Pim Reijntjes liest im Gedächtnisbuch (2011)

 

Pim Reijntjes ist gestorben

Trauer um Pim Reijntjes: Soeben erreichte uns die Nachricht, dass Pim Reijntjes am Morgen des 26. November 2014 nach kurzer Krankheit gestorben ist.

Pim Reijntjes war 2010 der erste ehemalige Häftling, der niederländischen Schülerinnen (Lieke Beemster und Ledmia Baghdadi) ein Interview für das Gedächtnisbuch gegeben hat. Er war so begeistert von ihrer Arbeit, dass er am 22. März 2011 zur jährlichen Veranstaltung in Dachau mitgefahren ist, wo Lieke und Ledmia seine Biographie präsentierten.

Im niederländischen Fernsehen. Foto Hans Vink Quelle: @ Max
Pim Reijntjes wuchs in Amsterdam auf. Er erlebte im Mai 1940 als Soldat den deutschen Luftangriff auf Rotterdam, bei dem die historische Altstadt zerstört wurde und hunderte Menschen ihr Leben verloren. Später schloss er sich dem Widerstand an. 1943 versuchte er zusammen mit seinem Bruder Loek und sechs weiteren Kameraden, mit einem Fischerboot von IJmuiden nach England überzusetzen, um sich dort den niederländischen Streitkräften anzuschließen. Die Gruppe flog auf und wurde verhaftet. Die Brüder kamen in das berüchtigte Gefängnis Oranjehotel in Scheveningen und dann in die Konzentrationslager Vught, Amersfoort, Natzweiler und schließlich nach Dachau, wo sie am 29. April 1945 befreit wurden. Von den acht Verhafteten überlebten nur die beiden Brüder den Terror der Nationalsozialisten. Pim Reijntjes setzte sich für die Erichtung eines nationalen Dachau-Denkmals in Amsterdam ein, das 1996 eröffnet wurde, und er war der erste Vorsitzende der Stiftung National Denkmal Dachau.

Pim, Lieke und Ledmia in Dachau 2011
Pim stand am Anfang des Projekts Gedächtnisbuch in den Niederlanden. Am Vorabend ihrer gemeinsamen Reise nach Dachau im März 2011 waren Pim, Lieke und Ledmia zusammen im niederländischen Fernsehen und haben über das Gedächtnisbuchprojekt erzählt. Pim Reijntes´Unterstützung brachte einen Stein ins Rollen: seitdem gaben auch andere ehemalige Häftlinge in den Niederlanden Schülern ein Interview. Inzwischen ist es schon Tradition geworden, dass jedes Jahr Schüler von Holland aus nach Dachau fahren, um neue Biographien über ehemalige niederländische Häftlinge zu präsentieren. Bis jetzt ist jedes Jahr zumindest einer der Überlebenden mitgefahren.

 

(Text: Sabine Gerhardus und Jos Sinnema)

 

Holland: eindrucksvoller Besuch in Ravensbrück

Letztes Wochenende waren wir vier Schüler des Het Baarnsch Lyceums in Ravensbrück. Der Besuch war Teil unserer Recherche zu zwei neuen Biographien für das Gedächtnisbuch. Mit Jur Plötz schreibe ich über Frau Bueninck. Sie war in den KZs Vught (Herzogenbusch), Ravensbrück und Dachau. Jeannot Mets und Fedde van der Herberg schreiben über Herrn Pratomo, dessen Frau in Ravensbrück war. Er selbst war in Vught und Dachau.

Es war noch früh, als wir am Samstagmorgen von unserem Hotel aus zur Gedenkstätte fuhren. Es waren nur zehn Minuten zu fahren. Als wir ankamen, fiel mir gleich eines auf: der große Kontrast zwischen dem SS-Bereich des Lagers und das KZ selbst. Im SS-Bereich standen schöne, große Häuser, fast alle mit Aussicht auf einen See. Es gab viele Bäume und die Atmosphäre war beruhigend. Als wir ein Stückchen weitergingen, kamen wir zum Tor zwischen dem SS-Bereich und dem eigentlichen KZ. Eine große Leere kam uns jetzt entgegen. Straßen bedeckt mit kleinen schwarzen Steinen wurden sichtbar. Das Lager war umsäumt von einer hohen Mauer. Teilweise gab es noch Stacheldraht.

Wir hatten eine Führung und bekamen viel zu sehen. Bemerkenswert war das große Gebäude ganz am Ende des Lagers, zu dem wir nach der Führung auf eigene Initiative gegangen sind. Gigantisch große, leere Räume erwarteten uns.  Hier fand ich es leichter, mir vorzustellen, wie es gewesen sein muss. Wir liefen durch das leere Gebäude und die Stille berührte mich. Man steht in so einem großen Raum und wird 70 Jahre zurück in der Zeit versetzt. Ich konnte die Reihen von Tischen mit Nähmaschinen wirklich vor mir sehen, an  denen junge Frauen arbeiten mussten. Von Uniformen bis zu Schuhen wurde hier alles Mögliche fabriziert. Und glaub nur nicht, dass man abends um sechs todmüde in die Baracke gehen durfte. Nein, hier wurde Zwangsarbeit erbracht und das ist nach so langer Zeit immer noch spürbar.

Unsere Begleiter, Jos Sinnema und Peter Mreijen, konnten uns viel erzählen über das, was es im Lager zu sehen gab. Manchmal las Jos eine Passage aus den Memoiren einer Frau vor, die in Ravensbrück inhaftiert war. Alles kommt einem dann ganz nah. Sehr eindrucksvoll waren auch die alten Zellen. Der Führer erzählte, welche Strafen es hier gab. Ich werde euch die Details ersparen, es war schrecklich. In jeder Zelle gab es Erinnerungen an Häftlinge aus einem bestimmten Land. In der „holländische Zelle“ gab es sogar eine Stickerei, die von Frau Bueninck gemacht worden ist.

Nachdem wir uns den KZ-Bereich des Lagers angeschaut hatten, haben wir das Haus des Lagerkommandanten besucht.  Auch das war sehr eindrucksvoll, denn es gab hier noch vieles zu sehen. Dadurch konnte ich mir gut vorstellen, wie man hier gelebt hat. Das Unheimlichste war wohl, dass der Kommandant hier mit seiner Frau und seinen Kinder gewohnt hat, und dass man von der Wohnung aus Aussicht über das KZ hatte. Zum Schluss sind wir auch noch in einer Wohnung gewesen, in der Aufseherinnen gewohnt haben. Auch hier gab es eine Ausstellung. Alles in allem war es ein sehr eindrucksvolles Wochenende. Es ist gut, dass ich die Chance bekommen habe, dies alles mit eigenen Augen sehen zu dürfen.

 

 

(Text: Tess Verduijn, Übersetzung Jos Sinnema/Irene Stuiber)

Holland: Gedenkstättenbesuch und Zeitzeugeninterview

 

Anfang September haben Valerie van Reeuwijk und Thijs de Dood, Schüler des Emmauscolleges in Rotterdam, die Gedenkstätte Natzweiler besucht. Der Besuch war Teil der Recherche für ihre Biographie über den niederländischen Widerstandskämpfer Dingenis Sinke. Valerie und Thijs haben in Natzweiler auch an einer internationalen Gedenkfeier teilgenommen. Hierüber schreibt Thijs:

Eine Fackelwacht stand nach dem Abendessen auf dem Programm. Nach einer Busfahrt durch das Dunkel, durch Nebel und ziemlich schweren Regen tauchte plötzlich das Denkmal auf. Ein wenig weiter stiegen wir aus und sind dann im strömenden Regen zum Denkmal gelaufen, dessen Spitze in Nebel gehüllt war. Bevor die Zeremonie anfangen konnte, mussten wir auf die Norweger warten, deshalb waren wir ziemlich starr vor Kälte und fast völlig durchnässt, als die Feier endlich anfing. Ich selbst hatte die Ehre, eine Fackel tragen zu dürfen. Dieser Teil ist mir deshalb besonders gut in Erinnerung.  Es war eine schöne Zeremonie, begleitet von einer Militärkapelle und der Fackelwacht. Das Wetter war schlecht, aber die Gedenkfeier war deswegen bestimmt eindrucksvoller, wegen der Atmosphäre, die dadurch entstand.

Dingenis Sinke war im KZ Vught, im KZ Natzweiler und wurde im KZ Dachau befreit. Inzwischen haben Valerie und Thijs ein Interview mit ihm geführt. Darüber schreiben sie:

Es war merkwürdig, Abschied von ihm zu nehmen, nachdem er uns gerade seine ganze Lebensgeschichte erzählt hatte. Wir denken, dass er ein gutes Gefühl wegen des Interviews hat, weil er die Kriegszeit abschließen möchte, indem er seine Geschichte zum ersten Male mit jemandem teilt. Das war für uns etwas sehr Besonderes.  Das Interview ist unserer Meinung nach gut verlaufen. Herr Sinke hat uns sehr viel erzählt. Es war schon anstrengend, denn das Interview hat zweieinhalb Stunden gedauert. Aber es war auch eine besondere Erfahrung. Das Interview war leichter als erwartet, weil Herr Sinke sehr ausführlich erzählt hat.  Wir sind wirklich ins Gespräch mit ihm gekommen.

(Text: Jos Sinnema)

 

 

 

 

„Kaum vorzustellen, was hier geschehen ist!” – Zehn holländische Schüler starten ihre Recherche für das Gedächtnisbuch

Am Sonntag, dem 31. August, besuchten zehn holländische Schüler die KZ Gedenkstätte Vught. Damit begannen die Recherchen für fünf neue Gedächtnisblätter über Holländer, die im KZ Dachau waren. März 2015 sollen die neuen Gedächtnisblätter fertig sein. Wenn alles läuft wie geplant, werden sie bei der jährlichen Veranstaltung am 22. März in das Gedächtnisbuch in Dachau aufgenommen. Ein Überlebender, über den die Schüler schreiben, hat bereits angekündigt, dass er gerne zur Veranstaltung mitfahren möchte.

Vier von den fünf ehemaligen Häftlingen, über die die Schüler schreiben, sind über Vught (KZ Herzogenbusch) nach Dachau gekommen. Im Het Baarnsch Lyceum schreiben Jeannot und Fedde über den im Niederländisch-Indien geborenen und jetzt hundertjährigen Djajeng Pratomo. Für das Gedächtnisblatt von Lies Buenick werden Tess und Jurre ein Interview mit seiner Tochter führen. Lies Buenick kam von Vught über Ravensbrück ins Dachauer Außenlager Agfa Kamerawerk und ist 2009 verstorben. Im Rotterdamer Emmauscollege arbeiten Valerie und Thijs an einem Gedächtnisblatt über den jetzt 89-jährigen Dingenis Sinke, der im Natzweiler Außenlager Markich war und im Dachauer Außenlager Allach befreit wurde. Joshua und Hannah, Schüler des Cartesius Lyceums in Amsterdam, schreiben über Nico Peeters. Dafür werden sie ein Interview mit seiner jetzt 91-jährigen Tochter führen, die mit ihrem Vater im kommunistischen Widerstand war. Nico Peeters ist nicht mehr heimgekommen, er starb Februar 1945 in Dachau. Der einzige, der nicht in Vught war, ist Henk van de Water, über den Ischa und Jelle schreiben. Der heute 90-jährige war als Zwangsarbeiter in Deutschland und kam wegen Flucht und Sabotage ins KZ Dachau.

In Vught haben die Schüler eine Führung durch die Gedenkstätte und eine Führung über das ehemalige SS Gelände mitgemacht. Die Gebäude im ehemaligen SS-Bereich werden heutzutage als Kasernen benutzt. Außerdem gibt es auf dem ehemaligen KZ-Gelände ein Wohnviertel und ein modernes Gefängnis. „Das macht es noch schwieriger, sich vorzustellen, was sich hier alles abgespielt hat und was Herr Sinke hier erleben musste.“, sagte Valerie. „Aber dieser Besuch hat mich auch neugierig gemacht auf das Interview mit ihm. Wir werden jetzt bestimmt mehr von dem verstehen, was er uns erzählen wird.“

(Text: Jos Sinnema)