12. Juli 2024
„Wir waren immer im Austausch“
Bernadetta Czech-Sailer vom Landratsamt Dachau kennt das inzwischen abgeschlossene deutsch-polnische Projekt des Gedächtnisbuchs so gut wie nur wenige. Wir haben sie um ein Interview gebeten.
Sie haben das deutsch polnische Erasmus+-Projekt des Gedächtnisbuchs für die Häftlinge des KZ-Dachau von Anfang an begleitet, von der Planung bis zum Abschluss. In welcher Funktion haben Sie das gemacht?
Ich arbeite im Büro des Landrats im Landratsamt Dachau und seit 2016 betreue ich die Landkreispartnerschaft Dachau – Oświęcim/Auschwitz. Anfangs hat sich das Dachauer Forum an mich gewandt mit der Idee, das Gedächtnisbuch internationaler zu gestalten und dass es schön wäre, einen polnischen Partner mit dabei zu haben.
Die Frage war, ob ich einen Projektpartner wüsste. Ich habe dann sofort an die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim gedacht. Das ist eine Einrichtung, die für mich eine hervorragende Bildungsarbeit leistet. Sie sind sehr engagiert und es passte auch perfekt zum Thema.
Ich habe Kontakt mit meinen Kolleginnen dort aufgenommen und sie waren sofort sehr offen. Es hat mich gefreut, dass mit diesen beiden Einrichtungen so ein tolles Projekt entstanden ist.
Wie ist denn das Projekt für Sie gelaufen?
Ich bin ziemlich begeistert von der Organisation und von dem, was vom Dachauer Forum auf die Beine gestellt worden ist. Auch die Onlinemeetings mit unseren Kolleginnen aus Polen liefen reibungslos, wir wurden über alle Schritte informiert. Da kann man vom Dachauer Forum auf jeden Fall viel lernen!
Ich fand es sehr schön, dass Sabine Gerhardus und Annerose Stanglmayr so offen waren und sich bei der Planung der Programmpunkte sehr eingesetzt haben.
Wir waren immer im Austausch, beide waren sehr aufgeschlossen und haben auch die Kolleginnen von der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim miteinbezogen, aber auch auf meine Erfahrung gehört. Das hat mir sehr gut gefallen.
Sind Videokonferenzen für Sie bei diesen internationalen Projekten ein bevorzugtes Arbeitsmittel?
Ich sage immer, das ist das Beste, was wir aus der Pandemiezeit mitgenommen haben. Diese technischen Möglichkeiten, die es vorher auch gab, aber keiner für selbstverständlich gehalten hat, haben sich etabliert. Wenn ich heute im Rahmen unserer Landkreispartnerschaft etwas mit den Kollegen vom Landratsamt Oświęcim zu besprechen habe, dann schreibe ich kurz „Kaffee online?“ und wir sehen uns und besprechen alles. Dies erleichtert viel.
Und so war das auch in diesen zwei Jahren mit den beiden Einrichtungen in Dachau und in Oświęcim. Videokonferenzen sind eine tolle Möglichkeit, sich auszutauschen. Man hat nicht nur den Eindruck, das findet irgendwie anonym im Netz statt, sondern man weiß, ich habe meine Kolleginnen in Polen gesehen, ich habe meine Kolleginnen in Dachau gesehen. Das war menschlich und persönlich. Und das war das Tolle bei diesem Projekt.
Was fanden Sie denn noch besonders an dem deutsch-polnischen Projekt des Gedächtnisbuchs?
Vor allem die Beteiligung von Jugendlichen. Die drei Stellen, die ich schon genannt habe, das Dachauer Forum, die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim und ich hier in meiner Funktion, wir wissen, was Erinnerungsarbeit ist. Uns muss man nicht erklären, wie wichtig sie für die deutsch-polnische Beziehungen ist.
Wenn sich aber dann tatsächlich Jugendliche für so ein Projekt engagieren, wenn sie recherchieren, wenn sie darüber eine Seminararbeit schreiben und danach die Ergebnisse ihrer Arbeit total souverän öffentlich präsentieren, und wenn sie uns erzählen, was dieses Projekt für sie persönlich bedeutet, da denke ich, ja, da wurde gute Arbeit gemacht.
Es ist oft so, dass die beiden Zielgruppen Jugendliche und Erwachsene in der Bildungsarbeit getrennt adressiert werden. Das war in diesem Projekt anders.
Das stimmt. Da war die tolle Betreuung von Frau Gerhardus und von Frau Bäuml vom Ignaz-Taschner-Gymnasium. Beide haben den Jugendlichen sehr engagiert vermittelt, wie man eine solche Arbeit macht. Aber es ging nicht nur um die Seminararbeit, sondern um die Inhalte und auch um das Menschliche.
Das ist für mich sehr wichtig in diesen deutsch-polnischen Beziehungen. Tatsächlich sind da großartige Arbeiten entstanden und ich glaube, diese Zeit hat für die Jugendlichen, die jetzt Abitur gemacht haben und ihren Weg gehen, eine besondere Bedeutung. Diese Erfahrungen bleiben ihnen.
Eine Studienreise nach Auschwitz, nach Oświęcim, ist ein Erlebnis, das die größte Dimension aufzeigt, die man sich von den furchtbaren nationalsozialistischen Verbrechen vergegenwärtigen kann. Die Teilnahme an dieser Studienreise informierte die Jugendlichen einerseits über das schreckliche Geschehen, aber andererseits haben sie überall in Polen Gastfreundschaft erfahren. Ich glaube tatsächlich, dass diese Zeit sie für immer prägen wird.
Es waren eine ganze Reihe erwachsener Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Studienreisen dabei, die Bildungsarbeit im Landkreis Dachau oder in Oświęcim leisten. Was denken Sie, hat das deutsch-polnische Projekt hier bewirkt?
Ich denke, es hat für beide Seiten etwas angestoßen. Ich durfte die polnische Delegation hier die ganze Zeit begleiten und das war fantastisch, weil man sieht, dass solche Studienreisen für die Menschen eine besondere Wirkung haben können. Diese Reise hat gezeigt, wow, wir haben gemeinsame Interessen, wir wollen das Gleiche erreichen. Ich weiß, dass in der polnischen Gruppe Projektideen entstanden sind, die ohne diese Reise nicht möglich gewesen wären.
Und das Projekt, woran wir jetzt tatsächlich mit ganzer Leidenschaft und viel Herz arbeiten, ist die Schulpartnerschaft zwischen unseren beiden Gymnasien, also dem Gymnasium in Oświęcim und dem Ignaz-Taschner-Gymnasium hier in Dachau. Das ist so ein Projekt, das ohne diesen deutsch-polnischen Austausch vom Dachauer Forum vielleicht nicht entstanden wäre.
Natürlich, auf kommunaler Ebene arbeiten wir seit Jahren bestens mit unseren Kolleginnen und Kollegen vom Landratsamt Oświęcim zusammen und wir haben tolle Partner dort. Aber es geht mir darum, dass die Menschen auf mich zukommen und sagen, Frau Czech-Sailer, ich möchte ein Projekt mit Oświęcim machen, können Sie mir da helfen. Das war hier tatsächlich der Fall und deswegen ist mir das so wichtig.
Gab es auch Schwierigkeiten im Lauf des Projekts?
Von Schwierigkeiten ist mir nichts bekannt. Ich weiß natürlich, dass sich die Kollegin von der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim verabschiedet hat und nach Deutschland umgezogen ist. Längere Zeit hatten wir keine „richtige“ Ansprechpartnerin auf der polnischen Seite, aber trotzdem hat die IJBS alles nur Mögliche getan, damit es reibungslos weiterläuft. Und tatsächlich haben sie das geschafft.
Und mit der neuen Kollegin, Frau Piotrowska, die auch hier war, hatten wir dann die denkbar beste Ansprechpartnerin, die mit neuen Ideen dazugekommen ist. Das war sehr schön, weil sich dieses Projekt durch die Menschen entwickelt hat, die daran teilgenommen haben. Jeder von uns hatte andere Vorstellungen, andere Erfahrungen und dieser Austausch hat dieses einzigartige Projekt begleitet.
Die im Projekt entstandene Ausstellung „Namen statt Nummern – Menschen in Auschwitz und Dachau“ ist ja zurzeit in Polen unterwegs und es soll eine Veranstaltung im „Zentrum für Dialog und Gebet“ in Oświęcim geben. Gibt es neben der hoffentlich realisierbaren Schulpartnerschaft und diesen Aktivitäten rund um die Ausstellung noch weitere Planungen oder Ideen?
Zu der Veranstaltung, die Sie angesprochen haben, ist es ja gekommen, weil die stellvertretende Leiterin des „Zentrums für Dialog und Gebet“ auch mit dieser Delegation aus Oświęcim hierhergekommen ist. Sie war begeistert davon, was die Jugendlichen hier auf die Beine gestellt haben. Sie hat sich die neuen Banner dieser Ausstellung im Ignaz-Taschner-Gymnasium angesehen. Aber sie hat auch von der Geschichte des Gedächtnisbuchprojekts gehört, vergessen wir nicht, das Gedächtnisbuch gibt es seit 25 Jahren, das ist unglaublich.
Dann hat sie den Kontakt aufgenommen und sagte, vielleicht sei es möglich, mit dem Dachauer Forum und dem Gedächtnisbuch weiterzuarbeiten. Sie fragte auch, ob Frau Gerhardus bereit wäre, eine Schulung zu geben, wie man so etwas auf die Beine stellt.
Man kann sich nichts mehr wünschen als einen solch positiven Projektabschluss. Ich bin mir sicher, das war nicht die letzte Zusammenarbeit zwischen dem Dachauer Forum und den Bildungseinrichtungen in Oświęcim, beide leisten tolle Arbeit.
Mit Sicherheit wird sich der deutsch-polnische Austausch auch nach seinem offiziellen Abschluss ausweiten.
Gibt es etwas, was Sie uns noch sagen wollen?
Ja. Dass ich mich auf weitere Vorhaben sehr, sehr freue. Egal ob es mit dem Dachauer Forum ist oder mit anderen Vereinen in Dachau. Wir sind immer offen und hoffen tatsächlich, dass dieses Zusammenbringen von Menschen in unseren beiden Landkreisen stattfindet und weiter stattfinden wird.
Das ist eigentlich mein Ziel und mein größter Wunsch, dass die Menschen sich kennenlernen – auf Augenhöhe. Und dass sie verstehen, dass wir gleich sind, mit denselben Problemen, mit denselben Wünschen. Nur wenn man offen ist, kann man Vorurteile abbauen, und man hat keine Angst vor dem Fremden oder Nicht-Bekannten. Das ist das Wichtigste in diesen internationalen Projekten.
Mehr zum deutsch-polnischen Projekt auf dieser Website
https://www.gedaechtnisbuch.org/deutsch-polnisches-projekt/
(12.7.24. Interview und Foto Irene Stuiber)