Augsburger Allgemeine Zeitung schreibt über Henry Landman

Einen Artikel über die Erlebnisse des aus Augsburg vertriebenen Henry Landman, der als amerikanischer Soldat zurückkehrte, bringt derzeit die Augsburger Allgemeine Zeitung. Wir haben in den letzten Einträgen seine Dachauer Erfahrungen bei Kriegsende wiedergegeben.
Online findet sich der Artikel der Augsburger Allgemeinen hier:
http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Ein-Befreier-einst-aus-Augsburg-vertrieben-id33865627.html .

 

Henry (Heinz) Landman und der 70. Jahrestag der Befreiung von Dachau

(Der englische Originaltext findet sich im vorhergehenden Blogeintrag.)

Veronika Stumpf schrieb vor einigen Jahren die Biographie von Henry Landman für das Gedächtnisbuch. Wir danken Rick Landman sehr herzlichen für den folgenden Text, der er über die Erinnerungen seines Vaters an die Befreiung von Dachau schrieb.

Mein Vater war sehr aufgewühlt, als er die Einladung zum 70. Jahrestag der Befreiung Dachaus erhielt. Denn er war nicht nur einer der amerikanischen Soldaten bei der Befreiung, sondern er war auch als Jude nach der Kristallnacht in Dachau interniert gewesen. Im Lauf der Jahre hat er mir viel über Dachau erzählt, aber die folgende Geschichte ist die wichtigste für den 70. Jahrestag der Befreiung. Sie folgt dem, was mir mein Vater erzählt hat.

 

1945 bestand die Stadt Dachau im wesentlichen aus einer Hauptstraße mit einigen Seitenstraßen. Als er diese Straße erreichte, war sie voller Menschen, die schrien, aßen, plünderten, und entweder wegen ihrer neuen Freiheit aufgeregt waren oder in Sorge darüber waren, was als nächstes passieren würde. Colonol Porter teilte ihm einen Jeep zu, und als er die Straße entlang fuhr, sprang eine Frau in einem langen schwarzen Kleid in die Mitte der Straße und winkte, um die Aufmerksamkeit meines Vaters auf sich zu ziehen. Sein Jeep hielt und mein Vater sprang in seiner US-Army-Uniform heraus, er hatte sein Gewehr bei sich und fragte sie, was sie wollte. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Dringlichkeit und Angst, aber sie beruhigte sich und bedeutete ihm, ihr in ein kleines Haus mit einer Bäckerei im Erdgeschoß zu folgen. Sie wollte die Straße verlassen, um ihm zu erzählen, warum sie so außer sich war. Im Haus erklärte sie, dass sich unten jemand versteckte, der sich direkt bei einem amerikanischen Soldaten ergeben wollte. Sie sagte, sie wolle ihn aus dem Haus haben und wüsste nicht, was sie tun sollte.

Der Mann, der in ihren Laden gerannt war, trug immer noch seine SS-Uniform und fürchtete sich mehr vor den gerade befreiten KZ-Häftlingen als vor der US-Armee. Mein Vater ging eine Wendeltreppe hinunter, er sicherte mit seinem Gewehr, als er langsam hinabstieg, und da, in eine Ecke gedrückt, stand womöglich ein ehemaliger diensthabender Hauptsurmführer der SS-Offiziere des Dachauer Konzentrationslagers. Als der Nazi-Offizier meinen Vater sah, stand er auf, salutierte mit dem amerikanischen Gruß und sagte, er wolle sich einem Amerikaner ergeben, um sicher vor dem Mob der früheren KZ-Insassen zu sein. Das alles kam meinem Vater sehr bizarr vor, denn er erinnerte sich gut daran, wie es war, in Dachau eingesperrt zu sein. Auch wenn dieser Mann nicht derselbe Diensthabende war wie 1938, erschien es meinem Vater sehr seltsam, der Retter eines SS-Offiziers zu werden. Rückblickend fragte sich mein Vater, ob der Oberst vielleicht der Sohn der schreienden Frau war und ob sie ihn vielleicht dazu gebracht hat, ihren Sohn zu retten.

Mein Vater erklärte nicht, wer er war und warum er Deutsch sprach und er ließ sie im Unklaren, ob alle US-Soldaten so versiert waren wie er. Der Offizier stieg mit den Händen über dem Kopf die Treppe hinauf. Mein Vater und der andere Soldat, der den Jeep bewachte, brachten den Hauptmann auf der Kühlerhaube des Jeeps unter und sie befahlen ihm, sich an der Metalstange festzuhalten, die an der Frontstoßstange befestigt war. Dieses Metalstange war die neueste Erfindung der Amerikaner, die die Jeepfahrer davor schützen sollte, enthauptet zu werden. Denn die Deutschen spannten dünne Metalldrähte zwischen Bäumen beiderseits der Straße und warteten darauf, dass die Amerikaner in ihren offenen Jeeps hineinfuhren und ihnen die Köpfe abeschnitten wurden.

An diesem Tag musste sich mein Vater nicht mehr wegen einer Enthauptung sorgen. Zusätzlich zur vorstehenden Metallstange hatte er einen Nazi-Offizier vor sich, der jeden Draht zuerst zu spüren bekommen würde. Als mein Vater die Dachauer Hauptstraße entlang fuhr mit dem prominenten Nazi auf dem Kühler, erinnerte er sich daran, dass man ihm vor sechs Jahren, als er aus Dachau entlassen wurde, gesagt hatte, er solle so schnell wie möglich Deutschland verlassen, weil er das nächste Mal nicht mehr lebend aus dem Lager käme. Sechs Jahre später rettete er einen Mann, der für das ganze Morden verantwortlich war.

 

Henry (Heinz) Landman and the 70th Anniversary of the Liberation of Dachau

(Eine deutsche Übersetzung findet sich im nächsten Blogeintrag.)

Veronika Stumpf wrote the biography of Henry Landman for the book of remembrance some years ago. Many thanks to Rick Landman who wrote the following text about his fathers remembrance on the liberation of Dachau.

My father was so excited to be invited to the 70th Anniversary of the liberation of Dachau; for he was not only there at the liberation as an American soldier, but was also interned there as a Jew after Kristallnacht.  Sadly, he died shortly after receiving the invitation.  Over the years, he told me so many stories about Dachau, but I think this one is the most relevant for the 70th Anniversary of the Liberation. This is in remembrance of one of the stories my father told me.In 1945, the town of Dachau had one major road with a few side streets off to the sides.  When he arrived the street was full of people shouting, eating, looting, and running around either in exuberance of their new freedom or fear of what will happen next.   Colonel Porter gave him a jeep, and while riding down the street, a woman in a long black dress jumped into the middle of the street waving her hands trying to get my father’s attention. His jeep stopped and my father hopped out in his U.S. Army uniform, carrying his rifle and went up to her asked her what she wanted.  Her face showed a combination of urgency and fear, but she calmed down and motioned him to go with her into a small house with a bakery on the ground floor.  She wanted to get off the street before she would tell him why she was so frantic.  When inside, she explained that someone was hiding downstairs who wanted to surrender directly to an American soldier.  She said that she just wanted him out of her house and didn’t know what to do.

The man who ran into her store was still wearing his S.S. uniform and was more afraid of the newly liberated concentration camp prisoners than he was of the U.S. Army.  My father went down a spiral staircase pointing his rifle as he slowly descended, and there hovering in the corner, was probably a former Captain in charge of the S.S. officers at Dachau Concentration Camp.  When the Nazi officer saw my father, he stood up and saluted him with an American salute and he said that he wanted to surrender to an American, and be away from the mob of former inmates.  The whole thing was so bizarre to my father who could still remember being in Dachau as an inmate.  Even if this man was not the same Captain as in 1938, the thought of my father being the savior of an S.S. officer was quite ironic.  In retrospect, my father wondered if the Captain was actually the son of the screaming woman, and she tricked him into saving her son.

My father didn’t explain who he was and why he spoke German and just let them wonder if all of the U.S. soldiers were as conversant as he.  The Captain walked upstairs with his hands over his head, and then my father and the other soldier who was watching the jeep put the Captain on the hood of the jeep and told him to hold on to the metal bar that was attached to the front bumper.  This bar was the latest invention of the Americans to try to keep them from being decapitated.  The Germans would tie a thin wire around a tree on one side of the street and then cross the street and tie it to another tree, hoping that the American soldiers in the convertible jeeps would ride by and have their heads sliced off.

My father didn’t have to worry this day about any decapitation.  In addition to the outreaching metal stick, he had a Nazi officer in the front who would feel any wire before they would.  As my father drove down the main street of Dachau with this prominent Nazi on the hood, he remembered that six years earlier he was released from Dachau and was told that he better get out of Germany, because the next time he ended up in that camp, he wouldn’t be getting out alive.  Now six years later, he was an American soldier saving the life of a man in charge of all that killing.

 Trauer um Henry Landman

 

Henry Landman ist tot. Er starb am 29. Dezember 2014 nach kurzer schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie in New York. Der Trägerkreis des Gedächtnisbuchs trauert mit den Angehörigen um einen langjährigen Freund des Projekts.

Henry Landman (zweiter von links) und seine Familie 1938

 

Henry Landman wurde am 12. Juni 1920 als Heinz Landmann in Augsburg geboren. Am 10. November 1938 wurde er zusammen mit seinem Vater Joseph ins Konzentrationslager Dachau gebracht.  Nach ihrer Entlassung gelang es beiden, in die USA zu flüchten. Am 28. April 1945 kehrte Henry als amerikanischer Soldat und als einer der Befreier nach Augsburg zurück. Seine Einheit gehörte auch zu den Befreiern des Konzentrationslagers Dachau. Henry selbst konnte jedoch an den Ort, an dem er so gelitten hatte, nicht zurückkehren.

Henry Landman als  Soldat
Veronika Stumpf hat 2004 ein Gedächtnisblatt über Henry Landmans Leben verfasst. 2011 wurden der Internationalen Wanderausstellung Namen statt Nummern für Nordamerika zwei Banner hinzugefügt, eines über Rabbi Erwin Schild, das andere über Henry Landman. Seitdem ist dank Henrys Sohn Rick unser Kontakt zu Henry Landman nicht mehr abgerissen. Ich werde Henry Landman als äußerst warmherzigen Menschen in Erinnerung behalten. Wir sind dankbar, dass das Gedächtnisbuch seine Lebensgeschichte erzählt.
(Text: Sabine Gerhardus)