijen nach Mauthausen. Hier ließ sich ziemlich genau feststellen, wo Henk Zanoli nach der Ankunft des Todesmarsches aus Auschwitz gestorben sein muss. Auch fand Peter Zanolis Namen auf zwei Denkmälern auf dem ehemaligen KZ-Gelände: auf dem Denkmal für die Niederländer, die in Mauthausen umgekommen sind, und im Raum der Namen, wo die Namen von allen KZ-Opfern erwähnt werden. Für die Familie machte Peter Fotos davon, um zu zeigen, dass an Henk Zanoli nicht nur in Dachau, sondern auch in Mauthausen gedacht wird.
(11.5.2018; Text: Jos Sinnema)
4. Mai 2018
Ausstellungseröffnung in Dachau: Ein Projekt, das etwas mit uns macht
Deutlich spürbar war die enge Verbindung zwischen dem Ehrengast und Dachau-Überlebenden Ernst Sillem und der Rednerin Sydney Weith bei der Ausstellungseröffnung in Dachau am 27. April 2018. Die KZ-Gedenkstätte Dachau zeigt die nächsten zwölf Monate die Sonderausstellung „Namen statt Nummern. Niederländische politische Häftlinge im KZ-Dachau.“
Rednerin Sydney Weith, in der Bildmitte Ehrengast Ernst Sillem
Die heute 21jährige Sydney Weith schrieb vor fünf Jahren ein Gedächtnisblatt über Ernst Sillem, geblieben ist eine Freundschaft zwischen dem ehemaligen Häftling und der jungen Frau. Ernst Sillem besuchte, genauso wie Sydney 70 Jahre später, das Het Baarnsch Lyceum. Aber, so Sydney: „Es gab einen großen Unterschied: Es war nicht 2013, sondern 1941. Krieg. Die Deutschen waren in den Niederlanden einmarschiert und Ernst begriff nicht, dass ein befreundetes Land so etwas tun konnte. Daher wollte er aktiv werden.“ Ernst Sillem malte antideutsche Parolen an die Wände des Gymnasiums. Trotz umfangreicher Ermittlungen fand die Polizei nicht heraus, wer der Täter war. Sydney erzählt: „Außerdem hatte er mit dieser Aktion der Schule zu einer Woche Ferien verholfen. Wie er es selbst beschreibt: Es waren seine Glanzjahre.“
Wie es kam, dass Ernst Sillem doch als Gefangener in deutschen Konzentrationslagern und auch im KZ-Dachau landete, erzählt die Ausstellung und das von Sydney Weith verfasste Gedächtnisblatt. Sydney sagt heute: „Ich hatte nie erwartet, dass „Namen statt Nummern“ mich so lange beschäftigen würde.“ Aber es kam anders: „Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, und ich stelle fest, dass „Namen statt Nummern“ für mich etwas ist, das nie zu Ende gehen wird.“
Der niederländische Generalkonsul Peter Vermeij freute sich, die „klug zusammengestellte und sehr beeindruckende Ausstellung“ eröffnen zu dürfen. Das damit verbundene Lern- und Biographieprojekt habe bei allen Beteiligten tiefe Spuren hinterlassen. „Ein Projekt, das etwas mit uns macht.“, betonte Vermeij beeindruckt. Er zitierte aus den Schlussfolgerungen der jugendlichen Autorinnen und Autoren: „Ich habe erlebt, wie sehr diese hässlichen Erfahrungen sein Leben prägten und wie sich das in die jetzige Generation fortsetzt.“, zitierte Vermeij einen Projektteilnehmer. Eine weiteres Zitat: „Ich bewundere seine positive Lebenserfahrung.“, meinte eine Autorin. Ein besonderes Dankeschön richtete Vermeij an die beteiligten Dachau-Überlebenden: „Darüber zu sprechen und solche schrecklichen Erfahrungen mit jungen Menschen zu teilen, ist nicht selbstverständlich.“
Zu Beginn der Veranstaltung hatte Gedenkstellenleiterin Gabriele Hammermann einen Überblick über die Gesamtzahl niederländischer Gefangener in deutschen Konzentrationslagern und deren Zugehörigkeiten gegeben.
„Briefe wie kleine Funken“
Wie kam es zum Gedächtnisbuchprojekt in den Niederlanden? Ein zufälliger Blick in ein Schaufenster gab Jos Sinnema den Anstoß, sich mit der Geschichte des Dachau-Häftlings Karel Horais zu beschäftigen: In der Auslage stand ein im KZ-Dachau geschriebener Brief von Karel Horais zum Verkauf. Sinnemas Recherchen führten ihn ins Archiv der Gedenkstätte, dort erhielt er einen Hinweis auf das Gedächtnisbuch.
Nicht zuletzt seine Erfahrungen bei der alljährlichen Gedächtnisbuchpräsentation am 22. März motivierten Jos Sinnema zur ehrenamtlichen Mitarbeit am Gedächtnisbuch, sie brachten ihn dazu, niederländische Schülerinnen und Schüler zum Mitmachen anzuspornen und sie bei ihrem Biographieprojekt zu unterstützen: „Vor allem, weil ich an diesem Tag erfuhr, wie wichtig das sein kann, und zwar sowohl für die Schüler als auch für die Überlebenden oder ihre Nachfahren.“
Was dann folgte, beschreibt Jos Sinnema so: „Karels Briefe, zur Handelsware geworden, sind in Amsterdam wie kleine Funken gewesen. Sie haben das Thema „Dachau“ in vier niederländische Schulen gebracht. Dort haben sich in den vergangenen Jahren viele Schüler intensiv in die Lebensgeschichten niederländischer Häftlinge vertieft. Ich denke, die Schüler haben viel dabei gelernt. Jeder auf seine eigene Art und Weise.“
„Der Widerstand wird heute in den Niederlanden wieder mehr geschätzt“
Liesbeth van der Horst, Direktorin des Amsterdamer Widerstandsmuseums, berichtete von der Geschichte ihres Hauses und der schwierigen Rezeption des politischen Widerstands in ihrem Heimatland. „In den letzten Jahren wird der Widerstand in den Niederlanden glücklicherweise wieder mehr geschätzt. Vielleicht hat die Ausstellung, die hier heute eröffnet wird, einen Beitrag dazu geleistet.“
Vor drei Jahren hatte das Widerstandsmuseum die Ausstellung in Amsterdam gezeigt. Wichtig war dem Museum das der Ausstellung vorgeschaltete Bildungsprojekt, in dem junge Menschen unter Anleitung von Jos Sinnema für das Gedächtnisbuch Biographien für das Gedächtnisbuch schrieben. Ein weiterer roter Faden zieht sich durch die Ausstellung: „Anhand ihrer persönlichen Gegenstände wollen wir zeigen, wie Häftlinge in Konzentrationslagern ihre Menschlichkeit und Würde zu wahren versuchten, in einem System, in dem alles auf die Entmenschlichung angelegt war.“
Das in der Ausstellung gezeigte digitale Mahnmal für die rund 2000 niederländischen Dachau-Häftlinge ist Teil der Website des Amsterdamer Widerstandsmuseums. Angehörige von ehemaligen Häftlingen können heute noch Informationen ergänzen. „2017 wurde das Mahnmal mit 38 Ergänzungen erweitert.“, so Liesbeth van der Horst.
„Die Ausstellung ist wunderbar! Ich komme noch einmal und schaue mir das alles ganz genau an.“, so eine Besucherin nach der Ausstellungseröffnung. Das Niederländische Generalkonsulat lud im Anschluss an die Eröffnung zum Büffet und Meinungsaustausch im Seminarraum: Angeregt sprachen die Besucherinnen und Besucher über Aspekte der Ausstellung und über Exponate, die besonders beeindruckten. Mancher hatte bereits ein Lieblingsstück gefunden.
Einige Besucher wunderten sich, dass in der Ausstellung ein Hinweis auf die in der nahen Versöhnungskirche immer einsehbaren Gedächtnisblätter fehlt. Leider fehlt auch ein Hinweis auf die noch bis zum 30. September 2018 in der Versöhnungskirche gezeigte Wanderausstellung des Gedächtnisbuchs „Namen statt Nummern“, in der unter anderem die Biographie des niederländischen Häftlings Henk van de Water präsentiert wird.
Fotos von der Veranstaltung
Weitere Informationen zu Ort und Öffnungszeiten der Ausstellung entnehmen Sie bitte unseren Veranstaltungskalender rechts auf dieser Website.
Vielen Dank für die Genehmigung zur Publikation der Reden an die Autorinnen und Autoren und für die Überlassung der Übersetzung an die KZ-Gedenkstätte Dachau.
(4.5.2018; Text/Fotos: Irene Stuiber)
2. Mai 2018
Empfang zum niederländischen Königstag
Sehr gefreut hat sich das Gedächtnisbuch über die Einladung zum Empfang anlässlich des niederländischen Königstags.
V.l.n.r.: Klaus Schultz, Sabine Gerhardus, Ludwig Schmidinger
Generalkonsul Peter Vermeij hatte zum niederländischen Nationalfeiertag ins Münchner ADAC-Gebäude eingeladen. Die Projektleiterin Sabine Gerhardus sowie die Trägerkreisvertreter Klaus Schultz und Ludwig Schmidinger nahmen die Einladung gerne an.
(1.5.2018; Text: Irene Stuiber)
30. April 2018
Gedenkveranstaltung Todesmarsch: „Wir müssen wachsam sein und wir müssen wieder handeln“
Sehr besorgt angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen zeigten sich beide Redner der Gedenkveranstaltung zum Todesmarsch am 28. April in Dachau. Es sprachen der KZ-Überlebende Abba Naor und Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler.
Abba Naor
„Diejenigen, die nicht mehr laufen konnten, sind erschossen worden, ganz einfach. Man hörte jedesmal einen Knall. Man wusste, noch einer ist weg.“, erinnerte sich der 90jährige Abba Naor an den Todesmarsch. Er sei in den letzten Jahrzehnten sehr oft in Deutschland gewesen, hätte oft mit jungen Menschen in Schulen gesprochen, sagte Naor, und er hätte einen wiedererstehenden Antisemitismus nicht für möglich gehalten. „Ich bin kein religiöser Mensch, aber demnächst werde ich mit der Kipa gehen. Mal sehen.“ Er hoffe darauf, dass der Antisemitismus und das Erstarken der rechten Parteien nur eine Übergangssache sei. „Die jungen Menschen werden es nicht zulassen.“
Susanne Breit-Keßler erinnerte warnend an die Teilnehmer des letzten Opernballs und analysierte Inhalt und Sprache einer menschenverachtenden Anfrage der AfD im Bundestag. Sie zitierte Rabbi Erwin Schild, der schreibt, dass seine Eltern als aufgeklärte Menschen in den 20er Jahren den Holocaust und die Verbrechen der Nationalsozialisten für vollkommen unmöglich gehalten hätten. Die Schlußfolgerung der Bischöfin: „Wir müssen wachsam sein und wir müssen wieder handeln.“ Sie betonte, junge Menschen müssten erkennen, „welche Lust es ist, in kultureller, nationaler und auch religiöser Vielfalt zu leben.“ Als wegweisendes Dachauer Projekt nannte Susanne Breit-Keßler das Gedächtnisbuch.
Begrüßt wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gedenkveranstaltung vom Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann. Aus Erinnerungen von Menschen, die den Todesmarsch erleiden mussten, lasen Gerd Modert vom Dachauer Forum und Maja Lynn, Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Dachau.
Fotos
(30.4.2018; Text/Fotos: Irene Stuiber)
26. April 2018
Ausstellungseröffnung: Zweimal Gedächtnisbuch in Dachau
Am 27. April 2018 um 15 Uhr beginnt die Ausstellung „Namen statt Nummern. Niederländische politische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau“ in Dachau mit einer Eröffnungsveranstaltung. Zeitgleich zeigt die Versöhnungskirche die Wanderausstellung „Namen statt Nummern“ des Gedächtnisbuchs. Bis Ende September 2018 sind dann beide eng mit dem Gedächtnisbuch verbundene Ausstellungen gleichzeitig in Dachau in der KZ-Gedenkstätte zu sehen.
Ausstellung in der Versöhnungskirche
Im Sonderausstellungsraum der Gedenkstätte beginnt am 27. April um 15 Uhr die Ausstellung „Namen statt Nummern. Niederländische politische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau“. Jos Sinnema, ehrenamtlicher niederländische Gedächtnisbuchmitarbeiter, Liesbeth van der Horst, Leiterin des Widerstandsmuseum Amsterdam sowie die Schülerin Sydney Weith, Autorin eines Gedächtnisblatts, führen in die Ausstellung ein. Weitere Redner sind Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Peter Vermeij, Generalkonsul der Niederlande sowie ein Vertreter der Stadt München.
Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung zeigen Karen Tessel, Kuratorin der Ausstellung in Amsterdam, und Jascha März, der die Ausstellung in Dachau vorbereitet hat, den Besuchern die Exponate in zwei parallelen Führungen. Die Ausstellung war bereits im Widerstandsmuseum Amsterdam zu sehen, ihr zugrunde liegen Gedächtnisblätter, die von niederländischen Schülern angefertigt wurden.
Parallel zu dieser Ausstellung zeigt die Versöhnungskirche die Wanderausstellung des Gedächtnisbuchs „Namen statt Nummern“. Hier können auch während der Ausstellung die bisher entstandenen Gedächtnisblätter analog und digital eingesehen werden.
Informationen zu Orten und Öffnungszeiten entnehmen Sie bitte dem Veranstaltungskalender rechts auf dieser Website.
(26.4.2018; Foto: Klaus Schultz; Text: Irene Stuiber)
20. April 2018
Niederländische Wanderausstellung jetzt mit Multimedia-Ergänzung
Von 20. April bis 30. Mai 2018 wird die Ausstellung „Geen nummers maar namen“ in Amsterdam im Geselligkeitsverein De Tweede Uitleg gezeigt, jetzt ganz neu mit multimedialer Ergänzung.
Lida Schoen und Jos Sinnema
Erstmalig können die Besucher der Ausstellung nicht nur Fotos und Texte über niederländische Häftlinge auf Ausstellungsbannern betrachten, sondern auch in Videos etwas über die jungen Verfasser der Biographien und ihre Beweggründe erfahren. Auf einem Tabletständer stehen jetzt dank einer von Berend Katz programmierten App entsprechende Kurzfilme bereit.
Die Gedächtnisbuchausstellung ist bis zum 30. Mai im Amsterdamer Geselligkeitsverein De Tweede Uitleg zu sehen. Das Zentrum wendet sich vor allem an ein Publikum 55+, aber jüngere Besucher sind in der Ausstellung und den dazugehörigen Veranstaltungen ebenfalls gern gesehen.
Lida Schoen organisiert für die Besucher des Zentrums ehrenamtlich ein anspruchsvolles Programm, in dessen Rahmen die Ausstellung gezeigt wird und neben der Eröffnung weitere Veranstaltungen auf die Besucher warten.
Im Film „de reis van Van Eijsden“ schildert Filmemacher Berend Katz, wie er den Spuren seines im Konzentrationslager Dachau umgekommenen Urgroßvaters folgt. Der Film wird am 4. Mai um 21 Uhr anlässlich der Ehrung der Toten des Zweiten Weltkriegs in der Soziätät De Tweede Uitleg in Anwesenheit des Autors gezeigt.
Am 9. Mai 2018 berichtet Jos Sinnema über zwei Personen, deren Banner in der Ausstellung zu sehen sind: Ernst Sillem und Jaap van Mesdag, die sich 1942 in einem Kanu auf den Weg nach England machten.
Die auf dem Tablet in der Ausstellung bereitgestellten Filme entstanden vor etwa zwei Jahren für die große Ausstellung im Amsterdamer Widerstandsmuseum, hier im Blog wurde schon einmal auf einige verlinkt:
Adresse, Öffnungszeiten und organisatorische Informationen zu den Veranstaltungen entnehmen Sie bitte unserem Veranstaltungskalender rechts.
Fotos zur Ausstellung
(20.4.2018; Text: Irene Stuiber)
9. April 2018
Gedächtnisbuch im Fernsehinterview
Björn Mensing, Pfarrer an der Versöhnungskirche, erläutert das Gedächtnisbuch in einem Interview mit Sybille Krafft bei BR alpha. Die Sendungsaufzeichnung findet sich in der ARD-Mediathek.
Weitere Themen des Interviews, das bereits im Mai 2017 ausgestrahlt wurde: Die Gedenkstättenarbeit der Versöhnungskirche, ihre Geschichte und die Rolle der evangelischen Kirche bzw. protestantischer Wähler im Nationalsozialismus. Schwerpunktmäßig um das Gedächtnisbuch geht es etwa ab Minute 19.
Im Interview wird Bezug genommen auf die Lebensgeschichte von Abdelkader Mesli, der als Imam und Mitglied der Résistance das KZ-Dachau erleiden musste. Sein Gedächtnisblatt findet sich hier auf unserer Website: https://www.gedaechtnisbuch.org/gedaechtnisblaetter/?f=M&gb=7299
Die Versöhnungskirche hat das Projekt Gedächtnisbuch 1999 mitgegründet, die Gedächtnisblätter sind in ihrem Gesprächsraum zugänglich. Björn Mensing, Theologe und Historiker, ist seit 12 Jahren Pfarrer an der Versöhnungskirche.
(9.4.2018; Text: Irene Stuiber)
25. März 2018
Jahrespräsentation 22. März 2018
Ein weites Spektrum der Verfolgung spiegelt sich in den zwölf Biographien von ehemaligen Dachau-Häftlingen, die ehrenamtliche Autoren des Gedächtnisbuchs bei der Präsentation am 22. März 2018 vorstellten. Im Publikum folgten eine ganze Reihe von Angehörigen der Porträtierten den Ausführungen der Referentinnen und Referenten.
Fabian Hoppmann mit seinem Gedächtnisblatt zu Adi Maislinger
Unter den Vortragenden befanden sich viele Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Grafing. Hier gibt es seit 2014 unter Leitung von Lehrerin Petra Köpf W-Seminare des Gedächtnisbuchs. Auch die musikalische Begleitung des Abends übernahmen Schüler des Grafinger Gymnasiums.
Die wohl jüngsten Referentinnen stellte die Theresia-Gerhardinger-Realschule in Weichs: Sie haben zusammen mit einigen Mitschülerinnen intensiv zur Biographie von Josef Nieberle recherchiert. Weitere Informationen zu Porträtierten und Porträtierenden folgen in diesem Bericht.
Leslie Schwartz: der Erinnerungsarbeit tief verbunden
Die Grafinger Gymnasiastin Johanna Grebner stellte den Lebensweg von Leslie Schwartz vor. Ihre Recherchen haben ergeben, wie viele Fügungen des Schicksals nötig waren, um sein Überleben zu ermöglichen. 1930 in Ungarn geboren, überlebte Leslie Schwartz das Ghetto Kisvarda und die Lager Dachau, Allach, Karlsfeld, Mittergars und Mühldorf-Mettenheim. Noch am Tag vor der Befreiung, am 28. April 2015, erlag Schwartz beinahe einer tödlichen Schußverletzung.
Die Erinnerungsarbeit bedeutet für den in den USA lebenden Holocaust-Überlebenden die große Aufgabe seines Lebens: Er sorgte für den Wiederaufbau der Synagoge in Budapest und führt bis heute viele Zeitzeugengespräche. Eines davon mit Johanna Grebner, für die dieses Gespräch der wichtigste Teil ihrer Forschungen ist: „Es war mir ganz besonders wichtig zu hören, wie er seine Geschichte erzählt.“
Johann Bieringer: standesgemäße Aversion gegen die Nazibonzen
Über das Schicksal Johann Bieringers berichtete Bernhard Weber, Dozent für Geschichte am Studienkolleg München. Bieringer wurde 1910 in Weichs geboren, die Familie lebte in Pasenbach im Landkreis Dachau und Johann Bieringer wuchs dort in einfachen Verhältnissen auf. „Er wollte sich der NSDAP nicht andienen“ und hatte „wohl eine standesgemäße Aversion gegen die Nazibonzen“ urteilt Weber. Ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten geriet Bieringer, weil er dem kommunistischen Widerstand zumindest nahestand. Auch nach einem Freispruch durch das Sondergericht München wurde Bieringer wieder ins KZ Dachau gesperrt. Er fiel im Zweiten Weltkrieg in Russland.
Zwei Biographien aus Hohenkammer stellte Karl Strauß vor, der selbst lange Zeit in Hohenkammer gelebt hat. Er schildert einen Ort, der während der NS-Zeit politisch tief gespalten war. Sowohl Thomas Held wie auch Thomas Groß erlitten für ihre lokale Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten KZ-Haft. Karl Strauß erzählte, dass er mit den Gedächtnisblättern einer moralischen Pflicht zur Dokumentation dieser Schicksale nachgekommen sei. Mit Thomas Held verband ihn eine gute persönliche Bekanntschaft, Thomas Groß dagegen starb bereits vor der Geburt des Referenten.
Die Grafinger Schülerin Lisa Obermaier berichtete über den Lebensweg George Scotts. Der ungarische Jude wollte sich als Jugendlicher den Partisanen anschließen, wurde aber verhaftet und durchlitt die Lager Auschwitz, Kaufering III, Kaufering I, Kaufering IV und schließlich Dachau. Befreit wurde er in Dachau, ein berühmtes Foto zeigt ihn mit vor Freude in die Luft geworfener Mütze hinter Stacheldraht bei der Befreiung des Lagers. George Scott lebt heute in Toronto.
Franz Klement: Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Arbeiterbewegung
Der Sozialdemokrat, Betriebsrat und Bürgermeister im böhmischen Dallwitz wurde nach der Annexion der Sudetengebiete verhaftet und im KZ Dachau eingesperrt, erst im April 1939 kam er wieder frei. Die Grafinger Schülerin Helena Strebl ist seinem Schicksal nachgegangen. Nach dem Krieg wohnte die Ehefrau des bereits 1944 verstorbenen Dachau-Häftlings zeitweise im sogenannten Wohnlager Dachau-Ost – also in den Häftlingsbaracken des vormaligen Konzentrationslagers.
Johann Neuberger: jüdischer Religionslehrer aus Franken
Beata Tomczyk, derzeit als Freiwillige von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Dachau, sprach über ihre Recherchen zu dem aus Franken stammenden jüdischen Religionslehrer Johann Neuberger. Einige Monate vor seiner Deportation heiratete Neuberger. Er selbst, seine Ehefrau und das im Lager geborene Baby überlebten den Holocaust nicht. Beata Tomczyks Recherchen sind noch nicht abgeschlossen: Offene Fragen will sie in den nächsten Wochen klären.
Henk Zanoli: anarcho-syndikalistischer Rechtsberater in den Niederlanden
Peter Mreijen, Geschichtslehrer am niederländischen Het Baarnsch Lyceum, stieß in seiner Nachbarschaft auf die Lebensgeschichte von Henk Zanoli. Dessen Familie wanderte im 19. Jahrhundert aus dem Tessin in die Niederlande ein. Zanoli engagierte sich für die sozial Schwächeren und wurde verhaftet, als die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg potentielle linke Widerstandskämpfer eliminierten. Briefe aus dem Lager zeigen die tiefe Hoffnung Zanolis auf eine bessere Welt nach dem Krieg, aber auch seine Befürchtung, diese Zeit nicht mehr zu erleben. Er starb im Februar 1945 in Mauthausen. Mreijen betonte, diese und andere Biographien von NS-Verfolgten seien eine ständige Mahnung zur Wachsamkeit in unserer politischen Gegenwart.
Adi Maislinger: mit Worten gegen brutale Gewalt
Mit Flugblättern bekämpfte Adi Maislinger das NS-Regime. Das brachte ihm eine Verurteilung durch den Volksgerichtshof ein, acht Jahre Zuchthaus, im Anschluss daran KZ-Haft bis zur Befreiung durch die Amerikaner. Der Grafinger Schüler Fabian Hoppmann recherchierte Maislingers Geschichte und führte dafür unter anderem ein Interview mit der langjährigen Leiterin der KZ-Gedenkstätte, Barbara Distel. Sie kannte Adi Maislinger besonders gut, denn nach seiner Pensionierung in den sechziger Jahren gehörte er zu den unermüdlichen Unterstützern der Gedenkstätte und dies bis zu seinem Tod im Jahr 1985. Fabian Hoppmann über seine Recherchen: „Ich habe Adi Maislinger als einen sehr besonderen Menschen kennengelernt. Ich war wirklich froh, einen Einblick in sein Leben zu bekommen.“
Imre Bródy: Ausnahmephysiker
Der jüdische Physiker, 1891 in Gyula/Ungarn, starb 1944 im Außenlager Mettenheim M1 des KZ Dachau. Bródy erfand die mit Krypton gefüllte Glühbirne. Sein Schicksal erläuterte Erhard Bosch, der zusammen mit Karl Wingler ein Buch über Imre Bródy verfasst hat. Nach der Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht wurde Imre Bródy über das Sammellager Békásmegyer ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Am 18.9.1944 verlegte man ihn über das KZ Dachau ins Außenlager Mettenheim M1 und das Waldlager V/VI, schließlich wieder nach Mettenheim, wo er den Tod fand. Am meisten beeindruckt hat die Verfasser bei ihren Recherchen zur Biographie des Physikers, dass sich Bródy entschied, bei seiner Familie zu bleiben, obwohl er wusste, was die Deportation bedeutete.
Tief berührt vom Schicksal Engelmar Unzeitig zeigte sich Referent Sebastian Trohorsch, Schüler des Grafinger Gymnasiums. Der Pfarrer predigte in seiner böhmischen Gemeinde gegen die Judenverfolgung und wurde wegen „Kanzelmissbrauchs“ verhaftet. Im KZ Dachau half er anderen Häftlingen, wo er nur konnte. Freiwillig meldete er sich zur Versorgung der Typhuskranken und starb selbst im März 1945, einen Tag vor seinem 34. Geburtstag. Erst vor kurzem wurde Unzeitig selig gesprochen. „Ich finde, die Seligsprechung spricht für sich selbst.“, meinte Trohorsch. „Eine solche Ehrung, die ja nicht oft ausgesprochen wird, zeigt, wie besonders dieser Mensch war.“
Josef Nieberle: Bürgermeister und Bauernvertreter
Zwei Schülerinnen der Theresia-Gerhardinger-Realschule in Weichs referierten über die Forschungen ihres Geschichtsarbeitskreises zu Josef Nieberle, Bauer und Bürgermeister in Weigersdorf. Der fest im katholischen Millieu verankerte Nieberle war den Nazis bereits 1933 ein Dorn im Auge. 1933 und 1934 stürmten jeweils Hunderte von Nazi-Anhängern seinen Hof. Nieberle wurde ins Gefängnis gebracht, vom 11.10.1935 bis 21.12.1936 war er im KZ Dachau eingesperrt. 1945 setzten ihn die Amerikanern wieder als Bürgermeister in Weigersdorf ein. Das Gründungsmitglied des Bayerischen Bauernverband starb 1948. Die beiden Referentinnen meinten: „Durch die Erarbeitung dieses Gedächtnisblatts haben wir viele neue und tolle Erfahrungen gemacht und sind mit Themen in Berührung gekommen, die uns zuvor noch unbekannt waren.“
Im Publikum folgten viele Mitglieder der Familie Nieberle den Ausführungen der Schülerinnen. Ein Filmausschnitt von Julian Monatzeder, der derzeit einen Film über das Gedächtnisbuch dreht, zeigte die Schülerinnen bei ihren Recherchen auf dem Hof der Familie in Weigersdorf.
Leslie Schwartz wendet sich in einen Brief an die Anwesenden
Sabine Gerhardus, Leiterin des Gedächtnisbuchprojekts, verlas ein Schreiben von Leslie Schwartz aus New York: „Ich bin tief berührt, zu wissen, dass ich nicht vergessen worden bin und dass die zukünftigen Generationen diese Arbeit des Erinnerns und Heilen fortsetzen werden, bedeutet mir alles. Es gibt keine Ehrung, die mir wichtiger wäre. Ich wünschte, ich könnte heute persönlich hier sein.“, schrieb der Holocaust-Überlebende, der aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Veranstaltung kommen konnte. „Haltet alle unsere Erinnerung am Leben und setzt euch ein für die ganze Menschheit und eine Welt ohne Hass und Ungerechtigkeit, in der Frieden herrscht und Liebe über den Hass siegt.“
Ein Dankeschön an alle Beteiligten
Klaus Schultz, Trägerkreisvertreter der Versöhnungskirche, erinnerte in seiner Begrüßung an ein Grundanliegen des Gedächtnisbuchs: „Die Überlebenden werden älter und weniger, ihre Stimme wird leiser. Umso wichtiger ist es, an sie zu erinnern und ihnen ein Gesicht, eine Stimme zu geben.“
Ludwig Schmidinger, Vertreter der Katholischen Seelsorge an der Gedenkstätte im Trägerkreis, bedankte sich bei den Mitwirkenden für die Einblicke in verschiedene Lebensgeschichten, die uns dazu ermutigen können, „auch das, was in unserem eigenen Leben los ist, was wir aktuell in unserer Gegenwart erleben, genauer anzuschauen, genauer wahrzunehmen und uns damit intensiv zu beschäftigen.“
Die Veranstalter bedanken sich sehr herzlich bei allen Mitwirkenden und Beteiligten, bei den beiden Dachau-Überlebenden Leslie Schwartz und George Scott, den Familienangehörigen aller porträtierten Personen und den Autorinnen und Autoren der Gedächtnisblätter.Vielen Dank auch an die Schüler Rosa Taccarelli, Robin Brunnthaler, Zoltan Botos und Jakob Skudlik vom Gymnasium Grafing für die musikalische Umrahmung des Abends. Eine besonders großes Dankeschön geht an die Schwestern vom Karmel Hl. Blut, die ihre schöne Klosterkirche für die Veranstaltung zur Verfügung stellten!