Warum gibt es in München keine
Ludwig-Kaumheimer-Straße?
Interview mit Thomas Nowotny

Foto: Thomas Nowotny

Als der Kinderarzt Thomas Nowotny zum ersten Mal die Gedenkstätte in Dachau besuchte, dachte er, zum Glück war niemand von meiner Familie hier eingesperrt. Später erforschte er die Geschichte seiner Familie und erfuhr, dass vier seiner Münchner Verwandten in Dachau inhaftiert waren. Thomas Nowotny verfasste Gedächtnisblätter zu seinen Angehörigen und ein weiteres über den Münchner Kinderarzt Ludwig Kaumheimer, auf den er durch die schriftlichen Erinnerungen seiner Großmutter aufmerksam geworden war.

Deine Tante hat in den Zwanzigerjahren ihre Mutter gefragt: „Warum gibt es in München keine Kaumheimer-Straße?“, so beeindruckt war sie von ihrem Kinderarzt. Gibt es heute wieder einen Grund, diese Frage zu stellen?

Ja, unbedingt. Er war ein guter Kinderarzt, er war am von Haunerschen Kinderspital tätig, er hat dort auch Forschung betrieben, er ist im ersten Weltkrieg Soldat gewesen, hochdekoriert. Und dann ist er eben von den Nazis wie alle jüdischen Münchner sehr schlecht behandelt worden, er wurde in Dachau eingesperrt und ist aus dem  Land gejagt worden. Ich denke, das sind schon viele Gründe, auch heute an ihn zu erinnern.

Straßen werden oft nach Menschen benannt, die sich besonders für die Gesellschaft engagiert haben. Du hast die Tätigkeit von Ludwig Kaumheimer am von Haunerschen Kinderspital und seine wissenschaftliche Forschung als Arzt erwähnt. Gibt es darüber hinaus noch weitere Aktivitäten?

Ludwig Kaumheimer hat bis in die dreißiger Jahre, bis zu seiner Emigration, die Kinder im Antonien-Heim ehrenamtlich betreut. Das Antonienheim war ab Mitte der zwanziger Jahre ein Heim für arme jüdische Kinder. Und er hat sich im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in München engagiert, er war stellvertretender Vorsitzender. Er gehörte also zu den Menschen, die sich öffentlich gegen Antisemitismus wandten und sich für die Integration jüdischer Deutscher in die Gesellschaft einsetzten.

Gibt es einen speziellen Ort, ein städtebauliches Umfeld, wo du dir eine Ludwig-Kaumheimer-Straße gut vorstellen könntest?

Ludwig Kaumheimer hatte seine Praxis in der Karlstraße 7. Ich denke nicht, dass man die Karlstraße umbenennen wird. Dort sollte aber eine Gedenktafel oder ein Stolperstein an ihn erinnern. Jetzt ist in Großhadern ein Neubau für das von Haunersche Kinderspital geplant. Bei einem solchen Neubau entstehen in der Regel neue Straßen. Da wäre es doch eine Idee, eine dieser Straßen nach ihm zu benennen.

Ludwig Kaumheimer ist 1938 in die USA emigriert. Was bedeutete das Exil für sein Leben?

Es bedeutete einen völligen Einschnitt, nicht nur was seine materiellen Lebensverhältnisse, sondern auch, was seine berufliche Karriere anging. Er konnte nicht mehr als Arzt arbeiten, weil er durch mangelnde Sprachkenntnisse nicht in der Lage war, das amerikanische Examen abzulegen. Er war ja nicht mehr der Jüngste, er war schon Mitte Fünfzig. Er arbeitete dann als Krankenpfleger in einem Krankenhaus in der Nähe von San Francisco. Und ich denke, das war ein harter Schlag für ihn. Denn nach dem, was ich über ihn weiß, war er mit Leib und Seele Kinderarzt.

(Das Interview führte Irene Stuiber.)