Wir trauern um Henk van de Water

In den Niederlanden ist am 21. September 2022 Henk van de Water, der letzte niederländische Überlebende des KZ Dachau, gestorben. Sein großer Traum, am 29. Januar 2024 seinen hundertsten Geburtstag zu feiern, durfte er leider nicht erleben.

„Genießt das Leben, Jungs, so wie ich!“ Diesen Ratschlag gab Henk den Schülern Jelle und Ischa, die 2014 für das Gedächtnisbuch ein Interview mit ihm führten. Nach dem ernsten Interview über die Kriegszeit und Henks Haft im KZ Dachau fanden sie gleich ein leichtes Thema, über das sie (nun beim Bier) weiter plaudern konnten. Genauso wie die beiden Schüler liebte Henk Fußball. Leidenschaftlich erzählte er den beiden über den FC Eindhoven, dessen ältester Fan er war. Nie verpasste Henk ein Heimspiel der ersten Mannschaft seines Fußballclubs. Nachdem er im hohen Alter Ehrenmitglied des Vereins geworden war, schaute er sich jedes Heimspiel zusammen mit seiner Frau von der Skybox aus an. „Dort ist es bequem und ich bin natürlich froh darüber“, sagte er. „Aber eigentlich war es schöner, als ich jünger war und wir uns das Spiel noch von der Tribüne aus anschauen konnten. Denn da sitzen die wirklichen Fans und ist es richtig gemütlich.“

Henks Leben hatte einen schwierigen Anfang. Seine Mutter starb, als er erst drei Jahre alt war und hinterließ vier Kinder. Sein Vater heiratete von neuem und es kamen noch sechs Kinder dazu. Doch die Pflegemutter mochte Henk nicht und er wurde er in ein Heim geschickt. Für Henk war es eine besonders einsame Zeit. Als er 16 war und die Pflegemutter starb, wurden alle Kinder in Heime gebracht. Weil Henk dafür zu alt war, mietete sein Vater für sich und ihn ein Zimmer. Das war 1940, als die Niederlande von den Deutschen besetzt wurden.

Henk hatte eine Stelle bei Philips in Eindhoven, wurde 1943 jedoch gezwungen, im Rahmen des Arbeitseinsatzes nach Deutschland arbeiten zu gehen. In Stuttgart wurde er sehr von Heimweh gequält und als ihm nach zwei Jahren immer noch kein Urlaub gestattet wurde, beschloss er abzuhauen. Er wurde verhaftet, zurück zum Arbeitsplatz gebracht, verweigerte aber die Arbeit und wurde dann ins KZ Dachau verschleppt. Die fast drei Monate, die er hier bis zur Befreiung verbrachte, machten einen unauslöschlichen Eindruck auf ihm. Schwer erkrankt vom Flecktyphus überlebte er nur knapp.

Trotz oder vielleicht gerade wegen all dem, verstand Henk es, das Leben zu genießen. Zusammen mit seiner Frau Ria, die er nach dem Krieg kennenlernte, arbeitete er bis ins hohe Alter 43 Jahre lang als Marktkaufmann. Die Sommerferien verbrachten sie häufig in Monaco und im Winter ging es zum Skilaufen in die Berge in der Schweiz. Es war eine glückliche Ehe: Ria war seine große Liebe und Henk die ihre. „Ria, wir haben es zusammen so gut, nicht wahr?“, sagte er ihr oft. Henk betonte immer wieder, wie glücklich er mit ihr war. Ein großer Redner war er nicht, doch als am 22. März 2015 Henks Gedächtnisblatt von Ischa und Jelle in Dachau präsentiert wurde, überwand er seine Nervosität und nutzte die Gelegenheit, Ria in seinem Schlussworts eine öffentliche Liebeserklärung zur bevorstehenden Goldenen Hochzeit zu machen.

Die Beerdigung findet am Mittwoch, dem 28. September 2022, in kleinem Kreis statt. Wir wünschen Ria viel Kraft bei diesem Verlust.

Link zum Gedächtnisblatt
https://www.gedaechtnisbuch.org/gedaechtnisblaetter/?f=W&gb=7420

(24.9.22; Foto: Ria van de Water; Text: Jos Sinnema)