Theateraufführung in Amsterdam – Reisetagebuch

Freitag,  1. Mai 2015:

An  diesem Tag haben wir uns am Münchner Flughafen kennengelernt. Als  wir abends in Amsterdam gelandet sind, hat uns Jos Sinnema, unser  niederländischer Betreuer und Ansprechpartner beim Verfassen der  Biografie, vom Flughafen abgeholt und uns zu dem B&B gebracht, in  dem wir übernachtet haben. Dort sind wir müde und gespannt auf die  Proben am nächsten Tag ins Bett gefallen.

Samstag,  2. Mai 2015:

Wir sind extra früh aufgestanden und losgefahren, um uns mit Jack van  Ommen, dem Sohn von Renny van Ommen-de Vries, über die ich  (Henriette) geschrieben habe, zu treffen. Leider haben wir aber für  eine Strecke, die man normalerweise in 15 Minuten radelt, 45  gebraucht – tja, Fahrrad fahren in Amsterdam ist nicht gerade  leicht. Als wir dann endlich da waren, haben wir uns richtig gut mit  Jack unterhalten und zusammen einen Kaffee getrunken.

Danach  hat uns Jos netterweise wieder abgeholt und wir sind zusammen zu den  Proben gefahren, sonst wären wir dort wahrscheinlich auch viel zu  spät angekommen. Von 13-18.00 Uhr waren die Proben. Wir haben erst  die anderen niederländischen Teilnehmer kennengelernt und uns sofort  mit allen verstanden. Es war sogar extra eine Übersetzerin für uns  da (vielen Dank, liebe Paula, du hast uns wirklich geholfen!!).  Außerdem haben wir Organisatorisches geklärt und angefangen, die  Lieder einzustudieren, wie unter anderem auch das Dachau-Lied, das  zwei Häftlinge damals im Konzentrationslager im Kopf “geschrieben“  haben.

Nach  dem Proben saßen wir dann noch mit ein paar Leuten bei Aik Meeuse  (Produzent des Theaterstücks) zusammen und haben uns unterhalten.  Später sind wir nur noch Essen gegangen und dann ziemlich müde ins  Bett gefallen.

 Sonntag,  3. Mai 2015:

Der  Sonntag lief eigentlich ähnlich ab wie der Samstag. Morgens haben  wir ein bisschen Sightseeing gemacht und waren im Westerpark auf  einem sehr schönen Markt.

Da wir  auf keinen Fall zu spät kommen wollten, sind wir von dort wieder  einmal extra früh Richtung Proben gefahren, diesmal waren wir jedoch  überpünklich da und standen erstmal noch vor verschlossenen  Türen.  Die Proben an dem Tag liefen auch ziemlich wie am Vortag  ab. Abends bin dann ich (Henriette) mit meiner Tante und deren  Familie, die in der Nähe von Amsterdam wohnen, Abendessen gegangen  und ich (Anna) bin im strömenden Regen nach Hause geradelt –  natürlich hab ich mich wieder einige Male verfahren.

Montag,  4. Mai 2015:

Und  schon war der Tag der Aufführung da… Bevor wir uns um 15:30 Uhr im  Theater Bellevue zur Generalprobe getroffen haben, haben wir uns den  Vondelpark, die Museumsplein und den Blumenmarkt angeschaut.

Die  Generalprobe lief ziemlich entspannt ab. Wir haben Ton und Licht  getestet, noch einmal alle Lieder gesungen und die letzten  Unstimmigkeiten geklärt. Später ist noch Sabine Gerhardus  dazugekommen, die extra für die Aufführung nach Amsterdam gekommen  ist und wir sind alle zusammen Essen gegangen.

Dann  ging alles ziemlich schnell. Wir haben uns für die Aufführung  hergerichtet und danach die Totengedenkfeier am Dam (zentraler  Hauptplatz der Stadt) im Fernsehen angeschaut.

Als  wir dann alle die Mikrofone anhatten, ging es auch schon los. Die  Aufführung bestand hauptsächlich aus einer Art Interview darüber,  welche Erfahrungen wir bei der Recherche, den Besichtigungen der KZ’s  und dem Verfassen der Biografie gemacht haben. Es wurde auf  niederländisch moderiert und geantwortet, nur wir wurden direkt in  Englisch angesprochen und haben auch so geantwortet. Währenddessen  wurde weiterhin von Paula alles für uns leider Unverständliche  übersetzt. Das ganze wurde mit Musik, Filmen und Bildern untermalt.  Ganz besonders war die Rede der Überlebenden Willemijn Pertroff-van  Gurp und das kurze Interview mit dem Überlebenden Jan `Skippy`de  Vaal, der gerade bei der Totengedenkfeier einen Kranz niedergelegt  hatte.

Die  Aufführung war wirklich toll, ist gut gelaufen und hat uns richtig  Spaß gemacht, auch wenn wir davor natürlich schrecklich nervös  waren. Es war auch schön, danach mit einigen Leuten zu reden und  ihre Meinung dazu zu hören. Auch Jack van Ommen und seine Schwester  Karolien haben sich die Aufführung angeschaut. Viele sind zu uns  gekommen und haben (oft sogar auf Deutsch) gesagt, dass sie es sehr  schön fanden, dass wir dabei waren und dafür extra nach Amsterdam  gekommen sind – das war ein tolles Gefühl.

Die  Zeit ist an dem Abend wie im Flug vergangen und auf einmal war es  schon 2 Uhr. Wir waren dann ziemlich müde und sind (wieder) im  strömenden Regen in unsere kleine Dachgeschossunterkunft gefahren  und haben uns natürlich auch wieder verfahren – das ist die wahre  Amsterdam-Erfahrung.

Dienstag,  5. Mai 2015:

Am  Dienstag waren wir zusammen mit Jos und seiner Familie im  Widerstandsmuseum und haben uns die Ausstellung „Geen nummers maar  Namen“ angesehen. Es ist eine eindrucksvolle und berührende  Ausstellung. Jos konnte uns auch noch viele weitere Details zu den  Biografien und ausgestellten Gegenständen erzählen, was es noch  interessanter gemacht hat.

Nach  dem späten Mittagessen wurden wir zum Flughafen gebracht und damit  war unsere Reise leider schon vorbei. Wir wären am liebsten beide  länger geblieben.

An  dieser Stelle möchten wir uns auch noch einmal bei allen Beteiligten  der Vorstellung bedanken und natürlich auch bei Sabine Gerhardus und  Jos Sinnema für die Ermöglichung der Reise. Wir haben dabei viel  neues gelernt und tolle Erfahrungen gemacht. Vielen, vielen Dank!

Das Tagebuch führten  Henriette Schulze und Anna Krombacher.

(Foto: Jack van Ommen)

„Du solltest es einmal erzählen, denn bald wirst Du nicht mehr da sein, und dann gibt es keine Zeugen mehr.“ Eindrücke von der Theateraufführung „Namen statt Nummern“

Jedes Jahr  feiern die Niederländer am 5. Mai den „Bevrijdingsdag“. Die Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung und das Ende des Krieges haben bis heute große Bedeutung für die Menschen. Der 5. Mai ist gesetzlicher Feiertag, überall finden Festivals und Konzerte statt. Am Vorabend, dem 4. Mai, wird der Toten gedacht. Am zentralem Platz, dem „Dam“, vor dem Königspalais in Amsterdam versammelten sich in diesem Jahr so viele Menschen, dass – so sah es zumindest in der Fernsehübertragung aus, die ich im Theater Bellevue live verfolgen konnte – keiner mehr dazwischen gepasst hätte. Um 20 Uhr legten König Willem-Alexander und seine Frau Maxima einen Kranz am Nationalmonument nieder. Das Königspaar begrüßte fünf Delegationen von Veteranen, die ebenfalls einen Kranz niederlegten. Darunter war auch der Überlebende des KZ Dachau, Jan (Skippy) de Vaal. Anschließend stehen die Tausende auf dem Platz mehrere Minuten in stillem Gedenken. Im Anschluss an die Kranzniederlegung wurde Skippy direkt zu uns ins Theater Bellevue gefahren.
Zu uns: das waren fast alle (ehemaligen) Schüler aus den
Niederlanden, Henriette Schulze (ehemalige Schülerin des Camerloher-Gymnasiums Freising)
und Anne Krombacher (ehemals Ignaz-Taschner-Gymnasium Dachau), die bisher am Projekt Gedächtnisbuch beteiligt gewesen sind und jetzt auf ihren Auftritt warten, Willemijn Petroff-van Gurp, die als Überlebende des KZ Dachau ebenfalls am Stück beteiligt war, die Organisatoren und Produzenten Jos Sinnema, Aik Meeuse und ihre Crew und ich. Zwischen der Generalprobe und dem Beginn der Aufführung war noch so viel Zeit, dass wir Skippys Kranzniederlegung  beobachten konnten. Pünktlich um 21.00 Uhr beginnt im ganzen Land „Theater na de Dam“ – verschiedene Theateraufführungen nach der zentralen Totengedenkfeier. In diesem Jahr war dank der Initiative von Jos
Sinnema und Aik Meeuse auch eine Aufführung von Schülern aus dem Gedächtnisbuch-Projekt möglich.

Der Theatersaal war bereits auf bis auf den letzten Platz gefüllt, die Schüler hatten mit der Aufführung begonnen, als Skippy den Saal betrat und mit großem Applaus begrüßt wurde. Aus meinen rudimentären
Holländisch-(Un)kenntnissen und der raschen Übersetzung von Aik, der neben mir saß, habe ich verstanden:  Ja, der König hatte ihn, Skippy, wiedererkannt – keine zwei Wochen vorher hatten sie sich ja bereits bei der Ausstellungseröffnung im Widerstandsmuseum kennengelernt.

In einer raschen Folge sahen und hörten wir nun Eindrücke
aus den Erinnerungen an die Projektarbeit der Schüler, unterlegt mit Filmausschnitten und einer musikalischen Darbietung. Anna Krombacher (ehemalige Schülerin des ITG Dachau aus Sulzemoos) erzählte mir:  „Es geht vor allem darum, auch unsere Erfahrungen herauszubringen, mit unserer Arbeit an den Gedächtnisblättern und
mit unserer Arbeit mit der damaligen Zeit. Herzstück des ganzen waren Willemijns Erinnerungen an die Zeit ihrer Haft in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Dachau und den Weg, den sie – auch durch das Gedächtnisbuch – vom Schweigen und Verdrängen der Erinnerungen hin zum Sprechen gefunden hat:  „Seitdem habe ich meine Geschichte schon öfters erzählt. Und ich kann Ihnen sagen: es ist wie eine Befreiung. Das Leid hat sein schärfsten Kanten verloren und die schönen Erinnerungen aus dem Lager sind in den Vordergrund gerückt. Damit meine ich die intensive Freundschaft, die ich im Lager erleben durfte.“ Willemijn ist diesen Schritt gegangen,  „weil ich es wichtig finde, dass die Jugend versteht, was Freiheit bedeutet, was Meinungsfreiheit bedeutet, was die Gefahren der Diktatur sind und was es heißt, wenn Menschen für minderwertig erklärt werden.“
Mit Anna und Henriette konnte ich noch vor der Aufführung ein kurzes Interview führen. Ich fragte sie, was für sie das Besondere an diesem Projekt war:
(Foto: Jack van Ommen)
Anna sieht man ihre Begeisterung an: „Ich find‘ wahnsinnig toll, dass wir die Chance haben bei so was mitzumachen. Ich meine, ich habe meine Biographie für das Gedächtnisbuch 2010/2011 geschrieben. Also das sind jetzt 5 Jahre her, und jetzt sitze ich hier in Amsterdam und hab die Gelegenheit bei so was Tollem mitzumachen, bei dem Buch, und dann die Theateraufführung. Ich meine, es sind ehemalige Häftlinge dabei, die wir heute sprechen hören – hoffentlich dann auch verstehen, weil die Paula ein bisschen übersetzen wird. Ich find das ein Wahnsinns-Projekt!“ Henriette ergänzt: „Ich finds auch schön, dass es hier
gemacht wird, nicht nur in Deutschland, dass es sich ausgeweitet hat auf andere Länder und dass die auch daran Interesse haben, es mit Deutschen zu teilen und die mitmachen zu lassen, obwohl es ja um Niederländer geht und wir ja nicht niederländisch sind. Das find ich schon was besonderes, dass sie uns teilhaben lassen.“
Wie das Theaterprojekt für die beiden ablief, haben sie in einem Reisetagebuch für den Blog aufgeschrieben.
Vielen Dank an alle Beteiligten für diesen anrührenden Abend!
(Foto: Jack van Ommen)
( Text: Sabine Gerhardus)

4. Mai Amsterdam: Theaterpräsentation zum Gedächtnisbuch

In den vergangenen Jahren haben mehrere niederländische Jugendliche für das Gedächtnisbuch Biographien über niederländische ehemalige Dachau-Häftlinge geschrieben. Mit den Inhalten dieser Biographien wird am 4. Mai im Theater Bellevue in Amsterdam eine besondere Aufführung gestaltet. Die Jugendlichen spielen und erzählen über das Leben der ehemaligen Häftlinge und teilen ihre eigenen Erfahrungen mit dem Publikum.

Auch zwei deutsche Jugendliche sind dabei: die 19jährige Henriette Schulze und die 21jährige Anna Krombacher. Anna schrieb eine Biographie über die Holländerin Kiky Heinsius und Henriette schrieb über Renny van Ommen-de Vries. Beide Frauen waren im Agfa-Kommando, einem Außenlager von Dachau.

Ein professioneller Präsentator (Leon van der Zanden) unterstützt und fordert die Jugendlichen auf der Bühne. Wenn geeignet Worte fehlen, singt die junge Sängerin Nina June. Die musikalische Begleitung der Jugendlichen übernimmt Rutger Martens (Gitarre, Banjo, Horn).

Die Aufführung findet nur einmal statt, um 21.00 Uhr, gleich nach der jährlichen Totengedenkfeier in den Niederlanden am 4. Mai. Karten für die Aufführung kosten 10 Euro und sind über die Website des Theaters zu bestellen: www.theaterbellevue.nl (Aufführung: Geen nummers maar Namen.)

Es machen mit:

Jugendliche: Gijs Berendse, Jelle Braaksma, Luca Brandt Corstius, Jop Bruin, Lissy-Anne Denkers, Imara van Greuningen, Femke Haselaar, Kimberly Klop, Anna Krombacher, Tess Meerding, Henriette Schulze, Ylva Sluiter, Sydney Weith

Präsentation: Leon van der Zanden

Gesang: Nina June

Musik: Rutger Martens

Konzept: Leoni Jansen

Regie: Jan-Eric Hulsman

 

 (Text: Jos Sinnema)

 

„Ich hatte mir ihre Geschichte anders vorgestellt“ – Artikel im Jahresbericht des Freisinger Camerloher Gymnasiums

„Ich fand die Recherche über Renny und ihr Leben sehr spannend, weil ich mir ihre Geschichte anders vorgestellt hatte.“, schreibt Henriette Schulze über ihre Erfahrungen im W-Seminar „Biografien von Dachau-Häftlingen und in der NS-Zeit repressierten Lehrern“. Der Artikel wurde im Jahresbericht 2013/2014 des Camerloher Gymnasiums veröffentlicht.
Henriette Schulze berichtet über ihre Recherche zur Biografie der holländischen Widerstandskämpferin Renny van Ommen. Die Recherche umfasste nicht nur Archivarbeiten: Für ein Interview mit einem der Söhne Renny van Ommens, Jan van Ommen, fuhr die W-Seminar-Teilnehmerin nach Hamburg. Ihre Arbeit am Gedächtnisblatt führte sie bis nach Holland, hier erhielt sie Unterstützung durch Jos Sinnema. Sie schreibt: „Er besuchte für mich Archive in Amsterdam und prüfte, ob verwendbare Dokumente vorlagen oder nicht. Er führte mich auch durch die KZ-Gedenkstätte Herzogenbusch (Vught) und gab mir Tipps, wie ich meinen Urlaub in Amsterdam mit geschichtlicher Recherche wie den Besuch des Widerstandsmuseums kombinieren konnte.“
Was hat Henriette Schulze besonders beeindruckt? Sie schreibt: „Für den Zusammenhalt der Frauen war wohl auch die Religion verantwortlich, sie spielte aber vor allem für Renny eine große Rolle für die Bewältigung der Hafterfahrungen. Da ich selbst den Ethikunterricht besuche und keiner Religion angehöre, fand ich gerade diesen Aspekt sehr interessant.“

Den gesamten Artikel bitte bei Interesse per Mail anfordern bei irene.stuiber@googlemail.com.