Vortrag zur Geschichte jüdischer Lehrer in Schwaben
In einem Referat zur Geschichte jüdischer Lehrer in Schwaben stellte Sabine Gerhardus unlängst zwei Lebensgeschichten jüdischer Lehrer vor, die Schüler im Rahmen des Schwesterprojekts des Gedächtnisbuchs, dem BLLV-Projekt Erinnern, unter ihrer Leitung erarbeitet hatten. Dies geschah im Rahmen der „34. wissenschaftlichen Tagung zur Geschichte und Kultur in Schwaben“.
Die „34. wissenschaftliche Tagung zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben“ wurde durch den Heimatpfleger i.R. des Bezirks Schwaben, Peter Fassl, organisiert und moderiert. Mit dem Schwerpunktthema „Jüdische Ärzte, Juristen und Lehrer in Schwaben vom 19. Jahrhundert bis in die Neuzeit“ sollten Forschungslücken über die Vertreter dieser Berufsgruppen geschlossen werden, erläuterte Fassl. Zwar lägen zahlreiche Forschungsarbeiten zu diesen Gruppen für andere Regionen Deutschlands vor, jedoch nicht für Bayerisch-Schwaben. Mit einem Überblick über die Situation der jüdischen Lehrer in Schwaben eröffnete Gerhardus die Sektion „Lehrer“.
Sabine Gerhardus bedankte sich bei den Veranstaltern für die Einladung. Sie freue sich über die Gelegenheit, auf der Konferenz die Erinnerungsarbeit des BLLV vorstellen zu dürfen. Ihren Vortrag begann sie mit einem Zitat des BLLV-Ehrenpräsidenten Klaus Wenzel bei der Gedenkfeier in den Räumen der Landesgeschäftsstelle anlässlich der 150-Jahrfeier des Verbands: „Als BLLV schämen wir uns, weil wir Schuld auf uns geladen haben.“ Es sei unverzeihlich, „dass wir unsere jüdischen Kolleginnen und Kollegen in der Zeit ihrer Verfolgung im Stich ließen, dass auch wir sie aus unserer Solidargemeinschaft ausgeschlossen und dass wir sehr lange diesen Teil unserer Verbands- und unserer Professionsgeschichte verdrängt haben.“
Der BLLV hat sich der eigenen Geschichte gestellt und die Erforschung der jüdischen und verfolgten Kollegen in Bayern in Auftrag gegeben. Seitdem ist eine Datenbank mit mehreren hundert Namen von bayerischen Lehrern und ein Schülerprojekt entstanden, in dem Schüler und Schülerinnen Biographien von jüdischen und verfolgten Lehrern erstellen. 2020 veröffentlichte der Berufsverband eine Studie über jüdische Verbandsmitglieder: „Max Liedtke und Wolfgang Sosic: Von Aufbrüchen und Tragödien. Jüdische Mitglieder im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) 1861-1945“. Mit dem „Forum Erinnern“ (forum-erinnern.de) hat der BLLV 2021 zudem eine Vernetzungs-Plattform der Erinnerungsarbeit geschaffen, über die Bildungsangebote und Erinnerungsprojekte zur Geschichte des Nationalsozialismus aktuell vorgestellt werden.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzte die Landflucht den jüdischen Landgemeinden in Bayern zu, erläuterte Sabine Gerhardus weiter. Die Zahl der jüdischen Einwohner Schwabens sank von 6891 im Jahr 1840 auf nur noch 2490 im Jahr 1932 – von denen nur noch 412 in Landgemeinden lebten. In Schwaben gab es 1926 noch 13 israelitische Kultusgemeinden, die noch elf Religionsschulen bestrieben, davon drei mit einem Wanderlehrer. Dazu gab es noch vier jüdische Volksschulen. Im Vergleich dazu hatte der Regierungsbezirk Unterfranken noch 112 Kultusgemeinden und 97 jüdische Bildungseinrichtungen.
Auf der Grundlage von zwei von Schülerinnen verfassten Biographien referierte Sabine Gerhardus über den Ausbildungsweg und die soziale Lage der jüdischen Volksschullehrer zwischen dem auslaufenden 19. Jahrhundert und der Zerschlagung der jüdischen Gemeinden in der NS-Zeit.
Ein Gedächtnisblatt über den Augsburger Religionslehrer Ernst Fränkl schrieb 2022 die Schülerin des Dachauer Ignaz-Taschner-Gymnasiums Dachau, Marie-Sophie Albrecht. Fränkl wurde 1874 in Altenstadt an der Iller geboren. Bevor er sich für ein Universitätsstudium entschied, das er mit Promotion abschloss, durchlief er die zu seiner Zeit vorgeschriebene Volksschullehrer-Ausbildung und den Ausbildungsweg zum jüdischen Religionslehrer. Den Vorbereitungsdienst leistete Fränkl als Religionslehrer in der fränkischen Gemeinde Georgensgmünd. 1896 legte er die Anstellungsprüfung in Augsburg ab, wo er über 40 Jahre blieb. Im November 1938 war Ernst Fränkl im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager floh er nach Kapstadt/Südafrika. Dort fand er Arbeit als Privatlehrer. Ernst Fränkl starb am 29. März 1949 in Kapstadt.
Die Biographie des Religionslehrers und Kantors Moses Wetzler wurde 2017 von der Schülerin Franziska Haupt am Eichendorff-Gymnasium Bamberg verfasst. Moses Wetzler stammte aus Mittelfranken, er schloss ein Schullehrerseminar in Würzburg ab, sein Zeugnis wurde von der Königlich Bayerischen Schullehrer-Inspektion gezeichnet. Da er 1868 auch eine Prüfung bei Rabbiner Dr. Seligmann Bär Bamberger, dem Gründer der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt Würzburg ablegte, konnte er als Religionslehrer arbeiten. Seine Anstellungsprüfung bestand er 1872. Wetzler war acht Jahre als Religionslehrer, Kantor und Schächter in Binswangen tätig, von 1874 bis 1882, anschließend kehrte er wieder nach Franken zurück. Bis 1921 war er Lehrer in Kronach.
Ein Tagungsband mit den Vorträgen der Konferenz soll 2023 erscheinen.
(29.10.22; Sabine Gerhardus/IS)