28.4.2017. Heute Morgen ist Jan van Kuik gestorben, so erfuhren wir von seinem Sohn Hans. Im März 2014 besuchte der niederländische Überlebende des KZs Dachau noch die Gedenkstätte und Gijs Berendse stellte im Karmel Kloster sein Gedächtnisblatt vor.
Jan van Kuik und Gijs Berendse in der Gedenkstätte Dachau, März 2014
Jan van Kuik war erst 18, als er 1941 für den Arbeitseinsatz nach Deutschland fuhr, so erzählte er in dem Interview, das Gijs, damals Schüler des Cartesius Lyceum in Amsterdam, mit ihm führte. Als er 1942 mit vier anderen Niederländern in die Schweiz zu fliehen versuchte, wurden sie im Grenzort Lustenau, im heutigen Österreich, verhaftet. Alle kamen nach zwei Monate Haft wieder zurück an ihren Arbeitsplatz, außer Jan, der als Rädelsführer bezeichnet wurde.
Jan wurde ins KZ Sachsenhausen verschleppt, wo er missbraucht wurde für medizinische Versuche. Von hier aus kam er ins KZ Majdanek und entkam durch einen Zufall dem Tod in der Gaskammer. Stattdessen wurde er über das KZ Natzweiler nach Dachau verschleppt. Hier überlebte er nur knapp eine Flecktyphus-Erkrankung.
Sowohl körperlich als auch seelisch wurde Jans Leben in der Nachkriegszeit stark von seinen Hafterfahrungen geprägt. Dennoch sagte er in dem Interview, das er Gijs gab: ‚Das Leben ist schön. […] Und das Leben ist kurz. Also muss man es jeden Tag genießen. Das tue ich. Jeder neue Tag ist einer.‘
(Text Jos Sinnema)
25. April 2017
Wiedersehen mit Ernst Sillem
Sydney Weith hat 2013 über Ernst Sillem ein niederländisches Gedächtnisblatt verfasst. Im Januar 2017 traf sie den Dachau-Überlebenden in Südfrankreich wieder. Hier ihr Bericht.
Ernst Sillem und Sydney Weith
Ernst Sillem. Das ist der Mann, über den ich im Jahre 2013 ein Gedächtnisblatt verfasst habe. Ein Holländer, der nach dem Krieg nicht lange in den Niederlanden blieb und der, nachdem er 28 Jahre lang in Marokko gelebt hatte, in Südfrankreich seine Heimat fand. Dort zauberte er eigenhändig aus einer Ruine einen schönen Palast. Als wir uns das erste Mal begegneten, erzählte er stolz über diesen Palast, in dem er bis heute mit seinen zwei Hunden Cast und Tara wohnt. Ich hatte nie die Chance, ihn dort aufzusuchen. Bis letzten Januar.
Nach anderthalb Tagen Autofahrt kamen mein Freund und ich in Pernes-les-Fontaines an, einem winzigen Dorf in der Nähe von Marseille. Über einen schmalen Weg erreichten wir Ernsts Wohnung, wo das Tor bereits für uns geöffnet war. Das Wiedersehen war etwas ganz Besonderes, die zwei Tage, die darauf folgten, ebenso. Wir haben Erinnerungen aufgefrischt, uns Fotoalben angeschaut und französischen Wein getrunken. Auch haben wir viele Spaziergange durch die wunderschöne Umgebung voller Wälder und Weingärten gemacht. Ernst steht jeden Morgen um 5 Uhr auf, um, sobald es hell wird, mit seinen Hunden hinauszugehen. Zum Glück für mich war es Winter, als wir ihn besuchten, und es wurde erst um 8 Uhr hell. Die Spaziergänge, die wir morgens zusammen gemacht haben, waren gemütlich, und ich habe mich darüber gewundert, wie ein 93-jähriger Mann fähig ist, solche steile Strecken durch den Wald zu gehen. Er erklärte mir, dass er kleine Tricks dafür hat. Manchmal lässt er sich von seinen Hunden ‚ein bisschen den Berg herauf ziehen‘. Auch ruht er unterwegs bei einem bestimmten Baumstumpf immer ein wenig aus. Vielleicht das Rezept, um gesund und vital alt zu werden?
Die Zeit flog vorbei, ich wäre gerne noch etwas länger geblieben. Ich glaube, Ernst dachte genauso darüber, denn er sagte, er hätte uns gerne noch etwas mehr von der Umgebung gezeigt. Und als wir abfuhren, lud er uns gleich ein, nochmal vorbeizukommen. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, werde ich dies sicher tun. Aber dann im Sommer, damit ich herrlich in seinem Swimmingpool planschen kann!
Das Gedächtnisbuchprojekt hat mir viel gebracht. Das Schönste von allem ist die Beziehung, die ich mit einem ehemaligen Häftling aufbauen konnte. Alle Erfahrungen werde ich mit mir mittragen. Auch dieser Besuch hat mir einen Schatz an Erinnerungen geliefert.
(25.4.2017. Text: Sydney Weith)
16. April 2017
Jugendbegegnung des Bundestags: Schwerpunkt Euthanasie
Aufgrund ihres wissenschaftlichen Engagements beim Verfassen von Kurzbiographien zu einigen jüdischen Lehrern wurde die Bamberger W-Seminar-Teilnehmerin Anne-Aileen Heitmüller zur Jugendbegegnung des Bundestags 2017 eingeladen. Sie berichtet für uns darüber.
Euthanasie-Denkmal
Die Jugendbegnung 2017 in Berlin
Vom 23 bis 27. Januar 2017 fand im Rahmen des Deutschen Bundestags eine Jugendbegnung für 78 Jugendliche im Alter von 17 – 25 Jahren aus 17 verschiedenen Nationen statt. Höhepunkt dieser Woche stellte die Teilnahme an der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus, die in diesem Jahr speziell den Euthanasieopfern gewidmet war, am 27. Januar im Plenarsaal des Bundestags dar. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden aufgrund ihres besonderen Engagement für Projekte mit Bezug auf die Geschichte des Nationalsozialismus oder gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu dieser gemeinsamen Woche im Raum Berlin mit dem Thema der Gedenkstunde „Euthanasie“ eingeladen. Ich wurde aufgrund meines Engagements für meine wissenschaftliche Arbeit „Die Kurzbiographien der Lehrer Ascher Eschwege, Noa Sichel und Hirsch Wolfrom aus Kleinsteinach“ im Rahmen des W-Seminars „Jüdisches Leben in Bamberg und Umgebung im 20. Jahrhundert“ des Eichendorff-Gymnasiums als Teilnehmerin für diese Woche geladen.
Arbeitsgruppen in Pirna-Sonnenstein
Nach meiner Ankunft am Paul-Löbe-Haus im Herzen Berlins am Montag, den 23. Januar, wurden wir herzlichst von den Betreuern der Jugendprojekte des Deutschen Bundestags begrüßt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde im Plenum fuhren wir gegen 18.30 Uhr gemeinsam in die sächsische Schweiz, in die Stadt Pirna. An den zwei darauffolgenden Tagen befassten wir uns im Allgemeinen in unseren Arbeitsgruppen mit der ehemaligen „Heil- und Pflegeanstalt“ Pirna-Sonnensteins, in der es zur Zeit des Hitlerfaschismus zur Tötung von geistig bzw. körperlich Behinderten kam. Dort besichtigten wir die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein (Gaskammern, Krematorium, Wartezimmer etc.), setzten uns mit Quellenarbeiten in den jeweiligen Arbeitsgruppen auseinander und führten größtenteils emotionale Diskussionen zum aktuellen Umgang mit Menschen mit Behinderung und zum Thema der Sterbehilfe in Deutschland.
Berlin: Diskussionen und Gedenken
Nach den zwei Tagen intensiver Auseinandersetzung mit den Opfern und den skrupellosen Vorgängen und Maßnahmen im Rahmen der „Euthanasie“-Morde befassten wir uns, nach der Ankunft im 200 km entfernten Berlin, nun mit den Tätern und Befürwortern dieser systematischen Ermordung. Dabei besuchten alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Donnerstag den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Bekannt ist diese spezielle Straße aufgrund der daraus gebildeten Bezeichnung „Aktion T4“ (T4: Tiergartenstraße 4), die die gezielte Ermordung geistig und körperlich behinderter Menschen beinhaltete, und der dort stationierten Zentraldienstelle T4 in der Tiergartenstraße 4. Außerdem besuchten wir die Ausstellung „Wir sind viele“ im Paul-Löbe-Haus, die aus 50 Porträts behinderter Frauen, Männer und Kinder des Fotografen Jim Rakete besteht. Des Weiteren hörten wir Vorträge in der historischen Charité von Prof. Dr. Heinz-Peter Schmiedebach und Prof. Dr. Thomas Beddies über die Charité im Nationalsozialismus anhand des Beispiels der Kinderheilkunde. Zur Abrundung des vorletzten Tages der Jugendbegegnung 2017 schauten wir zusammen am Erinnerungsort „Topographie des Terrors“ den Film „Nebel im August“, der letztes Jahr in den Kinos war. Dabei hatten wir Gelegenheit mit den Hauptdarstellern und dem Regisseur Kai Wessel über die Herausforderungen, einen Film nach einer wahren Begebenheit über das Thema Euthanasie zur Zeit des Nationalsozialismus zu drehen, zu diskutieren.
Gedenkstunde im Bundestag
Am 27. Januar durften wir, wie zu Beginn schon genannt, an der Gedenkstunde unter dem Thema „Euthanasie“-Morde zur Zeit des Dritten Reichs teilnehmen. Dabei trafen wir Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Thomas de Maizière, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Frank-Walter Steinmeier. Nach der einstündigen Gedenkstunde hatten wir die Gelegenheit, den drei Hauptrednern Sigrid Falkenstein, Hartmut Traub und dem Schauspieler Sebastian Urbanski, der am integrativen Theaterprojekt „für Menschen mit sogenannter Behinderung“ namens RambaZamba in Berlin arbeitet, und Ulla Schmidt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, in einem Podiumsgespräch Fragen zu stellen. Nach einer abschließenden Auswertung und Verabschiedung im Plenum war somit die Jugendbegegnung 2017 beendet.
Dieses Zusammentreffen von verschiedensten Personen aus unterschiedlichsten Ländern und der Austausch von Ansichtsweisen hat mich in meinem Denken vorangebracht. Zudem konnte ich mich erstmals intensiv mit dem Thema „Euthanasie“ in der NS-Zeit auseinandersetzen, das während meiner Realschulzeit vor dem Gymnasium leider nicht behandelt wurde.
(Text und Bild: Anne-Aileen Heitmüller)
Wir danken Björn Mensing dafür, dass er bei seinem Vorschlag für die Jugendbegegnung des Bundestags an Teilnehmer des Gedächtnisbuchprojekts und des BLLV-Projekts Erinnern gedacht hat.
6. April 2017
Schüler des Het Baarnsch Lyceum berichten über Dachau-Aufenthalt
Anna, Dhanya, Jet und Duco haben uns einen Bericht über ihren Aufenthalt in Dachau geschickt. Am 2. April stellten sie in einem Gedenkgottesdienst in der Versöhnungskirche ihr Gedächtnisblatt zu Meindert Hinlopen vor.
Die Verfasser des Gedächtnisblatts über Meindert Hinlopen
Anna de Rijk, Dhanya Boustanji, Jet Schoonderbeek und Duco Fabrie, Schüler des Het Baarnsch Lyceum, Baarn, Niederlande, schreiben uns:
Samstag, den 1. April sind wir von Amsterdam aus nach München geflogen, um in der Gedenkstätte Dachau eine Biographie zu präsentieren. Die Präsentation fand während eines Gottesdienstes statt, der Meindert Hinlopen gewidmet war, einem niederländischen Pfarrer, über den wir ein Gedächtnisblatt angefertigt haben.
Am Samstag hatten wir zuerst eine beeindruckende Führung auf dem ehemaligen KZ-Gelände. Drei Töchter und ein Schwiegersohn von Meindert Hinlopen waren mit dabei, sowie unser Betreuer Jos Sinnema und unser Geschichtslehrer Peter Mreijen. Als wir am Samstagabend im Hotel Fischer Abendessen waren, schloss sich uns noch Pfarrer Björn Mensing an, der am nächsten Tag den Gottesdienst leiten würde.
Der Gottesdienst fand am Sonntagmorgen in der Versöhnungskirche statt, auf dem ehemaligen KZ-Gelände und nur ein wenig entfernt von der Stelle, wo einst der Block der Geistlichen stand, wo auch Meindert Hinlopen untergebracht war. Der Vortrag, den wir auf Deutsch hielten, wurde von den Angehörigen und den anderen Anwesenden sehr geschätzt. Am Nachmittag sind wir nach München gefahren und haben uns einige historische Gebäude angeschaut.
Am Montagmorgen vor der Heimreise haben wir dann auch noch den Waldfriedhof besucht, wo 1400 ehemalige KZ-Häftlinge bestattet sind, die während der Todesmärsche oder kurz nach der Befreiung gestorben sind. Zum Schluss sind wir nach Herbertshausen gefahren und haben uns den ehemaligen Schießplatz angeschaut, wo 1941-1942 ungefähr 4000 russische Soldaten hingerichtet wurden.
Der Besuch in Dachau hat unsere Arbeit für das Gedächtnisbuch, die zugleich unsere Facharbeit ist, komplett gemacht. Eine besonders lehrreiches Projekt!
(6.4.2017, Text: Anna de Rijk, Dhanya Boustanji, Jet Schoonderbeek und Duco Fabrie, Foto: Sabine Gerhardus)
6. April 2017
Neues Gedächtnisblatt für Meindert Hinlopen in der Versöhnungskirche vorgestellt
Die Biographen und die Familie Meinderts Hinlopens zusammen mit Pfarrer Björn Mensing
Drei Schülerinnen und ein Schüler aus Baarn in den Niederlanden haben am Sonntag den 2. April ein neues Gedächtnisblatt vorgestellt. Dhanya Boustanji, Anna de Rijk, Jet Schoonderbeek und Duco Fabrie sind zusammen mit Jos Sinnema, dem Projektbetreuer des Gedächtnisbuchs in den Niederlanden, ihrem betreuenden Lehrer Peter Mreijen und Hinlopens drei Töchtern Marguérite, Claar und Josine zum Gedenkgottesdienst in die Evangelische Versöhnungskirche nach Dachau gekommen. In einem bewegenden Vortrag berichteten sie über Meinderts Lebensgeschichte.
Sie zitierten aus Briefen, die Hinlopen aus Dachau an seine Frau Hanneke schrieb: Im einem Brief hatte Meindert auf Deutsch geschrieben: „Peelje muss die Leute mal den schönen Brief vorlesen, die Paul an unsere Philippe schrieb, zumal das Mitten der 2e Seite.“ Peelje war der Sekretär des Gemeindekirchenrats. Und mit dem Brief an „Philippe“ verwies Meindert auf die Bibel: den Brief, den Paulus in der Gefangenschaft an die Christen in Philippi schrieb.
Am Sonntag, dem 5. Juli 1942, wurde während des Gottesdienstes der genannte Bibeltext vorgelesen. Von der Kanzel las Peelje: „…denn ich weiß, dass dies alles zu meiner Rettung führen wird – durch euer Gebet und durch die Hilfe des Geistes, der von Jesus Christus kommt. Ich erwarte und hoffe sehr, dass ich nichts tun werde, dessen ich mich schämen müsste, sondern dass jetzt genauso wie bisher Christus an mir und durch mich in aller Öffentlichkeit groß gemacht wird – sei es durch mein Leben oder durch meinen Tod. Denn das Leben heißt für mich Christus und das Sterben Gewinn! Wenn ich am Leben bleibe, bedeutet das fruchtbare Arbeit für mich. Und dann weiß ich nicht, was ich wählen soll. Ich fühle mich hin- und hergerissen. Einerseits sehne ich mich danach, hinüberzugehen und bei Christus zu sein, denn das wäre bei weitem das Beste; andererseits ist es wegen euch nötiger, am Leben zu bleiben. Darauf baue ich und bin deshalb gewiss, dass ich euch zu eurer Förderung und Freude im Glauben erhalten bleibe.“ Es war ein bewegender Gottesdienst. Nach der Lesung sang die Gemeinde „Der Herr segne und behüte ihn.“
Björn Mensing gestaltete den Gottesdienst in der Versöhnungskirche und nahm in Psalmen, Liedern und seiner Predigt Bezug auf das Leben und den Glauben von Meindert Hinlopen und seiner Frau Hanneke. Für sie und den von Hinlopen sehr geschätzten in Dachau ermordeten Pfarrer Johannes Kapteyn wurden Kerzen entzündet.
Fotogalerie zur Veranstaltung
(6.4.2017, Text und Fotos Sabine Gerhardus)
4. April 2017
Gosse Blijdorp ist gestorben
Der niederländische evangelische Pfarrer und Überlebende des KZ Dachau Gosse Blijdorp ist tot. Er starb drei Tage nach seinem 98. Geburtstag. Die Dachauerin Anna Kersten hat 2010 – damals als Schülerin des Josef-Effner-Gymnasiums für den Leistungskurs Geschichte – ein Gedächtnisblatt über Blijdorp verfasst. Sie war 2009 in Wageningen, um sich von Gosse Blijdorp seine Lebensgeschichte erzählen zu lassen.
Gosse Blijdorp am Tag des Interviews mit Anna Kersten, deren Freund und Hugo Schraders (3.4.2009)Gosse Blijdorp mit anderen niederländischen Dachau-Überlebenden im Gespräch mit König Willem Alexander bei der Ausstellungseröffnung Geen nummers maar Namen im Widerstandsmuseum in Amsterdam (22.4.2015)
Gosse Blijdorp wurde am 21. März 1919 in Rotterdam geboren. 1941 studierte er Theologie, als er von der Ermordung von Widerstandskämpfern erfuhr. Er wollte nach Deutschland, „in die Höhle des Löwen“ gehen, in der Hoffnung, Material für den holländischen Widerstand sammeln zu können. Blijdorp arbeitete in der Lüneburger Heide in einem Büro der Firma Wolff & Co, Walsrode und Bomlitz, einer Sprengstofffabrik. Ein Brief, in dem Blijdorp seiner Freude über einen Bombenangriff auf den Ort Ausdruck gegeben hatte, wurde ihm zum Verhängnis. Er wurde nach Rotterdam zurückgerufen und vom Sicherheitsdienst verhört.
Am 22. Oktober 1942 wurde Blijdorp verhaftet und zunächst im Polizeigefängnis »Haagsche Veer« in Rotterdam inhaftiert, am 11. April 1943 in das Konzentrationslager Herzogenbusch-Vught überstellt und im Mai 1944 nach Dachau deportiert, wo er unter anderem bei BMW in Allach Zwangsarbeit leisten musste.
Ende September oder Anfang Oktober des Jahres 1944 wurde der Theologiestudent in den Block 28, einen der drei „Pfarrerblocks“, versetzt. Zwar mussten die Gefangenen dort zu dritt in einem Bett schlafen, aber dennoch empfand er es besser als in Allach. Den Geistlichen war es erlaubt, Pakete mit Nahrungsmitteln aus der Heimat zu empfangen.
Blijdorp setzte nach der Befreiung sein Studium der Theologie fort und wurde schließlich evangelisch-reformierter Pfarrer. Er arbeitete von 1957 bis 1967 in den Gemeinden von Dokkum und Wierum, später wechselte er nach Alblasserdam und Nieuw-Lekkerland in der Nähe von Rotterdam. Dort blieb er bis zum Jahre 1984, als er in Rente ging. Gosse Blijdorp hinterlässt 9 Kinder, 18 Enkelkinder und zahlreiche Urenkel.
(4.4.17)
26. März 2017
Jahrespräsentation am 22. März 2017
Einer der Höhepunkte der diesjährigen Präsentation: Mohamed Mesli spricht über seinen Vater. Eine Übersetzerin sorgt dafür, dass alle seine französischen Worte verstehen. Das Gedächtnisblatt zu Abdelkader Mesli stammt von Gerhard Bökel. – Wir danken Robert Kiderle sehr herzlich für die Fotos zu diesem Beitrag.
„Es ist nun unsere Verantwortung, die Geschichten dieser Menschen zu erzählen“
Klaus Schultz
Klaus Schultz, Diakon der Versöhnungskirche und Mitglied des Trägerkreises, erinnert an den im vergangenen Jahr verstorbenen Schirmherrn Max Mannheimer: „Er hat uns viele Jahre unterstützt. Gerade in der Anfangszeit war seine Unterstützung ganz, ganz wichtig für das Projekt. Er gehörte zu den Menschen, die dieses Projekt ermöglicht haben.“ Dass zum zweiten Mal seit Bestehen des Projekts kein Überlebender an der Vorstellung der neuen Biographien teilnimmt, macht, so Schultz, mehr als deutlich, dass nun etwas wirklich zu Ende geht. „Es ist nun unsere Verantwortung, die Geschichten dieser Menschen zu erzählen.“
Sabine Gerhardus
Projektleiterin Sabine Gerhardus betont die Bedeutung der Arbeit an Gedächtnisbuchbiographien als Bestandteil politischer Bildung. „Was die Biographiearbeit bei jungen Erwachsenen anstoßen kann, möchte ich mit zwei Zitaten verdeutlichen. Eine Projektteilnehmerin hat nach der Erstellung eines Gedächtnisblatts geschrieben: Der Schutz von benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist mir wichtiger geworden. Eine andere Teilnehmerin äußerte sich so: Ich bin sehr viel intoleranten gegen Rechtsterrorismus geworden und toleranter gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten.“
Klaus Wenzel (BLLV)
Klaus Wenzel vom BLLV wendet sich in seinem Grußwort besonders an die anwesenden Schüler. „Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten Erhebliches investiert, Sie haben viel gelernt, Sie waren in Archiven, Sie haben recherchiert – und Sie haben es geschafft, dass aus Nummern Namen werden.“ Wichtig findet Klaus Wenzel die Unterstützung des Projekts durch den BLLV nicht zuletzt aufgrund der eigenen Verbandsgeschichte. „Der BLV – so hieß er 1933 noch – hat gefehlt. Das ist zweideutig und auch so zu verstehen.“ Der Bayerische Lehrerverein habe Fehler gemacht und er habe gefehlt, als Persönlichkeiten ihn gebraucht hätten. „Wir sind uns dieser Schuld bewußt und wir wissen, dass wir sie nicht mehr gut machen können. Wir sind dankbar, dass wir mit der finanziellen Unterstützung dieses Projekts wenigstens dafür sorgen, dass junge Menschen sich mit diesem Teil der deutschen Geschichte beschäftigen.“
Gedächtnisblatt über Paul Possenheimer
Paul Possenheimer (D/GB) von Gülperi Yardimci, Bamberg
Der jüdische Lehrer Paul Possenheimer emigrierte nach seiner Haft im KZ Dachau nach England. Während seiner KZ-Haft kündigte der Staat sein Dienstverhältnis und widerrief das zweite Staatsexamen. Possenheimer starb bereits im Alter von nur 51 Jahren im Exil. Seine Angehörigen sind sich sicher, dass sein früher Tod mit den schrecklichen Erfahrungen im Konzentrationslager zusammenhängt und vor allem auch mit dem Verlust seiner Familienangehörigen.
Die Verfasserin Gülperi Yardimci konnte leider nicht anwesend sein, als Schülerin des Eichendorff-Gymnasiums in Bamberg wurde sie wegen vieler aktueller Klausuren nicht vom Unterricht befreit.
Ferdinand Zwack: SPD-Politiker in Freising
Ferdinand Zwack (D)Ferdinand Zwack (D) von Emilia Jackermaier, Freising
Emilia Jackermaier, Schülerin des Camerloher-Gymnasiums in Freising, stellt die Biographie des Freisinger SPD-Kommunalpolitikers Ferdinand Zwack vor. Er gehörte zu den frühen Dachauer Häftlingen, wurde dann wieder freigelassen und später ein zweites Mal inhaftiert. 1944 starb er in Freising. Bereits 1946 wurde nach ihm eine Straße in Freising benannt, an der viele Häuser der von ihm gegründeten Baugenossenschaft stehen.
Korbinian Geisenhofer: KZ-Haft für Graffiti
Korbinian Geisenhofer (D)Korbinian Geisenhofer (D) von Maxi Häcker, Freising
Hammer und Sichel, gemalt zusammen mit Freunden auf die Ortsstraße in Hohenkammer, brachte dem Handwerker Korbinian Geisenhofer eine erste KZ-Haft in Dachau ein. Eine zweite Inhaftierung war die Folge einer Wirtshausrauferei mit örtlichen Nazis. Die Schülerin Maxime Häcker hat die Biographie Geisenhofers für das Gedächtnisbuch recherchiert und stellt ihre Ergebnisse vor. Besonders bei der Tochter Agnes Geisenhofer bedankt sich Maxime Häcker für wiederholte Interviews und viele Einblicke in das Leben Korbinian Geisenhofers.
Franz Xaver Schmid: Mitglied der Reformbewegung der Siebenten-Tag-Adventisten
Franz Xaver Schmid (D) Maurycy Przyrowski (PL)
Schmids Engagement für seinen Glauben führte noch im Januar 1945 zur KZ-Haft und wenig später zu seinem Tod im KZ-Dachau. Maurycy Przyrowski, im letzten Jahr ASF-Freiwilliger im Gedächtnisbuch-Projekt stellt die Biographie vor. Er zitiert aus einem Verhör: „Ich grüße auch nicht mit dem Deutschen Gruß, weil nur Gott die Ehre gebührt.“
Karl Fruchtmann: Regisseur im Nachkriegsdeutschland
Karl Fruchtmann (D), vorgestellt von Sophie Weller, Freising
Geboren in einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Thüringen orientierte sich Fruchtmann bereits als Schüler politisch links. Er legte sein Abitur in der Schweiz ab, kehrte aber nach dem Tod des Vaters 1934 nach Deutschland zurück. Er wurde 1936 als „Emigrant“ verhaftet, erlitt verschiedene Konzentrationslager, auch das KZ Dachau. Später floh er nach Palästina, diente in der Luftwaffe und arbeitete bei El Al. 1958 kehrte er nach Deutschland zurück und machte sich einen Namen als Regisseur. Sein bekanntester Film heißt „Kaddisch nach einem Lebenden“.
Sophie Weller vom Freisinger Camerloher-Gymnasium präsentiert seine Biographie. Fruchtmanns Tochter erinnerte sich im Interview mit der Schülerin an den Satz ihres Vaters: „Heulen kannst du hinterher.“ Sie glaubt, dass sich ihr Vater diesen Satz im KZ häufig selbst gesagt hat.
Moses Lewkowitz: Engagement für den Israelitischen Lehrerbildungsverein
Moses Lewkowitz (D)Sandra Usselmann als Vortragende (GB)
Lewkowitz studierte an der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Würzburg, nach seinem Examen 1932 arbeitete er in Butterwiesen. Nach der KZ Haft 1938 emigrierte er 1939 nach Palästina und diente in der britischen Armee. Er starb bereits mit 40 Jahren in Israel.
Seine Lebensgeschichte recherchierte die Grafinger Schülerin Lena Fiedler, die allerdings nicht anwesend sein konnte. Sandra Usselmann, derzeit ASF-Freiwillige in Dachau, präsentiert die Biographie an Stelle der Verfasserin.
Josef Reisbeck: Rote Rebellen
Josef Reisbeck (D) von Lena Althaus, FreisingLena Althaus, Freising
Reisbeck verteilte illegale Druckschriften und engagierte sich im sozialdemokratischen Widerstand. Nach einer Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat wird er im KZ Dachau eingesperrt, eine zweite Verhaftung mit Freispruch folgt 1940. Er stirbt bereits 1944.
Seine Biographie stellte die Freisinger Schülerin Lena Althaus vor. Sie freut sich, dass sie trotz schwieriger Recherchen nun ein Gedächtnisblatt abschließen kann.
Abdelkader Mesli: Als Imam tätig in der Résistance
Abdelkader Mesli (F), vorgestellt von Gerhard Bökel (F)Mohamed Mesli spricht über seinen Vater
Die sehr ungewöhnliche Lebensgeschichte von Abdelkader Mesli stellt Gerhard Bökel vor. Mesli war als Imam in Paris und Südfrankreich aktiv in der Resistance, er betreute muslimische Zwangsarbeiter und verschaffte jüdischen Menschen muslimische Identitäten. Der Referent betont: „Der Fakt, dass muslimische Imame Juden gerettet haben, ist wirklich bemerkenswert und schön zu sehen. Zu sehen, dass es so etwas gab, ist gerade vor dem aktuellen politischen Kontext wirklich sehr bemerkenswert!“
Bökel, Jurist, Journalist, Politiker, beschäftigt sich seit einiger Zeit intensiv mit dem Train Fantôme, dem sogenannten Geisterzug, auf den er in Südfrankreich aufmerksam geworden war. Auch Abdelkader Mesli wurde mit diesem Zug nach Dachau deportiert. Bereits in den Jahren 2003/2004 waren Gedächtnisblätter über Gefangene verfasst worden, die mit diesem Transport nach Dachau gekommen waren. Eines davon gilt Renée Lacoude, mit ihr und ihrem 80jährigen Sohn steht Bökel in Kontakt und übermittelte Grüße. „Ich werde Ihr Grüße zurück übermitteln.“, versprach er der Versammlung. „Nächste Woche wird Frau Lacoude 100 Jahre alt.“
Als die ersten Gedächtnisblätter zum Train Fantôme entstanden, wußte niemand, dass Mesli mit diesem Zug nach Dachau gekommen war. Auch seine Kinder wussten nur, dass er in Dachau gewesen war, seine Widerstandstätigkeit war ihnen unbekannt. Erst nach dem Tod der Ehefrau vor wenigen Jahren fanden seine Kinder kistenweise Dokumente, die derzeit von Abdelkader Meslis Sohn Mohamed in Verbindung mit Gerhard Bökel aufgearbeitet werden.
Mohamed Mesli wandte sich an die Versammlung: „Ich bin zum ersten Mal in Dachau. Es ist sehr, sehr schwierig, die Emotionen auszuhalten. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den Schülern, die tolle Arbeit machen, eine Arbeit, die mich sehr tröstet.“
Marceau Mollard: Opfer einer deutschen Racheaktion
Marceau Mollard (F)Als Vortragende Lisa Kappes, Vierkirchen
Die Biographie von Marceau Mollard verfasste Johanna Mollard, vorgetragen wurde sie von Lisa Kappes, die die Verfasserin gut kennt und sie bei der Recherche unterstützt hat. 112 Männer aus dem Ort Clermont-en-Argonne und der unmittelbaren Umgebung deportierten deutsche Truppen 1944 nach einem Widerstandsakt in KZs. Unter ihnen befand sich der Urgroßvater der Verfasserin, Marceau Mollard. Er starb nach Aufenthalten in verschiedenen Konzentrationslagern, darunter auch Dachau, am 27.11.1944. Der Ort Clermont-en-Argonne leidet bis heute unser diesem Verbrechen der deutschen Besatzer.
Albert Eise: Ein Leben für die katholische Schönstatt-Bewegung
Albert Eise (D) von Maria Gross, FreisingAlbert Eise (D) von Maria Gross, Freising
„Leid ist das Küssen Gottes. So wisst jedoch, dass nach Karfreitag immer Ostern kommt.“, schrieb Albert Eise in einem Brief aus dem Konzentrationslager Dachau an seine Familie, bemüht, aus seinem Glauben Trost zu schöpfen. Der katholische Priester war Gründungsmitglied der Marianischen Konkregation, aus der später die Schönstatt-Bewegung hervorging. Seine Referententätigkeit für die Schönstatt-Bewegung war den Nazis ein Dorn im Auge, 1941 wurde er verhaftet. Er starb im September 1942 im KZ Dachau an der Hunger-Ruhr.
„Für mich ist Albert Eise ein Vorbild, wie man mit Tod und Leid umgehen kann, dass man auf Gott vertrauen kann, dass er auch wieder gute Zeiten geschehen lässt.“, berichtet die Biographin Maria Gross vom Camerloher Gymnasium über ihre persönlichen Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit Eises Lebensgeschichte. „Es war sehr interessant, sich mit Albert Eise und seinem Leben zu beschäftigen.“
Anton Held: Rauferei mit SA-Angehörigen
Anton Held (D) von Nina Augustin, FreisingAnton Held (D) von Nina Augustin, Freising
Nina Augustin berichtet über Anton Held, der aus Hohenkammer stammt. Dass dieser Ort nicht allzu weit entfernt liegt, empfand sie als Ansporn für ihre Forschungen. Anton Held gehörte zu jenen, die in Hohenkammer gegen die SA opponierten. Der Grund für die Verhaftung war eine Rauferei mit SA-Angehörigen in der Nähe von Hohenkammer und das Verteilen antinationalsozialistischer Flugblättern. Die Referentin bedankt sich sehr herzlich bei allen, die ihre Recherche möglich gemacht haben: Angehörige, Lokalhistoriker und Archivare.
Ein Dankeschön an das Karmel
Möglich gemacht wurde die Veranstaltung nicht zuletzt durch die sehr freundliche Überlassung der Kirche des Karmel Heilig Blut als Veranstaltungsort. Ludwig Schmidinger überreichte einen Blumenstrauß. An dieser Stelle auch ein Hinweis auf den neuen Webauftritt des Klosters: http://dachau.karmelocd.de/ .
Fotogalerie
Text:Irene Stuiber Fotos: Robert Kiderle, Robert Kiderle Fotoagentur – vielen Dank für die freundliche Überlassung der Fotos!
13. März 2017
Ausstellungsbanner für Max Mannheimer
Ein neues Banner der Ausstellung „Namen statt Nummern“ ist Max Mannheimer gewidmet. Vom 12. März bis zum 4. Mai 2017 ist es in einer Ausstellung mit Gemälden Mannheimers in der Versöhnungskirche in Dachau zu sehen.
Das neue Banner neben einem Werk Max Mannheimers
Max Mannheimer, im vergangenen Jahr verstorben, hatte die Schirmherrschaft über die Ausstellung „Namen statt Nummern“ des Gedächtnisbuchs. Wir sind ihm dafür sehr dankbar. Nun beschäftigt sich ein Banner eben dieser Ausstellung mit seinem Leben.
Gemälde Max Mannheimers zeigt vom 12. März bis zum 4. Mai 2017 eine Ausstellung in der Versöhnungskirche. Teil dieser Ausstellung ist das neue Banner.
Bereits in den 50er Jahren begann Mannheimer zu malen. Sein künstlerisches Werk umfasst rund 1.000 Bilder, die er unter dem Pseudonym „ben jakov“ (Sohn von Jakob) dem Gedenken an seinen ermordeten Vater widmete.
Am 9.3.2017 wird die Ausstellung „Namen statt Nummern“ im Stadtmuseum Geretsried eröffnet.
Die Ausstellung zeigt die Lebenswege ehemaliger Häftlinge des KZ Dachau. Die Ausstellungseröffnung erläutert wie die Biographien im Rahmen des Gedächtnisbuchs recherchiert wurden. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 28.5.2017.