Als Freiwillige in Dachau: Interview mit Maja Lynn

„Es war ein großes Jahr in meinem Leben!“ Maja Linn beendet diesen Monat ihr Freiwilligenjahr für Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Dachau. In einem Interview erzählt sie von ihrer Mitarbeit im Projekt Gedächtnisbuch.

Maja, dein Jahr als Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Dachau geht dem Ende zu. Würdest du es noch einmal machen?

Ja, auf alle Fälle es war ein großartiges Jahr! Es war wirklich eine gute Sache für mich. Ich habe so viel gelernt.

Was meinst du, was wird dir von dieser Zeit in Erinnerung bleiben?

Wirklich unglaublich für mich als Amerikanerin war, dass man hierher kommen kann und an so einem schönen Programm teilnehmen kann, ohne Kosten – ich hatte eine schöne Wohnung, ein Fahrrad, eine Fahrkarte. Ich habe so viel gelernt und bekommen, ich habe gelernt, wie man wissenschaftliches Sachen macht, wie man die Dinge als Erwachsene angeht, es war ein wirklich großes Jahr meines Lebens! Ich weiß nicht, wie sehr ich mich verändert habe, aber vielleicht, wenn ich jetzt dann nach Hause gehe, höre ich das von meinen Eltern. Ich bin gespannt, was sie sagen.

Und neue Themen sind in diesem Jahr für mich ganz wichtig geworden. Vielleicht werden sie mir bleiben. Das Thema Museumsarbeit und das Thema Holocaust. Ich habe mich früher nie dafür so interessiert, aber jetzt weiß ich, wie wichtig das Thema Holocaust ist und wie aktuell. Es könnte sein, dass dieses Jahr mein Leben verändert hat, vielleicht studiere ich jetzt etwas in diesem Bereich.

Du hast uns in diesem Jahr wirklich viel im Gedächtnisbuch-Projekt geholfen, vielen Dank! Und jetzt schreibst du eine eigene Biographie für das Gedächtnisbuch. Über wen schreibst du?

Ich schreibe über Jacobus de Vries, einen niederländischer Häftling, er war im Widerstand, ein Nacht- und Nebel-Häftling. Ein Freund unserer Familie in Amerika hat diesen Namen vorgeschlagen, Jacobus de Vries ist ein Vorfahre von ihm. Ich habe nicht viel über ihn gewusst, aber jetzt habe ich doch viele Informationen gefunden, auch in den Niederlanden, nicht zuletzt mit Hilfe von Jos Sinnema. Ich konnte mit Familienangehörigen sprechen, ich habe auch viele Dokumente gefunden. Und jetzt schreibe ich dieses Gedächtnisblatt. Es gibt so viele Informationen und Geschichten, es ist nicht einfach zu entscheiden, was ich davon in die Biographie aufnehmen kann.

Hat es bei der Arbeit an dem Gedächtnisblatt Überraschungen für dich gegeben?

Ja, ich bin ins Archiv gegangen und es macht mir wirklich Freude, mit Archivalien zu arbeiten. Die Recherche macht sehr viel Spaß und ich interessiere mich sehr für diese Geschichte. Sie wurde noch nie erzählt. Ich habe viele Dokumente aus der Familie, Briefe, Briefe aus dem KZ, Briefe, die überlebende Häftlinge nach dem Krieg an die Frau geschrieben haben, denn Jacobus de Vries ist in Dachau gestorben. Nicht einmal die Familienangehörigen, nicht einmal die Enkelkinder haben diese Dokumente bisher gelesen. Sie sind leider auf Niederländisch, aber Jos Sinnema hat mir sehr geholfen, er hat diese Briefe übersetzt. Das war wirklich super, das habe ich nicht erwartet.

Was empfiehlst du deiner Nachfolgerin oder deinem Nachfolger?

Ich weiß nicht, wie alt er oder sie sein wird, ich bin ja ziemlich jung, aber es gibt ja immer wieder 18- oder 19jährige unter den Freiwilligen. Ich würde einfach sagen: Du musst keine Angst haben. Das war meine größte Sache, aber man muss wirklich keine Angst haben. Vorher wußte ich nicht, was auf mich zukommt, es war ein ganz großer Schritt. Ich würde sagen: Man soll die Zeit genießen, man soll versuchen, alles zu machen, was man hier machen kann. Diese Gelegenheiten sind wirklich toll. Und man lernt viel und zwar von jeder einzelnen Sache, die man so anpackt.

(12.7.2018; Foto/Interview: Irene Stuiber)

Alle dabei! Zur Geschichte eines Gedächtnisblatts

Als die Recherche zum Gedächtnisblatt über Korbinian Geisenhofer begann, gab es nur den Kontakt zu Agnes Geisenhofer, der Witwe.

Das fertige Gedächtnisblatt trägt nun vier Unterschriften naher Angehöriger. Nicht zuletzt die Ausstellung in Hohenkammer hat dazu beigetragen, dass der Kontakt zu der Tochter Agnes Schmid und den Söhnen Manfred Kirmayer und Josef Geisenhofer geknüpft werden konnte.

Hier lässt sich das Gedächtnisblatt nachlesen:

Korbinian Geisenhofer im Verzeichnis der Gedächtnisblätter

(5.7.2018; Text/Foto: Irene Stuiber)

Unterschrift zum Gedächtnisblatt Samuel Gilde hinzugefügt

Christoph Triebfürst, Geschichtslehrer am Josef-Effner-Gymnasium, kam am 27.6.2018 im Büro des Gedächtnisblatts vorbei und setzte seine Unterschrift auf das von ihm verfasste Gedächtnisblatt über Samuel Gilde.

Mit dabei hatte er einen Blumenstrauß für Sabine Gerhardus: Ein Dankeschön nicht zuletzt für die Betreuung sämtlicher Gedächtnisblätter, die während des von Triebfürst geleiteten W-Seminars am Dachauer Josef-Effner-Gymnasium entstanden sind.

(27.6.2018; Text/Foto: Irene Stuiber)

 

Absolut außergewöhnlich: ein Streik unter KZ-Häftlingen

Die Arbeitsniederlegung der niederländischen Zwangsarbeiterinnen im Dachauer Außenlager Agfa-Kamerawerke stand im Mittelpunkt der Lesung aus den Erinnerungen von Kiky Gerritsen-Heinsius in der KZ-Gedenkstätte am 5. Juni 2018.

Lydia Starkulla liest aus den Memoiren von Kiky Gerritsen-Heinsius

Im Rahmen des Begleitprogramms zur derzeitigen Ausstellung in der Gedenkstätte las Schauspielerin Lydia Starkulla Ausschnitte aus den Erinnerungen der niederländischen Widerstandskämpferin Kiky Gerritsen-Heinsius. Die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen führten im Januar 1945 zu einer spontanen Arbeitsniederlegung, dem einzigen Streik, der derzeit für das KZ Dachau und seine Außenlager bekannt ist.

Gerritsen-Heinsius kam im Oktober 1944 in das Außenlager Agfa-Kamerawerke in München-Giesing. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Lager Vught und Ravensbrück hinter sich. Die Niederländerin berichtet, wie das Arbeitskommando auf dem täglichen Weg zur Arbeit in München beschimpft und mit Gegenständen beworfen wurde. Die Häftlingsfrauen sassen in den Fabrikhallen neben deutschen Arbeiterinnen und mussten Zeitzünder für Luftabwehrgranaten montieren. Was für das Gelingen der feinmechanischen Arbeit nötig war, half den Frauen beim Überleben: So war eine halbwegs warme Raumtemperatur notwendig. Zum Streik kam es im Januar 1945, als das Essen immer weniger wurde. Tatsächlich erreichten die Frauen eine leichte Verbesserung ihrer Ernährung.

„Absolut außergewöhnlich“ im System der Konzentrationslager sei dieser Streik gewesen, betonte Andrea Riedle, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gedenkstätte in ihrer Einführung. Klaus Schultz, Vertreter des Mitveranstalters Versöhnungskirche, erwähnte die große Bedeutung niederländischer Häftlinge für die Entstehung der Versöhnungskirche. Ein im Begegnungsraum der Versöhnungskirche ausgestelltes Gedächtnisblatt über Kiky Gerritsen-Heinsius hat die Schülerin Anna Krombacher 2012 verfasst.

Einige harte Fakten zum Außenlager Agfa-Kamerawerke erläuterte Jascha März, wissenschaftlicher Volontär an der Gedenkstätte. Dieses Lager war nach dem Außenlager München-Allach das zweitgrößte KZ in München. Wie kam es, dass unterschiedliche Häftlingsfrauen ihre Lebensbedingungen im Lager und auch die Person des Kommandanten so verschieden einschätzten? Jascha März meinte dazu, dass diejenigen, die aus ihrem normalen Lebens in das Lager deportiert wurden, die Situation anders wahrnahmen als jene Frauen, die vorher schon andere Konzentrationslager erleben mussten.

Gedächtnisblatt und weitere Informationen über Kiky Gerritsen-Heinsius

(23.6.2018; Text und Foto: Irene Stuiber)

 

 

Zum Nachhören: Freiwillige der Aktion Sühnezeichen in Dachau

Eine halbe Stunde lang geht es im Bayerischen Rundfunk um die Freiwilligenarbeit der Aktion Sühnzeichen Friedensdienste in Dachau. Barbara Schneider begleitet Beata Tomczyk und Maja Lynn bei ihrer Arbeit und beleuchtet die Hintergründe.

Beatas Resümée fasst die Autorin so zusammen: „Sie kann sich vorstellen, die Aufarbeitung der NS-Geschichte, die Erinnerungsarbeit, zu ihren Beruf zu machen. Denn das hat sie in diesem Jahr gelernt: Wie wichtig Erinnerungsarbeit auch heute ist.“

Die Reportage wurde am 25. Mai 2018 gesendet. Nachhören kann man sie auf der Website des Bayerischen Rundfunks:

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/nahaufnahme/aktion-suehnezeichen-friedensdienste-feiert-60-geburtstag-102.html

(14.6.18; Foto/Text: Irene Stuiber)

Aber eine Frage fehlte noch: Was für ein Mensch war er?

Maja Lynn, Freiwillige im Gedächtnisbuch, berichtet über ihre Recherche-Reise in die Niederlande.

Als ASF- (Aktion Sühnezeichen Friedensdienst) Freiwillige für die Versöhnungskirche der  KZ-Gedenkstatte Dachau und das Projekt Gedächtnisbuch arbeite ich an einem Gedächtnisblatt über den niederländischen Haftlinge  Jacobus „Jac“  de Vries. In diesem Zusammenhang hatte ich die Gelegenheit zur Recherche in die Niederlande zu fahren.

Vorher hatte ich schon Dokumente aus verschiedenen Archiven und eine Privatsammlung erhalten und wusste vieles  über Jacobus’ Leben. Ich wusste, dass er Soldat in der KNIL (Königlich Niederländisch-Ostindischen Armee) war und im Laufe seiner Karriere Kapitän geworden ist. Er war ein Kolonialist und Monarchist. Jac und seiner Frau Mini hatten eine Tochter Johanna und er war Pflegevater eines älteren Mädchens Katy aus Mini’s erster Ehe.  Ich wusste, dass er Mitglied der Widerstandsgruppe Odredienst geworden ist, nachdem die Nazis die Niederlande besetzt hatten. Deswegen wurde er im April 1941 inhaftiert. Ich wusste, dass er in ein Gefängnis in Scheveningen gebracht worden war und danach ins Polizeiliches Durchgangslager Amersfoort, dann ins KZ Buchenwald, das KZ Natzweiler und schließlich ins KZ Dachau. Und ich wusste, dass er am 3. Januar 1945 in Dachau gestorben ist.

So hatte ich schon einige Details seiner Geschichte, aber eine wichtige Frage fehlte noch: Was für ein Mensch war er? Diese Frage hoffte ich beantworten zu können mit Unterstützung von Sabine Gerhardus und besonders von Jos Sinnema, der mich durch die Niederlande begleitet hat. Er hatte mir schon Übersetzungen der niederländischen Dokumente gegeben.

Wahrend der Reise habe ich zwei Familienangehörige besucht, die Gedenkstätte in Amersfoort, das Gefängnis in Scheveningen gesehen und das Nationalarchiv besucht. Zum Glück konnte ich auch den niederländischen Gedenktag für die Opfer des Zweiten Weltkriegs miterleben. Während der Hauptzeremonie  steht das ganzes Land für zwei Minuten in Erinnerung an niederländische Opfer still. Dieses starke Symbol des Schmerzes und des Verlustes, an dem sich das ganze Land beteiligt, hat mich sehr berührt und hat mir geholfen, die Bedeutung meiner Biographiearbeit besser zu verstehen. Ruth Wellema, die Enkeltochter von Jacobus de Vries erinnert sich immer noch daran, wie an diesem Tag in ihrer Kindheit die ganzen Familie zusammensaß. Obwohl sie wenig über ihren Opa wusste, konnte sie ein unverkennbares Gefühl von Traurigkeit im Raum fühlen. Es waren solche Erinnerungen, die diese  Reise für mich so besonders gemacht haben. Erinnerungen an die Familie de Vries und alte Geschichten über Jacobus, die mir Ruth und ihre Schwägerin Marjan Wellema erzählt haben.

Erfolgreich war auch die Suche nach Dokumenten, denn zu meinem großen Glück haben wir Hunderte von Briefen, Fotos und anderen Objekten der Erinnerung an Jacobus´ Leben bei der Familie und im Nationalarchiv entdeckt. Zusammen mit Jos haben wir alles fotografiert und sind den ganzen Montag in der Bibliothek gesessen, um die Briefe zu übersetzen. Es waren darunter  Briefe von Jac aus dem KZ und von überlebenden Mithäftlingen, die  seiner Frau nach dem Krieg von Jac berichtet haben. Diese Briefe waren sehr emotional und es war eine langer spannender Tag und ein arbeits- und erfolgreiches Wochenende. Ich habe jetzt fast zu viel Information, es wird schwierig, auszuwählen. Aber ich habe sehr vieles erfahren, was meine Biografie hoffentlich lebendig machen wird.

(6.6.2018; Text: Maja Lynn/IS)

Einladung: Lesung aus den Erinnerungen von Kiky Gerritsen-Heinsius

Kiky Gerritsen-Heinsius aus den Niederlanden musste als politischer Häftling im Dachauer KZ-Außenlager Agfa-Werk in München-Giesing arbeiten. Darüber berichtete sie in ihren Memoiren, aus denen die Münchner Schauspielerin und Regisseurin Lydia Starkulla am 5. Juni 2018 lesen wird.

Zu den Erinnerungen von Kiky Gerritsen-Heinsius gehört auch der Streik der Agfa-Frauen im Januar 1945: „Was am 12. Januar 1945 schließlich den Ausschlag gegeben hat, weiß ich eigentlich nicht mehr. … kurz nach der Mittagspause (wurde) plötzlich vorn im Saal die Arbeit niedergelegt. Nein, wir wollen nicht mehr arbeiten, wir haben Hunger.“

Die Lesung ist Teil des Begleitprogramm der aktuellen Ausstellungen im Sonderausstellungsraum in der KZ-Gedenkstätte Dachau und in der Versöhnungskirche. Ein Gedächtnisblatt zu Kiky Gerritsen-Heinsius hatte die Schülerin Anna Krombacher in den Jahren 2011-2012 angefertigt.

Hier geht’s zum Gedächtnisblatt:

Kiky Gerritsen-Heinsius

Weitere Informationen zur Veranstaltung und zur den Ausstellungen finden sich im Veranstaltungskalender rechts auf dieser Website.

(31.5.2018; Foto: privat; Text: Irene Stuiber)

 

Abschlussessen mit den Grafinger Schülerinnen und Schülern

Sabine Gerhardus schreibt uns über ihr Abschlussessen mit den Schülerinnen und Schülern des Grafinger W-Seminars:

„Am Mittwoch, den 16.5. traf ich das Grafinger W-Seminar Name statt Nummern von Petra Köpf zum Abschlussessen in der Osteria in Ebersberg. 5 Schülerinnen, 3 Schüler und Petra Köpf waren gekommen, um den erfolgreichen Abschluss des W-Seminars zu feiern.

Ich habe mich sehr gefreut, die Schülerinnen und Schüler so fröhlich und offen zu erleben. Das hatte ich gar nicht erwartet, denn sie stecken noch mitten in den Abiturprüfungen und auch vorher hatte ich sie häufig im Leistungsdruck erlebt. Aber nun war ihnen anzusehen, dass der große Stress hinter ihnen liegt. Das schriftliche Abitur ist geschrieben, zur Schule gehen sie nicht mehr, sie müssen „nur“ noch zwei mündliche Prüfungen ablegen und bis dahin genießen sie die Pfingstferien.

Herzlichen Dank für die schönen Gedächtnisblätter und die gute Zusammenarbeit! Fürs Abitur und all die interessanten Pläne danach alles Gute!“

(31.5.2018; Text: Sabine Gerhardus/IS)

Radio-Feature zu Aktion Sühnezeichen

Beata Tomczyk, Maja Lynn und Klaus Schultz standen einer Journalistin des Bayerischen Rundfunks für Interviews zur Verfügung. Anlass ist das 60jährige Bestehen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

Beata Tomczyk

In der Sendung „Nahaufnahme“ sendet der Bayerische Rundfunk am Freitag, den 25.5.2018 um 15.30 Uhr das Feature „Freiwilligendienst für den Frieden“ von Barbara Schneider in seinem Programm Bayern 2. Mit zur Sendung beigetragen haben die Freiwilligen im Gedächtnisbuch-Projekt Beata Tomczyk und Maja Lynn sowie Trägerkreisvertreter Klaus Schultz.

„Die Nahaufnahme zeichnet nach, warum sich junge Menschen bis heute als Freiwillige der Aktion Sühnezeichen für den Frieden und die Aussöhnung zwischen den Völkern einsetzen.“, heißt es in der Sendungsankündigung.

Wer’s nicht schafft, die Sendung zu hören, kann in der BR-Mediathek auf den 30minütigen Podcast zugreifen.

Hier gehts zur Sendungsseite des BR:

https://www.br.de/radio/bayern2/programmkalender/ausstrahlung-1399936.html

(24.5.2018; Text/Foto: Irene Stuiber)