Maeva Keller: Jetzt sehe ich mehr die menschlichen Themen in der Gedenkstättenarbeit

Maeva Keller unterstützte das Gedächtnisbuch im letzten Jahr als Freiwillige von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen und davon, wie sich ihr Zugang zur Gedenkstättenpädagogik verändert hat.

Was unterscheidet das Leben in Dachau von dem in anderen Städten?

Erstmal die Leute, natürlich. Dann zum Beispiel die Lebensmittel und vieles, was damit zusammenhängt. Ich komme ja aus dem Elsass und wenn ich hier zum Beispiel zum Edeka gehe, dann das ist vergleichsweise billig. Und es gibt mehr Ökologiethemen. Z.B. der Müll. Aber insgesamt ist das Leben nicht sehr anders als das Leben im Elsass.

Wenn ich mich richtig erinnere, dann hast du einmal erwähnt, es sei nicht so einfach, sich die ganze Zeit mit der KZ-Problematik zu beschäftigen?

Ja, am Anfang fand ich es sehr schwierig. Aber jetzt sehe ich mehr die Menschlichkeit, die menschlichen Themen, hinter der Arbeit in der Gedenkstätte, also der Erinnerungsarbeit, der Gedenkstättenpädagogik, der Arbeit mit Schülern, in den Veranstaltungen und Führungen. Ich habe viel gelernt über Erinnerungskultur, über die deutsche Perspektive. Ich kannte ja nur die französische Erinnerungskultur.

Wo ist der Unterschied zwischen der deutschen und der französischen Erinnerungskultur?

Es ist sehr schwierig bei uns, das nationale Narrativ, den „roman national“ wie wir sagen, bei diesem Thema zu verhindern. Meine Generation und die Generation meiner Eltern, diese Generationen haben sich mehr für die Wahrheit interessiert. So haben wir in der Schule immer gefragt: „Das kann aber doch nicht stimmen, dass alle im Widerstand waren. Wir waren doch ein besetzter Staat.“ Denn wir hatten auch etwas von der Kollaboration gehört. Es ist schwierig, beides in ein Geschichtsbild zu integrieren, die Kollaboration und den Widerstand.

Was waren denn die drei wichtigsten Dinge für dich in deinem Freiwilligenjahr?

Als erstes unsere Reise nach Polen. Wir waren mit ASF in Oświęcim, Auschwitz. Ich habe viele Emotionen gespürt, wir haben an zwei Tagen insgesamt zwölf Stunden Ausschwitz I und II besucht. Es gab viele Fakten, viele Informationen, aber auch viele Emotionen, es war schwierig. Es ist nicht einfach mit der polnischen Erinnerungskultur, es ist ein bisschen so wie in Frankreich – wir sagen ja auch nicht, dass wir kollaboriert haben. Das war eine sehr emotionale Erfahrung für mich.

Der zweite wichtige Punkt war, mein Gedächtnisblatt vorzustellen. Das war meine erste öffentliche Präsentation vor mehr als 100 Leuten. Ich glaube, ich habe viel gelernt über mich, ich habe gelernt, mich zu präsentieren. Mit der Sprache ist es nicht einfach, aber ich musste meine Schüchternheit überwinden und viel mit den Leuten sprechen, um Deutsch zu lernen.

Drittens war ein wichtiger Punkt meine erste englische Führung in der Gedenkstätte. Es war interessant, meine Informationen, aber auch meine Erfahrungen und Emotionen mit den Schülern zu teilen. Es war eine griechische Gruppe. Es gibt viel zu sagen über die Nazis, aber auch über die Häftlinge. Ich finde das toll, dass sich so viele Leute die Zeit nehmen, in die Gedenkstätte zu kommen, die meisten sind im Urlaub, und dass sie sich im Urlaub die Zeit nehmen für diese Thematik. In der Versöhnungskirche schreiben viele kurze Texte darüber und zünden Kerzen an, ich merke, dass sie ähnliche Emotionen, ähnliche Gefühle, haben wie ich.

Wie hast du den Grafinger Schülern bei ihren Gedächtnisblättern helfen können?

Es war nicht so ganz einfach, die betreffenden Schüler können nicht so sehr gut Französisch, aber es ging. Für 16jährige ist diese Recherchearbeit zu ehemaligen Häftlingen kompliziert und eine Herausforderung, es ist nicht leicht, es ist auch nicht leicht für mich und ich bin geübt.

Spannend finde ich, dass das Thema Erinnerungskulturen für dich so zentral ist.

Ja, ich würde gerne in diesem Bereich arbeiten. Ich hoffe, dass ich einen Platz finde, denn in Frankreich haben wir weniger Gedenkstätten.

Ich würde gerne ein ähnliches Projekt wie das Gedächtnisblatt in Frankreich starten und mit Schülern diese Art von Erinnerungs- und Recherchearbeit durchführen. Ich denke, das ist ein guter Weg zur Geschichte. Denn der Unterricht allein kann ganz schön langweilig sein, einfach nur Information, Information ohne Beziehung zur Frage der Menschlichkeit, des menschlichen Verhaltens. Die Schule ist ok, wir müssen ja Informationen bekommen, aber das Verhalten der einfachen Menschen ist interessanter als immer nur von den ganz großen, von Napoleon und Charles de Gaulle zum Beispiel zu sprechen. So fand ich zum Beispiel Dachau und Georg Scherer interessant. Da hat ein Mensch so viel für die Stadt gemacht und bei den heutigen Dachauern ist das gar nicht wirklich bekannt.

Hast du denn einen Ratschlag, einen Tipp, für die neuen Freiwilligen?

Ich kann ihnen jetzt schon sagen: „Du wirst am Anfang Kopfschmerzen haben mit Deutsch, aber verlier nicht den Mut, das wird schon besser.“ Die beiden neuen sind auch eine Französin und eine Russin, haben also dieselbe Nationalität, das ist gut für uns, wir können in unserer Sprache mit den beiden kommunizieren. Es wird am Anfang schwierig sein für die Neuen, aber das wird sich schnell bessern. Ich denke, sie werden Spaß haben.

Wirst du wieder nach Dachau kommen?

Ja, ich denke schon, vielleicht zur Jahrespräsentation am 22. März nächstes Jahr. Jetzt muss ich erst einmal meinen Master fertig machen, in Straßburg, mit dem Schwerpunkt immaterielle Erinnerungskultur. Ich hoffe, das wird gut werden. Straßburg ist meine Lieblingsstadt und nicht weit weg von der Grenze, so komme ich schnell über die Grenze und kann zum Beispiel meine Einkäufe auf Deutsch machen, damit ich nicht alles vergesse. Ich hoffe, ich kann meine neuen Deutschkenntnisse bewahren.

(3.9.2019; Interview: Irene Stuiber)

 

 

 

 

ASF-Freiwillige: Dank an Anastasiia und Maeva

Mit einem Abschiedsgottesdienst in der Versöhnungskirche am 25. August 2019 ging das Aktion Sühnezeichen Friedenszeichen-Freiwilligenjahr für Maeva Keller und Anastasiia Lapteva in Dachau zu Ende. Da Sabine Gerhardus nicht anwesend sein konnte, gibt es ihren Dankestext dieses Jahr auch schriftlich.

Sabine Gerhardus bei einer Veranstaltung im letzten Jahr

Anastasiia und Maeva waren seit September 2018 zwei Tage die Woche beim Projekt Gedächtnisbuch im Einsatz. Es war ein schönes Projektjahr, für das ich mich bei Euch bedanken möchte.

Ihr habt Euch von Anfang an vor allem für das Erinnern an die Lebensgeschichten ehemaliger KZ-Häftlinge eingesetzt. Maeva, die schon Geschichte studiert hatte, wusste von Anfang an, dass sie am liebsten ein eigenes Recherche-Projekt angehen würde und hat sich rasch auf die Suche nach einem französischen Häftling gemacht, dessen Geschichte sie rekonstruieren wollte. Leider konnte sie ihre erste Idee, über einen Bekannten ihrer Familie zu schreiben, nicht verwirklichen, und so hat sie sich für Charles Delestraint entschieden, einen General der französischen Armee und Kommandant einer Widerstandsgruppe der Armee, der 10 Tage vor dem Eintreffen der Amerikaner am 19.4.1945 von der SS im KZ Dachau ermordet wurde.

Bei der Vorstellung seiner Biographie am 22. März in der Kirche des Karmel sagte Maeva: „Alle Franzosen kennen General de Gaulle und was er für die Freiheit Frankreichs geleistet hat. Aber ich habe nie über einen General Delestraint gehört. Das war der Grund für mich, ein Gedächtnisblatt über ihn zu machen.“ Bei der Suche nach möglichen Namen für ihre Recherche hat Maeva noch weitere Namen gefunden, einer davon ist Leon Boutbien, ein französischer Sozialist, Militärarzt und Nacht- und Nebel-Häftling in Natzweiler und Dachau. Seine Biographie wird derzeit, dank Maevas Vorrecherche und Unterstützung, von einer Schülerin des Gymnasiums Grafing erforscht.

Anastasiia hat sich ebenfalls besonders in der Biographie-Arbeit engagiert. Dabei hat sie anfangs noch gezögert, ein eigenes Recherche-Projekt zu übernehmen. Vielleicht hat sie sich diese Aufgabe nicht ganz zugetraut. Sie übernahm es dann, die Lebensgeschichte des jüdischen Lehrers Emanuel Strauß aus Weiden fertigzustellen, dessen Gedächtnisblatt von einer Schülerin nicht abgeschlossen werden konnte. Anastasiia arbeitete sich so gründlich in die umfangreichen Recherchen der Schülerin ein, dass sie das Gedächtnisblatt nicht nur ergänzen und fertigstellen konnte, sondern auch noch zu dem Schluss kam: Jetzt will ich ein eigenes Gedächtnisblatt machen, am liebsten über einen sowjetischen Häftling.“

Seit April hat sie nun mit großem Engagement an der Biographie von Nikolai Adamtschik gearbeitet, der als junger Mann von der Krim nach Deutschland verschleppt worden war. Erst im August hat sie von Nikolai Adamtschiks Tochter Fotos erhalten, die sie für das Gedächtnisblatt nutzen möchte. Ich freue mich sehr, dass Nikolai Adamtschik, den ich selbst noch in guter Erinnerung habe, dank Anastassia nun ein Gedächtnisblatt bekommt. Am 22. März 2020 wird sie wieder nach Dachau kommen und seine Geschichte der Öffentlichkeit vorstellen.

Besonders erwähnen möchte ich auch, dass mich die beiden bei der Betreuung von drei Schülerinnen des Gymnasiums Grafing kräftig unterstützt haben. Die drei Schülerinnen arbeiten an Biographien von einem französischen und zwei sowjetischen Häftlingen. Maeva und Anastasiia haben die Schülerinnen bei der Archivrecherche und beim Kontakt mit Überlebenden und Angehörigen unterstützt. Maeva war mit der Schülerin sogar in Paris im Archiv, Anastasiia hat – neben ihrer eigenen Recherche – ein Skypeinterview der Schülerin mit Peter Perel begleitet und übersetzt.

Zuletzt haben die beiden kurz vor der Internationalen Jugendbegegnung sogar noch die Chance genutzt, sich als Peerguides für die Geschichte des Dachauers Georg Scherer ausbilden zu lassen, und Jugendliche aus der Internationalen Jugendbegegnung durch die Ausstellung „Georg Scherer – Ein Dachauer Leben“ geführt.

Besonders hat es mich gefreut, zu sehen, dass den Freiwilligen die Arbeit Spaß macht. Anastasiia und Maeva haben Eigeninitiative gezeigt, Verantwortung übernommen und sich nicht gescheut, wenn Not an der Frau war, auch mal an ihrem freien Tag mit anzupacken.

Liebe Anastasiia, liebe Maeva, wie gesagt, es hat mir viel Freude gemacht, mit Euch zusammenzuarbeiten. Ihr wart mir eine große Unterstützung und ich danke Euch von Herzen für Eure Hilfsbereitschaft, Eure Freundlichkeit, Eure Lustigkeit und Ernsthaftigkeit und Euer Engagement. Ich wünsche Euch alles Gute für Eure Zukunft.

(26.8.2019; Text: Sabine Gerhardus/IS)

 

 

Erfahrungsbericht von Kiky Heinsius auf Deutsch veröffentlicht

Der eindrückliche Bericht von Kiky Gerritsen-Heinsius lässt sich nun in deutscher Übersetzung im Buch „Kamera“ des icon-Verlags nachlesen. Die Niederländerin wurde wegen ihrer Widerstandstätigkeit in Vught, Ravensbrück und im Dachauer Außenlager Agfa-Kamerawerk in München gefangengehalten. Ihre Geschichte hat die Schülerin Anna Krombacher 2012 in einem Gedächtnisblatt festgehalten.

Ausschnitt aus dem Buchcover, Icon-Verlag

Jan van Ommen, dessen Mutter einen ähnlichen Leidensweg erleben musste wie Kiky Heinsius, schreibt dazu:

„Teile der Geschichte von Kiky Heinsius wurden in den Niederlanden bereits 1985 veröffentlicht. Eine Kopie der gesamte unveröffentlichte Geschichte von Kiky Heinsius erhielt ich 2005 von Kikys Witwer, Piet Gerritsen. Die Geschichte enthält den kompletten Haftweg der Frauen die, wie meine Mutter, im September 1944 vom Lager Herzogenbusch (Vught, südliche Niederlande) nach Ravensbrück und etwa 6 Wochen später nach München gebracht wurden. Die Geschichte ist einfühlsam geschrieben, ihre Reflektionen über u.a. verordneten Hass sind einmalig. Im Laufe der Jahren hat sich die Verlässlichkeit der Geschichte erwiesen. Als sich Anna Krombacher im Rahmen des Projekts „Namen statt Nummern“ mit der Geschichte befasste, kamen Einzelheiten zutage über den Umfang und die Konsequenzen der von Kiky Heinsius geleisteten Judenhilfe.“

Die Erinnerungen von Kiky Heinsius standen im Mittelpunkt einer Begleitveranstaltung zur Ausstellung „Namen statt Nummern. Niederländische politische Häftlinge im KZ-Dachau“ in der KZ Gedenkstätte Dachau am 5. Juni 2018. Die Ausstellung war zunächst im Widerstandsmuseum Amsterdam gezeigt worden und basiert auf der Arbeit des Gedächtnisbuchs Niederlande.

Das Buch enthält außerdem Beiträge von Historikern und Medienwissenschaftlern über Kiky Heinsius, das Dachauer Außenlager Agfa-Kamerawerk und das künstlerische Projekt Kamera. Eine Buchvorstellung ist für den 14. November 2019 in München geplant.

Buchtitel
Alexander Steig: Kamera – Ein künstlerisch-wissenschaftliches Projekt zum Außenlager Agfa-Kamerawerk in München-Giesing 1944-45, mit einem Erinnerungsbericht von Kiky Gerritsen Heinsius.
Weitere Infos zum Buch auf der Verlagswebsite: http://icon-verlag.de/

Gedächtnisblatt zu Kiky Heinsius
Kiky Gerritsen-Heinsius

Infos zum Gedächtnisbuch Niederlande
Gedächtnisbuch Niederlande

(19.8.2019; IS)

Georg-Scherer-Ausstellung: Graffiti-Workshop

Einen Bericht vom Graffiti-Workshop am 7.8.2019 zur Georg-Scherer-Ausstellung schickt uns Sabine Gerhardus.

Sie schreibt: Am Anfang stand die Führung durch die Ausstellung. Hier waren 13 Jugendliche dabei, darunter zehn von der IJB, der Internationalen Jugendbegegnung, aus Serbien, Russland, Polen, Spanien, zwei aus Dachau und eine Austauschschülerin sowie die beiden Graffiti-Künstler. Die Führung fand auf Englisch statt und dauerte mit einem einführenden Spiel und kurzer Vorstellungsrunde etwa zwei Stunden.

Anschließend sind die Teilnehmer mit Johannes Wirthmüller und Adrian Till vom Outer Circle zur Übungsmauer an der Papierfabrik in der Ostenstraße gelaufen. Jojo Wirthmüller hat mir berichtet, dass der Rückweg schon zur Reflexion über die Ausstellung genutzt wurde. In der Ostenstraße gab es erstmal eine Brotzeit und dann wurde die Mauer grundiert. Anschließend begannen die Teilnehmer, sich mit den Spraydosen vertraut zu machen.

Jojo und Adrian zeigten den Jugendlichen und mir verschiedene Tricks, wie man Linien, graphische Elemente und Flächen an die Wand bringt. War gar nicht so einfach, hat aber viel Spaß gemacht. Einen Schriftzug, z.B. den Namen von Georg Scherer so hinzubringen, dass man zufrieden sein konnte, war schon ein Erfolgserlebnis. So haben die meisten erstmal an kleineren Elementen, Zeichen oder Ausrufen wie „Peace“ geübt.

Dann kam leider eine Schlechtwetterfront dazwischen und nach einer halben Stunde Wartezeit in Kälte und Regen hat sich der Großteil verabschiedet. Ein kleiner Kern ist aber noch geblieben und hat weitergearbeitet. Mateusz aus Polen sagte, das sei der „beste Workshop“ gewesen.

Wer die Bilder im Original sehen möchte, findet sie in der Ostenstraße in Dachau.

 

Fotos vom Workshop

(8.8.2019; Text: Sabine Gerhardus)

Trägerkreis: Danke an Nina Ritz!

Nina Ritz beendet ihre Tätigkeit am Max Mannheimer Studienzentrum. Wir danken ihr für die langjährige Unterstützung des Gedächtnisbuchs im Trägerkreis.

Nina Ritz leitete das Max Mannheimer Studienzentrum seit 2008 und vertrat diese Institution im Trägerkreis des Gedächtnisbuchs. Vielen Dank, liebe Nina, für deine Unterstützung!

(31.7.2019; IS)

 

 

Informativ und interessant: Junior Guide Workshop zur Georg-Scherer-Ausstellung

Am 22. und 23. Juli nahmen die ASF-Freiwilligen Anastasiia Lapteva und Maeva Keller an der Peer-Guide-Schulung teil, die im Rahmen der Georg Scherer Ausstellung von Sabine Gerhardus organisiert wurde. Die anderen Teilnehmer waren Schülerinnen und Schüler des Josef-Effner-Gymnasiums Dachau.

Silke Nörenberg, ASV, während des Junior Guide Workshop

Maeva berichtet über den Workshop: „Während dieser zwei Tage haben die Schülerinnen und Schüler viel über Scherers Leben erfahren, um eine Führung vorzubereiten. Jeder Schüler wählte ein Banner und recherchierte das Thema des Banners. Was hat mir sehr gefallen hat, war der Enthusiasmus der Schüler. Sie waren sehr interessiert an Scherers Leben und seinen Auswirkungen auf die Stadt Dachau. Es ist toll, junge Leute mit Interesse an der Geschichte ihrer Stadt zu sehen.“

Anastasiia erzählt: „Am Montag und Dienstag gab es eine Junior-Guide-Ausbildung über Georg Scherer. Dieser Workshop wurde für Jugendliche gemacht, die mehr über Dachau und über Georg Scherers Leben wissen wollen. Ich persönlich fand diesen Workshops informativ, interessant und auch interaktiv. Wir haben mit den Fotos gearbeitet, Fragmente von Interview gehört und hatten auch ein Brainstorming – wie können wir unseren Rundgang interessanter machen? Am nächsten Tag hat jede von uns einen Teil des Lebens von Georg Scherer erzählt. Ich wählte den Zeitraum, in dem er Häftling im KZ Dachau war. Das ist ein großes Thema, zu dem ich aber viel erzählen kann,  weil ich selbst Rundgänge durch die KZ-Gedenkstätte Dachau durchführe. Daher kann ich auch auf Fragen antworten. Es hat mir gefallen, dass bei unserem Probe-Rundgang Karen Schwenke und Kerstin Csir dabei waren. Beide haben selbst Rundgänge in der Ausstellung gemacht. Sie gaben uns sehr wichtige Tipps, was wir verbessern können und was wir außerdem noch sagen können. Das war sehr hilfreich für mich.“

(24.7.2019; Anastasiia Lapteva und Maeva Keller/IS)

 

 

Gedächtnisblatt zu Léon Boutbien: Spurensuche in Paris

Im März 2019 besuchten die Grafinger Schülerin Marlene Bülow, Teilnehmerin im Projekt Gedächtnisbuch, und die ASF-Freiwillige Maeva Keller zwei Pariser Archive,  um über den ehemaligen Häftling Léon Boutbien zu forschen, für den Marlene ein Gedächtnisblatt schreiben will.

In diesem Haus in Montgeron lebte Léon Boutbien bis zu seiner Verhaftung 1943.

Léon Boutbien war ein französischer Häftling in den Konzentrationslagern Natzweiler und Dachau. Er war Mitglied der SFIO (Sozialistische Partei Frankreichs), Arzt und Mitglied des Französischen Widerstands. Nach der Befreiung wurde er als sozialistischer Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt. Marlene und Maeva besuchten die Archive der Nationalversammlung und der Französischen Sozialistischen Partei, um mehr über seine politische Karriere und Ideen zu entdecken. Sie fanden viele politische Artikeln und Informationen über seine Arbeit als Abgeordneter.

Marlene Bülow berichtet über den zweiten Teil der Recherche, den sie gemeinsam mit ihrem Vater unternommen hat:

„Nachdem Maeva abgereist war, wollten mein Vater und ich die Recherche noch nicht aufgeben und beschlossen, ein weiteres Archiv aufzusuchen.Wir entschieden uns für das Stadtarchiv Paris, da Léon den Großteil seines Lebens in Paris verbracht hatte und für dieses Archiv keine Anmeldung im Voraus nötig war. Wir hatten Glück: Im Archiv befanden sich interessante Informationen bezüglich Léons Militärdienst sowie eine Hochzeitsurkunde.

Nachdem wir alles, was wir im Archiv finden konnten, für uns dokumentiert hatten, machten wir uns auf den Weg zur Metro, um in den 2ième Arrondissement zu fahren, wo Léon in den 50er Jahren eine Wohnung besessen hatte.

Im Wohnhaus trafen wir auf die Concièrge, die sich dort schon seit 30 Jahren um das Haus kümmert. Wir erkundigten uns, ob sie von Léon wissen würde, der vermutlich während seiner Zeit als Abgeordneter im Haus gewohnt habe. Leider verneinte sie dies.

Nach dem erfolglosen Gespräch mit der Concièrge machten wir uns auf den Weg zur RER, der Pariser S-Bahn, um die Fahrt in den Vorort Montgeron anzutreten, wo Léon bis zu seiner Verhaftung 1943 gewohnt hatte.

Glücklicherweise fanden wir mit Google Maps relativ zügig die Adresse. Das Haus genauer ansehend, befiel uns ein beklemmendes Gefühl: Hier wurde 1943 ein unschuldiger Mann verschleppt, vermutlich geschlagen und bedroht – 76 Jahre später kaum noch vorstellbar.

In der Hoffnung, der jetzige Hausbewohner könnte vielleicht etwas über Léon als ehemaligen Hausbesitzer wissen – vielleicht hat er das Haus ja unter einem Vorwand nach Léons Verhaftung billig gekauft – klingelten wir an der Tür. Zu unserer Enttäuschung öffnete uns niemand.

Trotz einiger Rückschläge, was die Recherche außerhalb von Archiven betrifft, war die Reise sehr aufschlussreich und interessant. Ich bin zuversichtlich, dass ich mit den gesammelten Informationen zumindest einen Teil von Léons Lebensweg rekonstruieren und so seine anonyme Häftlingsnummer wieder mit einer Identität füllen kann.“

(16.7.2019; Text: Maeva Keller, Marlene Bülow)

Gedächtnisbuch Niederlande: Exkursion nach Haaren und Vught

Anouk van Zandbergen, Schülerin am Hyperion Lyzeum in Amsterdam, erstellt ein Gedächtnisblatt über die niederländische Widerstandskämpferin Carla Gastkemper. Nach den Sommerferien wird die 17-jährige Schülerin ein Interview mit der jetzt 94-Jährigen Carla führen. Als Carla 1944 wegen Spionage verhaftet wurde, war sie nur wenig älter als Anouk heute: 19. Im Rahmen der Recherchearbeit besuchte Anouk das ehemalige SD-Gefängnis Haaren und die KZ-Gedenkstätte Vught. Anouk berichtet darüber.

Im Gespräch: Anouk und Henk van Helvert, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Haaren

Carla wurde zur gleichen Zeit wie ihr Freund Carel Bos in Amsterdam verhaftet. Beide wurden sofort nach Haaren ins Polizei- und Untersuchungsgefängnis gebracht. Mein Besuch im damaligen Gefängnis hat mir eine viel bessere Vorstellung davon gegeben, wie es für Carla gewesen sein muss. Nach 75 Jahren in derselben Zelle zu sein, in der sie gelitten und geschlafen hat und auf dem gleichen Flur zu laufen, wie sie damals, war eine wirklich besondere Erfahrung. Das Gebäude ist riesig und hat mehrere Funktionen gehabt. Bevor es in ein Gefängnis umgewandelt wurde, war es ein Priesterseminar. Nach dem Krieg kehrten die Studenten zurück und später wurde es ein Heim für geistig Behinderte. Der Ort hat unterschiedliche Bedeutungen gehabt, für verschiedene Menschen. Carla hat bestimmt ganz andere Erinnerungen daran als jemand, der hier zum Priester ausgebildet wurde. Jetzt ist das Gebäude leer. Dass hier insgesamt ungefähr 4100 Menschen eingesperrt waren, ist kaum vorzustellbar.

Haaren: der Innenhof für den Freigang der Gefangenen

Nach dem Gefängnis in Haaren haben wir die KZ-Gedenkstätte Vught besucht. Vom SD-Gefängnis aus sind Carla und Carel in dieses KZ verschleppt worden. Am nächsten Tag, dem 5. September 1944, wurde Carel hingerichtet. Nachdem wir das Lager besucht hatten, fuhren wir zur nahegelegenen Hinrichtungsstätte. Die grüne Umgebung und das sonnige Wetter erweckten den Eindruck eines gelassenen Ortes, obwohl hier vor nicht allzu langer Zeit Schreckliches passiert ist. Das verursachte bei  mir ein sehr zwiespältiges Gefühl. Als wir zum Namendenkmal auf der Hinrichtungsstätte kamen, las mein Begleiter Jos Sinnema aus den Memoiren eines Mit-Häftlings von Carla vor. Sie schrieb, dass sie gedacht haben, sie würden bald befreit werden, und dass sie die Schüsse auf der Hinrichtungsstätte von ihrer Baracke aus hören konnten. Während ich dastand und zuhörte, versuchte ich mich einzufühlen. Ich fragte mich, ob Carla die Schüsse auch gehört hat, und ob sie sich gefragt hat, für wen sie bestimmt waren. 

Namendenkmal auf der damaligen Hinrichtungsstätte

1995 wurde das Namendenkmal von Unbekannten schwer beschädigt. Darauf hängte eine unbekannte Person als Protest ein Gedicht am Zaun der ehemaligen Hinrichtungsstätte auf. Es enthält unter anderem die Zeile: „Solche Namen kann man nie auslöschen! Sie sind in zahllose Menschenseelen eingraviert.“ Ich dachte daran, wie bei Carla die Erinnerung an ihrem Freund in der Erinnerung eingraviert ist.

Der Tag war sehr interessant, aber auch heftig: Weil die Orte jetzt Bedeutung für mich bekommen haben, aber auch, weil ich mich auf die Lebensgeschichte einer einzelnen Person konzentriere. Ich habe Carla noch nicht kennengelernt, habe aber schon vieles über sie gelernt. Das hat den Besuch in Haaren und der KZ-Gedenkstätte Vught noch eindrucksvoller gemacht als ohnehin schon.

(10.7.2019; Text: Anouk van Zandbergen)

 

Angebot für Dachauer Jugendliche: Junior-Guide werden

Entdecke deine Stadt auf den Spuren von Georg Scherer und zeige sie Jugendlichen aus aller Welt! Interessierte Jugendliche ab 15 Jahren können Junior Guide werden.


Weitere Einzelheiten zu den Workshop-Angeboten am 12. Juli 2019 und am 26. Juli 2019 findest du in diesem PDF:

Junior-Guide werden (250 KB)

Update 12.7.19:

Die bisher angekündigten Workshop-Termine müssen leider entfallen. Alternativtermine findest du in diesem Beitrag, sobald sie feststehen, und im Veranstaltungskalender dieser Website.

Update 15.7.19:

Ein Alternativtermin steht nun fest: Montag, 22. Juli und Dienstag, 23. Juli 2019, jeweils von 8.30 bis 12.30 Uhr.

Weitere aktuelle Infos dazu im Veranstaltungskalender rechts auf dieser Website.

(3.7.2018; Foto: Sammlung Scherer; IS)