Wiedersehen mit Ernst Sillem
Sydney Weith hat 2013 über Ernst Sillem ein niederländisches Gedächtnisblatt verfasst. Im Januar 2017 traf sie den Dachau-Überlebenden in Südfrankreich wieder. Hier ihr Bericht.
Ernst Sillem. Das ist der Mann, über den ich im Jahre 2013 ein Gedächtnisblatt verfasst habe. Ein Holländer, der nach dem Krieg nicht lange in den Niederlanden blieb und der, nachdem er 28 Jahre lang in Marokko gelebt hatte, in Südfrankreich seine Heimat fand. Dort zauberte er eigenhändig aus einer Ruine einen schönen Palast. Als wir uns das erste Mal begegneten, erzählte er stolz über diesen Palast, in dem er bis heute mit seinen zwei Hunden Cast und Tara wohnt. Ich hatte nie die Chance, ihn dort aufzusuchen. Bis letzten Januar.
Nach anderthalb Tagen Autofahrt kamen mein Freund und ich in Pernes-les-Fontaines an, einem winzigen Dorf in der Nähe von Marseille. Über einen schmalen Weg erreichten wir Ernsts Wohnung, wo das Tor bereits für uns geöffnet war. Das Wiedersehen war etwas ganz Besonderes, die zwei Tage, die darauf folgten, ebenso. Wir haben Erinnerungen aufgefrischt, uns Fotoalben angeschaut und französischen Wein getrunken. Auch haben wir viele Spaziergange durch die wunderschöne Umgebung voller Wälder und Weingärten gemacht. Ernst steht jeden Morgen um 5 Uhr auf, um, sobald es hell wird, mit seinen Hunden hinauszugehen. Zum Glück für mich war es Winter, als wir ihn besuchten, und es wurde erst um 8 Uhr hell. Die Spaziergänge, die wir morgens zusammen gemacht haben, waren gemütlich, und ich habe mich darüber gewundert, wie ein 93-jähriger Mann fähig ist, solche steile Strecken durch den Wald zu gehen. Er erklärte mir, dass er kleine Tricks dafür hat. Manchmal lässt er sich von seinen Hunden ‚ein bisschen den Berg herauf ziehen‘. Auch ruht er unterwegs bei einem bestimmten Baumstumpf immer ein wenig aus. Vielleicht das Rezept, um gesund und vital alt zu werden?
Die Zeit flog vorbei, ich wäre gerne noch etwas länger geblieben. Ich glaube, Ernst dachte genauso darüber, denn er sagte, er hätte uns gerne noch etwas mehr von der Umgebung gezeigt. Und als wir abfuhren, lud er uns gleich ein, nochmal vorbeizukommen. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, werde ich dies sicher tun. Aber dann im Sommer, damit ich herrlich in seinem Swimmingpool planschen kann!
Das Gedächtnisbuchprojekt hat mir viel gebracht. Das Schönste von allem ist die Beziehung, die ich mit einem ehemaligen Häftling aufbauen konnte. Alle Erfahrungen werde ich mit mir mittragen. Auch dieser Besuch hat mir einen Schatz an Erinnerungen geliefert.
(25.4.2017. Text: Sydney Weith)