Studientag Zukunft Erinnerung: Vielfalt der Erinnerungsformen

Gastrednerin Aleida Assmann beeindruckte durch ihre genaue Einschätzung der deutschen Erinnerungskultur der letzten 100 Jahre. Die Vielfalt der gegenwärtigen Erinnungskultur zeigte sich in den anschließenden Workshops, unter anderem präsentierte Projektleiterin Sabine Gerhardus das Gedächtnisbuch als Form partizipativer Erinnerungsarbeit.

Zum Thema „Aktuelle Herausforderungen an die neue Erinnerungskultur“ sprach Aleida Assmann beim Studientag „Zukunft Erinnerung. Welche Erinnerungskultur brauchen wir?“.  Der Studientag fand in Dachau am 5. April 2019 statt und wurde veranstaltet vom Dachauer Forum in Kooperation mit der Katholischen Seelsorge an der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Aleida Assmann: Vielstimmigkeit der gesellschaftlichen Erinnerung

Die Referentin berichtete über die Entwicklung der Erinnerungskultur vom Ersten Weltkrieg bis heute. Eine wichtige Wendung nahm der Umgang mit Geschichte in den 70er und 80er Jahren: Es entstand eine Erinnerungskultur, die durch die Erinnerung Orientierung für die Zukunft geben will.

Aleida Assmann entwickelte ihr Gegenmodell zu einer derzeit wieder verstärkt auftretenden Funktionalisierung der Geschichte. Von besonderer Bedeutung ist die Vielstimmigkeit in der gesellschaftlichen Erinnerung. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft an  dieser vielstimmigen Geschichtskultur  ist Assmann deswegen besonders wichtig, weil Zivilgesellschaft immer lokal verankert ist.

Aktuelle Entwicklungen standen im Zentrum der Wortmeldungen aus dem Publikum. Was bedeutet die derzeitige Diskussion um Kunstgegenstände aus den Kolonialländern? Aleida Assman ist sich sicher: Kolonialgeschichte kann eine neue Dimension zur Geschichtserinnerung hinzufügen und die Beziehungen zu den betroffenen Ländern neu justieren.

Die gesellschaftliche Aufgabe sei es, immer wieder anschlussfähige Geschichtsnarrative zu entwickeln. „Mit jeder neuen Phase kann man die Geschichte neu anordnen. Das heißt nicht, dass man sie verfälscht.“

Workshops zeigen vielfältige Herangehensweisen

Formen partizipativer Erinnungsarbeit stellten Annegret Braun und Sabine Gerhardus vor.  Annegret Braun sprach über die Arbeit der Geschichtswerkstatt, vor allem die Forschungen zu Kriegsende und Nachkriegszeit und das aktuelle Projekt „Die 50er Jahre im Landkreis Dachau. Wirtschaftswunder und Verdrängung.“ Sabine Gerhardus stellte das Gedächtnisbuch vor sowie die Biographie-Projekte der Geschichtswerkstatt „Das Lager und der Landkreis und des BLLV-Projekt „Erinnern“. Ihr Blick hinter die Kulissen beleuchtete die Motivation und die pädagogische Begleitung der Projekte. All diese Projekte leben wären ohne das Engagement von Ehrenamtlichen nicht denkbar. Ausstellungsbanner, Anschauungsmaterial und Quellenbeispiele veranschaulichten den Einblick in die praktische Arbeit. In der Diskussion ging es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops vor allem um Fragen der Perspektiven der zukünftigen Arbeit, etwa andere Formen der Arbeit mit Jugendlichen.

Ludwig Schmidinger thematisierte in seinem Workshop den Umgang mit militärischen Heldengedenken am Beispiel Schliersee, Steffen Jost zeigte Methoden und Erfahrungen der digitalen Bildungsarbeit in KZ-Gedenkstätten auf. Ein weiterer Workshop mit Norbert Göttler widmete sich unterschiedlichen Bedeutungszuweisungen an den Begriff Heimat.

Lesung „Leben mit dem Schatten“

Am Ende des Studientags stand eine Autorenlesung und damit eine sehr persönliche Dimension der Erinnerung: Norbert Göttler las aus seinem autobiographischen Essay „Leben mit dem Schatten“.

 

 

(9.4.2019; Fotos: Irene Stuiber; Text: Irene Stuiber, Sabine Gerhardus)