Teil 2: Elf neue Gedächtnisblätter

Hier der zweite Teil des Berichts über die Jahrespräsentation des Gedächtnisbuchs am 22. März 2022 in Dachau.

 

Vorgestellt wurden im zweiten Teil des Abends die Gedächtnisblätter zu Alfred Grünebaum, Georg Wagner, Nico Staal, Josef Gunzenhäuser, Josef Pröll und Karl Nolan. Ebenfalls auf dem Programm stand ein Grußwort von Josef Pröll jun.

Ein großes Dankeschön an die Kinder Alfred Grünebaums

Ihr Gedächtnisblatt zu Alfred Grünebaum erarbeitete Mileen Sentürk im W-Seminar am Ignaz-Taschner-Gymnasium.

Der jüdische Lehrer Alfred Grünebaum wirkte ab 1930 in Obbach als Religionslehrer und Kantor. Nach der Reichspogromnacht erlitt er Gefängnis- und Konzentrationslagerhaft. Anfang Januar 1939 wurde Grünebaum aus dem KZ Dachau entlassen und bemühte sich um die für die Emigration nötigen Unterlagen für sich und seine Familie. Die nötigen Visa-Papiere erhielt er schließlich nach vielen Mühen im Mai 1940, im September 1940 konnte er via Lissabon mit seiner Familie in die USA reisen. Die Grünebaums nannten sich fortan Gruen und lebten von der Tätigkeit Alfred Grünebaums als Kleinunternehmer, seinen eigentlich Beruf als Lehrer konnte er nicht mehr ausüben. Alfred Gruen starb in Tennessee im Mai 2007.

Mileen Semtürk bedankte sich mit einem „großen Dankeschön“ bei den Kindern Alfred Gruens, die „bereit waren, so viel wie möglich über das Leben ihres Vaters mit mir zu teilen.“

Georg Wagner: aktives KPD-Mitglied in Dachau

Anna Brandmair vom Ignaz-Taschner-Gymnasium referierte über den Lebensweg Georg Wagners, der als Bauhilfsarbeiter ab 1928 auf jenem Gelände wohnte, auf dem die Nazis 1933 das Konzentrationslager Dachau errichteten. Wagner arbeitete als Hilfsarbeiter auf dem Bau und war aktives Mitglied der KPD. Er erlitt deswegen eine 15-monatige KZ-Haft, später nochmals eine zweijährige Haft in einem Arbeitshaus. Schwere gesundheitliche Folgen, sein ganzes Leben lang, und Arbeitsunfähigkeit waren die Folge.

„Ich bin der Lebensgeschichte von Georg Wagner sehr nahegekommen.“, fasste Anna Brandmair ihre Erfahrungen mit der Arbeit am Gedächtnisblatt zusammen.

Nico Staal: Erfahrungen der Haft prägten den Nachkriegsalltag seiner Familie

Der Niederländer Jos Sinnema berichtete über den Amsterdamer Widerstandskämpfer Nico Staal und seine Familie. Eigens für die Präsentation nach Dachau gereist war die Tochter Nico Staals, Nicolien, mit ihren beiden Kindern.

Nico Staal und seine Frau Mien versteckten während der NS-Besetzung Juden und Widerstandskämpfer in ihrer Wohnung, Nico Staal war auch am Flugblatt „Vry Nederland“  beteiligt. Mehrere Jahre musste Nico Staal im Gefängnis und in Konzentrationslagern verbringen. Sinnema erläuterte, wie stark die Auswirkungen der Haft auf den Alltag der Familie in der Nachkriegszeit waren. So erinnere sich die Tochter an Alpträume des Vaters, der nachts schreiend aufgewacht sei, und an häusliche Gewalt. Dass er beschädigt  aus dem KZ heimgekehrt sei, so Sinnema, zeigte sich auch an einer „eiskalten, mechanischen Erziehung“ der Kinder.

Für die Arbeit am Gedächtnisblatt nutzte Jos Sinnema Briefe, die der Familie bis dahin unbekannt waren. Die Enkelin Nico Staals habe, so der Referent, zum entstandenen Gedächtnisblatt gesagt: „Es sorgt dafür, dass unsere Familiengeschichte nicht mehr so Schwarz-Weiß ist. Es zeigt, dass es Graufarben dazwischen gibt und dass sie hoffentlich sanfter werden kann.“

Josef Gunzenhäuser: Rückkehr nach Deutschland trotz Auslandsaufenthalt

Trotz der umfangreichen Recherche zum Leben Josef Gunzenhäusers seien für sie noch Fragen offen geblieben, fasste Anna Schlichenmayer ihre Arbeit am Gedächtnisblatt zusammen.

Josef Gunzenhäuser lebte als promovierter Rechtsanwalt in München, ab 1933 durfte er als Jude seinen Beruf nicht mehr ausüben und unterrichtete als Sprachlehrer in den israelitischen Kultusgemeinden München und Augsburg. Von 1936 bis 1938 hielt er sich in Italien auf, wurde aber durch die Nicht-Verlängerung seines Reisepasses gezwungen, nach Deutschland zurückzukehren. 4 Monate Konzentrationslager erlitt er nach der Reichspogromnacht. 1941 zwang man ihn und seine Mutter, in ein sogenanntes Judenhaus zu ziehen, dann in das Sammellager Berg am Laim, schließlich in das Lager Milbertshofen. Hier zog sich Josef Gunzenhäuser eine Blutvergiftung zu, die zu einem Krankenhausaufenthalt führte. Von hier aus wurde er in das Ghetto Theresienstadt gebracht. Auch Gunzenhäusers Mutter wurde nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte das Ghetto und berichtete später, als sie schon in den USA lebte, in einer Erinnerungssammlung vom Tod ihres geliebten Sohnes im Juli 1942 in Theresienstadt.

Für Anna Schlichenmayer stellt sich vor allem die Frage, wieso Josef Gunzenhäuser von Italien nach Deutschland zurückkehrte und nicht wie sein Bruder emigrierte. „Doch ich befürchte, dass dies wohl vorerst ein Geheimnis bleiben wird.“, so die Gedächtnisblatt-Autorin.

Josef Pröll: ein Augsburger Arbeiterschicksal

Emilie-Sophie Gebhardt widmete ihr Gedächtnisblatt dem aus Augsburg stammenden Arbeiter Josef Pröll. Er trat mit 18 Jahren dem Kommunistischen Jugendverband bei, später dann der KPD. Dies brachte ihm bereits während der Weimarer Republik eine Wohnungsdurchsuchung und ein Hochverrats-Verfahren ein, das allerdings wegen Mangels an Beweisen eingestellt wurde. Die Nazis verhafteten ihn bereits am 10. März 1933, nach mehrwöchigem Gefängnisaufenthalt überstellten sie ihn in das KZ Dachau. 1935 wurde er aus dem KZ entlassen, 1936 folgte dann wieder eine vierwöchige U-Haft, bei Kriegsbeginn steckten ihn die Machthaber wieder ins KZ. Am 11. April 1945 wurde Pröll in Buchenwald befreit. Der Neuanfang in Augsburg gelang nach dem Krieg nicht, die Familie zog nach Gersthofen.

Die Verfasserin des Gedächtnisblatts meinte: „Besonders bewegt hat mich die Familiengeschichte der Familie Pröll, was die Familie alles durchmachen musste und wie sie alle unter dem Naziregime gelitten haben.“

Karl Nolan: KZ-Haft nach Gefängnisstrafe

Demselben politischen Umfeld wie Josef Pröll gehörte Karl Nolan an, über dessen Schicksal Anna-Lena Köpf berichtete. Auch Nolan war bereits vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in ein Hochverratsverfahren verwickelt, er wurde Anfang Januar deswegen vom Reichsgericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung 1934 stand er unter ständiger Polizeiaufsicht. Im März 1935 wurde er wieder zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, ihm wurde unterstellt, dass er sich an Aktionen einer Widerstandsgruppe beteiligt hätte. Nachdem er auch diese Gefängnisstrafe verbüßt hatte, deportierte man ihn ins KZ Dachau. Hier kam er am 31.10.1937 ums Leben. Die Referentin betonte besonders die vollkommene Willkür der tödlich endenden KZ-Haft.

Josef Pröll: „Gedenken allein genügt schon lange nicht mehr“

Als Ehrengast richtete Josef Pröll seine Worte an das Publikum. Pröll, der denselben Name wie sein von den Nazis verfolgter Vater trägt, sprach als Nachkomme ehemaliger Verfolgter und als Vertreter der Lagergemeinschaft Dachau. Er äußete sich zu Erinnerungskultur und Friedensbewegung.

„Es betrifft jeden von uns. Gedenken allein genügt schon lange nicht mehr.“, so Pröll. „Gedenkstätten, das haben wir schon oft festgestellt, sind Lern- und Begegnungsstätten und – Friedhöfe.“ Er formulierte ein dringendes Anliegen für die Zukunft: „Anders als bisher sollten wir eine Streitkultur entwickeln, die uns trotz unterschiedlicher Meinungsbilder und dadurch zwangsläufig entstehenden Streitgesprächen Menschen bleiben lässt.“ Pröll appelliert an das Publikum: „Wir müssen eine Streitkultur entwickeln, die nicht ausgrenzt, nicht beleidigt, andere nicht diffamiert. Solch eine Streitkultur zu pflegen, ist auch Friedensarbeit.“

Annerose Stanglmayr: „Leider muss ich zum Schluss noch über’s Geld reden“

Die Verabschiedung für den Trägerkreis übernahm Annerose Stanglmayr, Geschäftsführerin des Dachauer Forums. Sie bedankte sich herzlich bei allen Beteiligten. Leider musste die Rednerin, wie sie sagte, „ganz am Schluss noch über’s Geld reden“. Das Gedächtnisbuch benötigt dringend Spenden für die Fortführung seiner Arbeit.

Daher zum Ende dieses Artikels die Kontonummern für Spenden:

Sparkasse Dachau IBAN: DE68 7005 1540 0380 9352 62
BIC: BYLADEM1DAH

Volksbank Raiffeisenbank Dachau IBAN: DE05 7009 1500 0000 0155 55
BIC: GENODEF1DCA

Empfänger Dachauer Forum, bitte mit dem Vermerk: Spende Gedächtnisbuch

(18.4.22; IS. Das Foto Annerose Stanglmayrs ist dem Film von Josef Pröll entnommen.)