Für Ideale einstehen und in der Freundschaft treu sein – Theateraufführung Amsterdam

Ein besonderes Programm an einem besonderen Tag, dem 4. Mai 2015: Am Vortag der Befreiung vom Faschismus vor 70 Jahren wird überall in den Niederlanden an die Opfer des Naziterrors erinnert. Mit meiner Frau besuche ich zuerst die Ausstellung „Geen Nummers maar Namen“ im Amsterdamer Widerstandsmuseum, dann die zentrale Gedenkfeier zum nationalen Totengedenken mit unglaublich vielen Menschen auf dem Dam und schließlich das „Theater na de Dam“: Schülerinnen und Schüler, die Häftlingsbiographien erstellt haben, treten gemeinsam mit Überlebenden auf, unterstützt von einem Moderator und zwei Musikern.

Wie heutzutage in fast jedem Theaterstück, ist auch ein kurzer Film Teil der Aufführung. Obwohl wir mangels Sprachkenntnissen leider nicht alles verstehen können, ist die ausverkaufte Vorstellung absolut beeindruckend. Aus der Rede der Ravensbrück- und Dachau-Überlebenden Willemijn Petroff-van Gurp:„Dies ist eine Lektion aus dem Lager, die ich gerne weitergeben möchte: Mach keinen Unterschied. Urteile nicht nach der Oberfläche und urteile nicht zu schnell. Es ist besser, Fragen zu stellen und zu versuchen, die andere Person zu verstehen. Im Widerstand und im Lager habe ich nicht nur gelernt, für Ideale einzustehen, sondern auch, wie wichtig es ist, in der Freundschaft treu zu sein. Für einander da zu sein.“ In bewegenden Worten schildert sie die Wärme und Fürsorge, die sie unter den Extrembedingungen des KZ von ihren Freundinnen erfuhr, ohne die sie wahrscheinlich nicht überlebt hätte. „Diese und andere Ereignisse haben mir gezeigt, dass alle Menschen gleich sind. Der wirkliche Wert liegt nicht im Rang oder Stand, sondern im Herzen. Auch das ist eine Lektion aus dem Lager, die ich gerne weitergeben möchte.“

Diese unglaubliche Kraft und Herzenswärme, die so oft bei der Vorstellung der Biographien für das Gedächtnisbuch und besonders bei Ansprachen der ehemaligen Häftlinge zu spüren ist, wirkt auf alle im Saal. Und so ist auch die Botschaft des Abschlussliedes sehr authentisch: „Du bist nicht allein“. Viel Schreckliches haben die jungen Biographen von den alten Häftlingen erfahren, doch niemand wurde alleingelassen. Danke an Sabine Gerhardus und Jos Sinnema für dieses wunderbare Projekt!

Text und Bild: Tom Nowotny

 

Theateraufführung in Amsterdam – Reisetagebuch

Freitag,  1. Mai 2015:

An  diesem Tag haben wir uns am Münchner Flughafen kennengelernt. Als  wir abends in Amsterdam gelandet sind, hat uns Jos Sinnema, unser  niederländischer Betreuer und Ansprechpartner beim Verfassen der  Biografie, vom Flughafen abgeholt und uns zu dem B&B gebracht, in  dem wir übernachtet haben. Dort sind wir müde und gespannt auf die  Proben am nächsten Tag ins Bett gefallen.

Samstag,  2. Mai 2015:

Wir sind extra früh aufgestanden und losgefahren, um uns mit Jack van  Ommen, dem Sohn von Renny van Ommen-de Vries, über die ich  (Henriette) geschrieben habe, zu treffen. Leider haben wir aber für  eine Strecke, die man normalerweise in 15 Minuten radelt, 45  gebraucht – tja, Fahrrad fahren in Amsterdam ist nicht gerade  leicht. Als wir dann endlich da waren, haben wir uns richtig gut mit  Jack unterhalten und zusammen einen Kaffee getrunken.

Danach  hat uns Jos netterweise wieder abgeholt und wir sind zusammen zu den  Proben gefahren, sonst wären wir dort wahrscheinlich auch viel zu  spät angekommen. Von 13-18.00 Uhr waren die Proben. Wir haben erst  die anderen niederländischen Teilnehmer kennengelernt und uns sofort  mit allen verstanden. Es war sogar extra eine Übersetzerin für uns  da (vielen Dank, liebe Paula, du hast uns wirklich geholfen!!).  Außerdem haben wir Organisatorisches geklärt und angefangen, die  Lieder einzustudieren, wie unter anderem auch das Dachau-Lied, das  zwei Häftlinge damals im Konzentrationslager im Kopf “geschrieben“  haben.

Nach  dem Proben saßen wir dann noch mit ein paar Leuten bei Aik Meeuse  (Produzent des Theaterstücks) zusammen und haben uns unterhalten.  Später sind wir nur noch Essen gegangen und dann ziemlich müde ins  Bett gefallen.

 Sonntag,  3. Mai 2015:

Der  Sonntag lief eigentlich ähnlich ab wie der Samstag. Morgens haben  wir ein bisschen Sightseeing gemacht und waren im Westerpark auf  einem sehr schönen Markt.

Da wir  auf keinen Fall zu spät kommen wollten, sind wir von dort wieder  einmal extra früh Richtung Proben gefahren, diesmal waren wir jedoch  überpünklich da und standen erstmal noch vor verschlossenen  Türen.  Die Proben an dem Tag liefen auch ziemlich wie am Vortag  ab. Abends bin dann ich (Henriette) mit meiner Tante und deren  Familie, die in der Nähe von Amsterdam wohnen, Abendessen gegangen  und ich (Anna) bin im strömenden Regen nach Hause geradelt –  natürlich hab ich mich wieder einige Male verfahren.

Montag,  4. Mai 2015:

Und  schon war der Tag der Aufführung da… Bevor wir uns um 15:30 Uhr im  Theater Bellevue zur Generalprobe getroffen haben, haben wir uns den  Vondelpark, die Museumsplein und den Blumenmarkt angeschaut.

Die  Generalprobe lief ziemlich entspannt ab. Wir haben Ton und Licht  getestet, noch einmal alle Lieder gesungen und die letzten  Unstimmigkeiten geklärt. Später ist noch Sabine Gerhardus  dazugekommen, die extra für die Aufführung nach Amsterdam gekommen  ist und wir sind alle zusammen Essen gegangen.

Dann  ging alles ziemlich schnell. Wir haben uns für die Aufführung  hergerichtet und danach die Totengedenkfeier am Dam (zentraler  Hauptplatz der Stadt) im Fernsehen angeschaut.

Als  wir dann alle die Mikrofone anhatten, ging es auch schon los. Die  Aufführung bestand hauptsächlich aus einer Art Interview darüber,  welche Erfahrungen wir bei der Recherche, den Besichtigungen der KZ’s  und dem Verfassen der Biografie gemacht haben. Es wurde auf  niederländisch moderiert und geantwortet, nur wir wurden direkt in  Englisch angesprochen und haben auch so geantwortet. Währenddessen  wurde weiterhin von Paula alles für uns leider Unverständliche  übersetzt. Das ganze wurde mit Musik, Filmen und Bildern untermalt.  Ganz besonders war die Rede der Überlebenden Willemijn Pertroff-van  Gurp und das kurze Interview mit dem Überlebenden Jan `Skippy`de  Vaal, der gerade bei der Totengedenkfeier einen Kranz niedergelegt  hatte.

Die  Aufführung war wirklich toll, ist gut gelaufen und hat uns richtig  Spaß gemacht, auch wenn wir davor natürlich schrecklich nervös  waren. Es war auch schön, danach mit einigen Leuten zu reden und  ihre Meinung dazu zu hören. Auch Jack van Ommen und seine Schwester  Karolien haben sich die Aufführung angeschaut. Viele sind zu uns  gekommen und haben (oft sogar auf Deutsch) gesagt, dass sie es sehr  schön fanden, dass wir dabei waren und dafür extra nach Amsterdam  gekommen sind – das war ein tolles Gefühl.

Die  Zeit ist an dem Abend wie im Flug vergangen und auf einmal war es  schon 2 Uhr. Wir waren dann ziemlich müde und sind (wieder) im  strömenden Regen in unsere kleine Dachgeschossunterkunft gefahren  und haben uns natürlich auch wieder verfahren – das ist die wahre  Amsterdam-Erfahrung.

Dienstag,  5. Mai 2015:

Am  Dienstag waren wir zusammen mit Jos und seiner Familie im  Widerstandsmuseum und haben uns die Ausstellung „Geen nummers maar  Namen“ angesehen. Es ist eine eindrucksvolle und berührende  Ausstellung. Jos konnte uns auch noch viele weitere Details zu den  Biografien und ausgestellten Gegenständen erzählen, was es noch  interessanter gemacht hat.

Nach  dem späten Mittagessen wurden wir zum Flughafen gebracht und damit  war unsere Reise leider schon vorbei. Wir wären am liebsten beide  länger geblieben.

An  dieser Stelle möchten wir uns auch noch einmal bei allen Beteiligten  der Vorstellung bedanken und natürlich auch bei Sabine Gerhardus und  Jos Sinnema für die Ermöglichung der Reise. Wir haben dabei viel  neues gelernt und tolle Erfahrungen gemacht. Vielen, vielen Dank!

Das Tagebuch führten  Henriette Schulze und Anna Krombacher.

(Foto: Jack van Ommen)

„Du solltest es einmal erzählen, denn bald wirst Du nicht mehr da sein, und dann gibt es keine Zeugen mehr.“ Eindrücke von der Theateraufführung „Namen statt Nummern“

Jedes Jahr  feiern die Niederländer am 5. Mai den „Bevrijdingsdag“. Die Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung und das Ende des Krieges haben bis heute große Bedeutung für die Menschen. Der 5. Mai ist gesetzlicher Feiertag, überall finden Festivals und Konzerte statt. Am Vorabend, dem 4. Mai, wird der Toten gedacht. Am zentralem Platz, dem „Dam“, vor dem Königspalais in Amsterdam versammelten sich in diesem Jahr so viele Menschen, dass – so sah es zumindest in der Fernsehübertragung aus, die ich im Theater Bellevue live verfolgen konnte – keiner mehr dazwischen gepasst hätte. Um 20 Uhr legten König Willem-Alexander und seine Frau Maxima einen Kranz am Nationalmonument nieder. Das Königspaar begrüßte fünf Delegationen von Veteranen, die ebenfalls einen Kranz niederlegten. Darunter war auch der Überlebende des KZ Dachau, Jan (Skippy) de Vaal. Anschließend stehen die Tausende auf dem Platz mehrere Minuten in stillem Gedenken. Im Anschluss an die Kranzniederlegung wurde Skippy direkt zu uns ins Theater Bellevue gefahren.
Zu uns: das waren fast alle (ehemaligen) Schüler aus den
Niederlanden, Henriette Schulze (ehemalige Schülerin des Camerloher-Gymnasiums Freising)
und Anne Krombacher (ehemals Ignaz-Taschner-Gymnasium Dachau), die bisher am Projekt Gedächtnisbuch beteiligt gewesen sind und jetzt auf ihren Auftritt warten, Willemijn Petroff-van Gurp, die als Überlebende des KZ Dachau ebenfalls am Stück beteiligt war, die Organisatoren und Produzenten Jos Sinnema, Aik Meeuse und ihre Crew und ich. Zwischen der Generalprobe und dem Beginn der Aufführung war noch so viel Zeit, dass wir Skippys Kranzniederlegung  beobachten konnten. Pünktlich um 21.00 Uhr beginnt im ganzen Land „Theater na de Dam“ – verschiedene Theateraufführungen nach der zentralen Totengedenkfeier. In diesem Jahr war dank der Initiative von Jos
Sinnema und Aik Meeuse auch eine Aufführung von Schülern aus dem Gedächtnisbuch-Projekt möglich.

Der Theatersaal war bereits auf bis auf den letzten Platz gefüllt, die Schüler hatten mit der Aufführung begonnen, als Skippy den Saal betrat und mit großem Applaus begrüßt wurde. Aus meinen rudimentären
Holländisch-(Un)kenntnissen und der raschen Übersetzung von Aik, der neben mir saß, habe ich verstanden:  Ja, der König hatte ihn, Skippy, wiedererkannt – keine zwei Wochen vorher hatten sie sich ja bereits bei der Ausstellungseröffnung im Widerstandsmuseum kennengelernt.

In einer raschen Folge sahen und hörten wir nun Eindrücke
aus den Erinnerungen an die Projektarbeit der Schüler, unterlegt mit Filmausschnitten und einer musikalischen Darbietung. Anna Krombacher (ehemalige Schülerin des ITG Dachau aus Sulzemoos) erzählte mir:  „Es geht vor allem darum, auch unsere Erfahrungen herauszubringen, mit unserer Arbeit an den Gedächtnisblättern und
mit unserer Arbeit mit der damaligen Zeit. Herzstück des ganzen waren Willemijns Erinnerungen an die Zeit ihrer Haft in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Dachau und den Weg, den sie – auch durch das Gedächtnisbuch – vom Schweigen und Verdrängen der Erinnerungen hin zum Sprechen gefunden hat:  „Seitdem habe ich meine Geschichte schon öfters erzählt. Und ich kann Ihnen sagen: es ist wie eine Befreiung. Das Leid hat sein schärfsten Kanten verloren und die schönen Erinnerungen aus dem Lager sind in den Vordergrund gerückt. Damit meine ich die intensive Freundschaft, die ich im Lager erleben durfte.“ Willemijn ist diesen Schritt gegangen,  „weil ich es wichtig finde, dass die Jugend versteht, was Freiheit bedeutet, was Meinungsfreiheit bedeutet, was die Gefahren der Diktatur sind und was es heißt, wenn Menschen für minderwertig erklärt werden.“
Mit Anna und Henriette konnte ich noch vor der Aufführung ein kurzes Interview führen. Ich fragte sie, was für sie das Besondere an diesem Projekt war:
(Foto: Jack van Ommen)
Anna sieht man ihre Begeisterung an: „Ich find‘ wahnsinnig toll, dass wir die Chance haben bei so was mitzumachen. Ich meine, ich habe meine Biographie für das Gedächtnisbuch 2010/2011 geschrieben. Also das sind jetzt 5 Jahre her, und jetzt sitze ich hier in Amsterdam und hab die Gelegenheit bei so was Tollem mitzumachen, bei dem Buch, und dann die Theateraufführung. Ich meine, es sind ehemalige Häftlinge dabei, die wir heute sprechen hören – hoffentlich dann auch verstehen, weil die Paula ein bisschen übersetzen wird. Ich find das ein Wahnsinns-Projekt!“ Henriette ergänzt: „Ich finds auch schön, dass es hier
gemacht wird, nicht nur in Deutschland, dass es sich ausgeweitet hat auf andere Länder und dass die auch daran Interesse haben, es mit Deutschen zu teilen und die mitmachen zu lassen, obwohl es ja um Niederländer geht und wir ja nicht niederländisch sind. Das find ich schon was besonderes, dass sie uns teilhaben lassen.“
Wie das Theaterprojekt für die beiden ablief, haben sie in einem Reisetagebuch für den Blog aufgeschrieben.
Vielen Dank an alle Beteiligten für diesen anrührenden Abend!
(Foto: Jack van Ommen)
( Text: Sabine Gerhardus)
Foto: Jack van Ommen

Herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des General-André-Delpech-Preises an Jos Sinnema!

Der Trägerkreis freut sich mit Jos Sinnema über eine außergewöhnliche Anerkennung seines unermüdlichen Einsatzes für die Erinnerung an die ehemaligen KZ-Häftlinge in den Niederlanden. Am 24. April 2015 wurde Jos Sinnema im Rahmen einer Dachau-Lesung in Amsterdam der General-André-Delpech-Preis  des CID verliehen. Die Laudatio hielt Sonja Holtz-Arendse, die Medaille wurde Jos von der ehemaligen Leiterin der KZ-Gedenkstätte und ersten Preisträgerin Dr. Barbara Distel überreicht.
Foto: Jack van Ommen

Der Preis wird an Personen verliehen, die „für das CID und für die Erinnerung beispielhaft gearbeitet haben“. Er ist benannt nach dem 2012 verstorbenen ehemaligen Widerstandskämpfer und späteren Präsidenten der französischen Lagergemeinschaft und Vorsitzenden des Internationalen Dachau Komitees, André Delpech. Bisher haben den Preis erhalten: Dr. Barbara Distel und Dr. Angela Merkel.

Das Gedächtnisbuch verdankt Jos´ Einsatz nicht nur wunderbare neue Biographien, sondern ist durch seine Mitarbeit auch internationaler geworden und hat viel zusätzliche Anerkennung erfahren. Sabine Gerhardus freut sich über „die stets anregende Zusammenarbeit, über neuen Anregungen, Ideen oder einen anderen Blickwinkel, die meine Arbeit bereichern“.

Wir gratulieren!

 

König Willem-Alexander spricht mit Jaap van Mesdag
vor dessen Virtrine, in der man den Kasten mit der Trompete sieht, die
Jaap van Mesdag durch alle Konzentrationslager begleitet hat.
   
Willem-Alexander Gespräch mit Ylva Sluiter, die 2012 die Biographie von Jaap van Mesdag geschrieben hat.
Vor der Vitrine zu der in Eritrea verschleppten Aster Fissehatsion (Projekt in Kooperation mit Amnesty International)
Im Gespräch mit Jan van Kuik und Jan de Vaal.
Im Gespräch mit Jos Sinnema, Schülern, dem Lehrer Simon Verhoef, und Aik Meuse, Mitinitiator des Ausstellungsprojekts.

Ohne Worte.

König Willem-Alexander in einer Gesprächsrunde mit den ehemaligen Häftlingen des KZ Dachau (gegen den Uhrzeigersinn): Jan de Vaal, Jan van Kuik, Willemijn Petroff-van Gurp, Ernst Sillem, Gosse Blijdorp, Jaap van Mesdag (letzterer begleitet von seiner Frau)

 

Liesbeth van der Horst, die Direktorin des Widerstandsmuseums, König Willem-Alexander, die Kuratorin der Ausstellung Karen Tessel, Klaus Schultz, Diakon der Versöhnungskirche und der Dachauer OB Florian Hartmann.

V.l.n.r.: König
Willem-Alexander im Gespräch mit Thom Tullenaar (Vorstandsmitglied beim „Freundeskreis der ehemaligen Dachau-Häftlinge“, Sabine Gerhardus (Gedächtnisbuch Dachau), Sonja Holtz-Arendse (CID) und Marjolijn de Loos (Vorstandsmitglied beim „Freundeskreis der ehemaligen Natzweiler-Häftlinge“)
Ernst Sillem mit Tess Meerding und Sydney Weith

 

Buchvorstellung Namen statt Nummern im Widerstandsmuseum in Amsterdam

Am 24. April 2015 stellt das Widerstandsmuseum in Amsterdam das Buch „Geen nummers maar Namen. Levensverhalen uit concentratiekamp Dachau“ (Namen statt Nummern. Lebensgeschichten aus dem Konzentrationslager Dachau) vor. Das Buch beinhaltet Lebensgeschichten von niederländischen Häftlingen im Konzentrationslager Dachau, die von niederländischen und deutschen Schülern sowie in einem Fall von Angehörigen verfasst wurden, sowie eine Einführung von Jos Sinnema und Sabine Gerhardus.

König Willem-Alexander bekam  bereits am Mittwoch, dem 23.4.2015, von zwei Schülern des Het Baarnsch Lyceums Tess Verduijn und Jur Plötz ein Exemplar. Die beiden haben die darin enthaltene Biographie von Lies Bueninck verfasst.

Lies-Bueninck-Hendrikse erhielt im Konzentrationslager Herzogenbusch ein Foto ihrer zweijährigen Tochter Joke. Es war als Postkarte getarnt, nur deshalb konnte das Foto zu ihr gelangen. Es gelang Lies, dieses Foto während ihrer gesamten Zeit im Lager zu verstecken, sie nahm es mit nach Ravensbrück und ins Außenlager Agfa-Kamerawerke des KZ Dachau. Die Ausstellungskuratorin Karen Tessel: „Das war ihr Halt. Durch die Sehnsucht nach ihrer Tochter konnte sie alle Entbehrungen durchstehen. Auch für die Mitgefangenen von Lies bedeutete dieses Foto der kleinen Joke viel.“ Einer von ihnen schrieb: „Wir alle genossen jeden Tag das heitere liebe Kindergesicht.“ Das Foto, dem man ansieht, das es immer wieder versteckt wurde, liegt in der Ausstellung in Lies´ Vitrine. Auf der Website es Widerstandsmuseums kann man ein Bild des Fotos sehen: http://www.verzetsmuseum.org/museum/nl/exposities/expositie-geen-nummers-maar-namen

(Text von Sabine Gerhardus.)

 

König Willem-Alexander eröffnet im Widerstandsmuseum in Amsterdam  die Ausstellung Namen statt Nummern – Niederländische politische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau

Das Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ Dachau ist Ausgangspunkt für eine neue Sonderausstellung im Amsterdamer Widerstandsmuseum, die am 22. April von König Willem-Alexander eröffnet wurde. Zwischen 1941 und 1945 saßen über zweitausend Niederländer, vornehmlich politische Gefangene, im Konzentrationslager Dachau ein. Bei ihrer Ankunft bekamen sie eine Nummer; ihr Name spielte von da an keine Rolle mehr. Indem der König auf dem Ausstellungsplakat die Nummern von zwei ehemaligen Häftlingen durch ihre Namen ersetzte, gab er ihnen ihre Identität zurück und erklärte die Ausstellung für eröffnet.

Die heute 96-jährige ehemalige Gefangene Willemijn Petroff-van Gurp schrieb im Konzentrationslager ein Lieder- und Psalmen-Büchlein, das ihr die Kraft gab durchzuhalten. Ihre beiden jungen Biographen, Jelle Braaksma und Jop Bruin, die 2013 ihr Gedächtnisblatt in der Versöhnungskirche vorgestellt haben, hatten die Ehre die Ausstellung zusammen mit dem König zu eröffnen. Jop Bruin erzählte, seit dem Biographie-Projekt eine gute neue Freundin zu haben: „Willemijn lässt uns darüber nachdenken was im Leben wirklich wichtig ist.“

„Die Begegnung zwischen den Generationen macht Namen statt Nummern zu einem besonderen Projekt“, so heißt es in einer Presseerklärung des Widerstandsmuseums. Die Ausstellungskuratorin Karen Tessel erzählt, was sie besonders inspirierte: „Willemijn ist eine Art Adoptiv-Oma für Jop und Jelle geworden. Sie wollen sogar zusammen mit ihr nach Italien reisen, da sie fließend italienisch spricht. Dass ein Projekt über Lebensgeschichten von ehemaligen Dachau-Gefangenen zu so etwas führen kann, beeindruckte mich sehr.“

Das Verhältnis, das zwischen den jungen Biographen und den einst Inhaftierten, ihren Familienmitgliedern und dem Thema Zweiter Weltkrieg entsteht, so erläutert Tessel weiter, sei einer der wichtigen Gründe gewesen, dieses Projekt zu entwickeln. Es war auch der Grund, weshalb sich  König Willem-Alexander für das Projekt interessierte und die Ausstellung eröffnete. Er nahm sich viel Zeit für Gespräche mit den sechs anwesenden Überlebenden des Konzentrationslagers und den Schülern.

Den Ausstellungsmachern gelang es auf bewegende Art, die Begegnung zwischen den Generationen in den Mittelpunkt zu stellen und mit der Geschichte von 12 ehemaligen Häftlingen zu verbinden. In 12 Vitrinen erzählen Erinnerungsstücke aus dem Leben des ehemaligen Häftlings. Die Schüler erzählen in kurzen Videosequenzen die Geschichte, die dem Gegenstand seine Bedeutung gibt. In einigen Videos kann man die Jugendlichen im Gespräch mit dem ehemaligen Häftling sehen.

In Kooperation  mit Amnesty International zeigt das Widerstandsmuseum, dass auch heute, 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch Menschen aufgrund ihrer Meinung oder ihres Widerstands gefangen genommen werden. Ähnlich wie für das Gedächtnisbuch erarbeiteten Schüler  Biographien von drei aktuellen Gefangenen. Aster Fissehatsion unterzeichnete 2001 in Eritrea zusammen mit 14 anderen einen offenen Brief an den Präsidenten, in dem sie zu einem demokratischen Dialog aufriefen. Vier Monate später wurden die Unterzeichner verhaftet. Aster ist seitdem spurlos verschwunden. Ihr damals 15-jähriger Sohn flüchtete später in die Niederlande und half den Schülern bei ihrer Arbeit.

Die Zusammenarbeit mit dem Widerstandsmuseum kam zustande durch den ehrenamtlich engagierten Mitarbeiter des Gedächtnisbuchs in Amsterdam, Jos Sinnema. Sinnema hatte 2002 in einem Amsterdamer Briefmarkenladen einen Brief des Tschechen Karel Horais aus dem Konzentrationslager Dachau gefunden. Er war davon so fasziniert, dass er sich auf die Suche nach Horais´ Geschichte machte und schließlich seine Biographie für das Gedächtnisbuch schrieb. Diese Erfahrung ließ Sinnema nicht mehr los. Er fand einen interessierten Lehrer im Cartesius-Lyceum in Amsterdam, der bereit war, mit ihm zusammen ein Schüler-Projekt zu starten. Seit 2010 erstellen niederländische Schüler unter seiner Anleitung jährlich neue Biographien für das Gedächtnisbuch. Ihr Engagement  ist jetzt zur Grundlage für eine bewegende Ausstellung, eine Publikation, ein Theaterprojekt und eine Reihe von weiteren Veranstaltungen in den Niederlanden geworden.

Namen statt Nummern – Niederländische politische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau ist bis zum 25. Oktober im Widerstandsmuseum in Amsterdam zu sehen. Die Ausstellung ist zweisprachig, englisch und niederländisch.

 (Text: Sabine Gerhardus)

 

 

Velo Biermann ist gestorben

Velo signiert sein Gedächtnisblatt. Links Wouter, in der Mitte Meander

Am Montag, den 15. Dezember, ist im Alter von 98 Jahren Rudolf (Velo) Bierman gestorben. Letztes Schuljahr hat er Wouter Tullenaar und Meander Fabels noch ein Interview für das Gedächtnis-Buchprojekt gestattet. Zur Präsentation am 22. März dieses Jahres, als sein Gedächtnisblatt in das Gedächtnisbuch aufgenommen wurde, konnte er jedoch nicht mehr mitfahren.

Zur Zeit des deutschen Angriffs auf die Niederlande, im Mai 1940, war Rudolf Bierman Gefreiter. Schon bald nach der niederländischen Kapitulation schloss er sich der Widerstandsgruppe Ordedienst (OD) an, einer Widerstandsgruppe, in der vor allem ehemalige Soldaten aktiv waren. Nach seiner Verhaftung kam er über das Polizeigefängnis Scheveningen, das KZ Vught, das Polizei- und Untersuchungsgefängnis Haaren und das polizeiliche Durchgangslager Amersfoort als Nacht- und Nebelhäftling ins KZ Natzweiler im Elsass. Als die Alliierten durch Frankreich vorrückten und das KZ Natzweiler September 1944 geräumt wurde, kam er ins KZ Dachau. Hier war er jedoch nur ganz kurz, denn schon bald wurde er nach Gröditz verschleppt, ein Außenlager des KZs Flossenbürg. Während des Todesmarschs aus diesem Lager floh er und wurde von den Russen befreit. Am 28. August 1945 gelang es ihm, auf eigene Kraft wieder heim zu kommen.

Bis ins ganz hohe Alter besuchte Velo jedes Jahr mit Schulkindern das ehemalige KZ Natzweiler. „Ich bin froh, dass ich darüber erzählen kann“, sagte er darüber, „und dass man mir zuhört.“ Über dem Sofa in seinem Wohnzimmer hing von jeder Gruppe ein Foto – als wären es seine eigene Kinder.

(18.12.2014; Text: Jos Sinnema)