Jahrespräsentation: Zehn neue Gedächtnisblätter

Bei der 20. Jahrespräsentation des Gedächtnisbuchs stellten ehrenamtliche Autorinnen und Autoren zehn neue Biographien von Häftlingen des KZ Dachau vor. Der 92jährige Dachau-Überlebende Riccardo Goruppi schickte aus Triest eine Grußbotschaft, da er seinen Besuch aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen musste.

Riccardo Goruppi mit Gedächtnisblatt und den Autorinnen Luisa Ferrero-Heinz und Marizia I. Puglia in Triest 2018

Goruppi war als Angehöriger einer slowenischen Partisanengruppe zusammen mit seinem Vater verhaftet worden. Sein Leidensweg führte durch mehrere Konzentrationslager, den Tod des Vaters musste er im Außenlager Leonberg des KZs Natzweiler miterleben. Bis heute ist er unermüdlich als Zeitzeuge und Gesprächspartner vor allem für junge Leute unterwegs. Sein Gedächtnisblatt erstellten Samantha Candreva, Luisa Ferrero-Heinz und Marizia I. Puglia.

Johann Vogl blieb seiner Überzeugung treu

Nicht sein erstes Gedächtnisblatt stellte Tom Nowotny mit der Lebensgeschichte des Rosenheimer Arbeiters und Kioskbesitzers Johann Vogl vor. Schülerinnen und Schüler der Stephanskirchener Mittelschule begleiteten den Vortrag durch eine szenische Lesung.

Vogl war Mitglied der proletarischen Freidenker und der Roten Hilfe, auch während der NS-Zeit blieb er seinen Idealen treu. Am 27. März 1938 wurde er im KZ Dachau ermordet. Nach seiner Verhaftung 1936 hatte er zu Protokoll gegeben: „Auf Grund meiner Weltanschauung wende ich auch nicht den deutschen Gruß „Heil Hitler“ an, weil ich niemanden vorheucheln will, umso weniger als ich unbedingt zu Menschenrecht und Menschenwürde die Gewissensfreiheit rechne.“

Zu Samuel Gilde existiert keine persönliche Überlieferung

„Dieses Gedächtnisblatt über Samuel Gilde, diese Recherche, ist ein wichtiger Teil meines Unterrichts geworden,“ erzählte Gedächtnisbuchautor Christoph Triebfürst, Lehrer am Dachauer Josef-Effner-Gymnasium. Der Münchner Arzt Samuel Gilde lebte nach seinem Berufsverbot im Herbst 1938 kurze Zeit in Augustenfeld bei Dachau. Nach der Pogrammnacht 1938 wurde er drei Wochen im KZ Dachau gequält, die anschließenden verzweifelten Bemühungen um eine Emigrationsmöglichkeit blieben erfolglos. Gilde wurde am 30.6.1944 im Ghetto Theresienstadt ermordet.

Bei seinen Recherchen musste Christoph Triebfürst feststellen, dass kein einziger persönlicher Satz, keine einzige persönliche Notiz des Münchner Facharzts erhalten ist. Akribisch dokumentiert ist dagegen die Verfolgung, Entrechtung und die Ermordung Samuel Gildes.

Charles Delestraint: eine zentrale Figur des französischen Widerstands

Maeva Keller verfasste als Freiwillige von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste die Biographie des französischen Generals Charles Delestraint für das Gedächtnisbuch. „Dieses Projekt war für mich sehr bedeutsam, weil es mir ermöglicht hat, eine wichtige Figur des französischen Widerstands näher kennenzulernen.“ Delestraint kommandierte die Armee secrète, wurde im Juni 1943 verhaftet und im September 1944 aus dem KZ Natzweiler in das KZ Dachau deportiert. 10 Tage vor der Befreiung des Lagers exekutierte die SS Charles Delestraint. Noch kurz vor seinem Tod notierte der Häftling ein spirituelles Vermächtnis.

Georg Scherer: Kommunalpolitiker und Widerstandskämpfer in Dachau

Kerstin Cser und Jessica Scherer konnten bei ihrer Vorstellung der Biographie Georg Scherers aus dem Vollen schöpfen. Die Ergebnisse der Recherchen lassen sich nicht nur im Gedächtnisbuch nachlesen, sondern sie werden demnächst auch in der in Dachau stattfindenden Ausstellung über Georg Scherer zu sehen sein.

Scherer wurde 1935 wegen seines Widerstands gegen die Nazis verhaftet und ins KZ Dachau gebracht, erst 1941 wurde er wieder freigelassen. Am Dachauer Aufstand kurz vor Kriegsende war er federführend beteiligt. Der Kommunalpolitiker und Sportfunktionär erlag 1985 auf der Tribüne seines Sportvereins einem Herzinfarkt.

Roger Valroff wurde mit dem Train Fantôme nach Dachau deportiert

Gerhard Bökel stellte die Lebensgeschichte des franzöisischen Résistance-Mitglieds Roger Valroff vor, der als Mitarbeiter von Imam Abdelkader Mesli Flüchtlinge versteckt und unterstützt hatte. Valroff wurde am 5.7.1944 verhaftet und mit dem Train Fantôme, dem sogenannten Geisterzug, ins KZ Dachau gebracht. Das Gedächtnisblatt für Roger Valroff hat Gerhard Bökel zusammen mit der französischen Historikerin Bénédicte Penn verfasst, die bei der Präsentation ebenfalls anwesend sein konnte. Bereits 2017 konnte Bökel die Biographie von Abdelkader Mesli präsentieren.

Emanuel Strauß war jüdischer Gemeindelehrer in Weiden

Fast 40 Jahre lang war Emanuel Strauß Gemeindelehrer und Kantor in Weiden in der Oberpfalz. Seine Lebensgeschichte, deren Bearbeitung bereits Julia Otto begonnen hatte, brachte Anastasiia Lapteva dem Publikum näher. Strauß war nach der Reichspogromnacht eine gute Woche im KZ-Dachau inhaftiert. Nach seiner Entlassung gelang ihm 1939 die Emigration über Großbritannien nach Montevideo in Uruguay. Dort starb er im Jahr 1948.

Josef Moser: Haft als zerstörerische Lebenszäsur

Entschieden trat Josef Moser als Chefredakteur der Steyrer Zeitung in den 30er Jahren gegen den Nationalsozialismus auf. Bereits zwei Tage nach dem Anschluss Österreichs wurde er inhaftiert und am 24.5.1938 schließlich ins KZ Dachau verschleppt. Im Konzentrationslager Dachau musste er bis zu seiner Entlassung am 13.9.1938 bleiben. Nach der Haft litt Moser zeitlebens an gesundheitlichen Problemen. Zu seinem Beruf fand der vorher leidenschaftliche Journalist niemals zurück, bis zur Pensionierung arbeitete er als Buchhalter.

Mosers Biographie erläuterte seine Tochter Martina Riepl, die das von ihr vorgestellte Gedächtnisblatt im Einvernehmen mit den beiden anderen Kindern Josef Mosers verfasst hat.

Jacobus de Vries  gehörte zum Führungsstab des niederländischen Ordedienst

Jos Sinnema, der das Gedächtnisbuch Niederlande betreut, präsentierte die Biographie von Jacobus de Vries. Verfasst hat er dieses Gedächtnisblatt zusammen mit der  ehemaligen ASF-Freiwilligen Maja Lynn. Jacobus de Vries gehörte dem Führungsstab der militärischen niederländischen Widerstandsgruppe Ordedienst an. Verhaftet wurde de Vries 1941. Er wurde er mehrere Jahre als Nacht-und-Nebel-Häftling in verschiedenen Konzentrationslagern gefangengehalten, darunter zweimal in Dachau. Anfang Januar 1945 starb Jacobus de Vries im KZ Dachau.

Franz Sales Müller: Pfarrer im Landkreis Dachau

Katharina Wolf berichtete über Franz Müller, der ab 1961 Pfarrer in Westerholzhausen im Landkreis Dachau war. Der gebürtigte Zwittauer wirkte ab 1926 als Kaplan und Vikar, später als Pfarrer im deutschsprachigen Wigstadtl/Vítkov in der damaligen Tschechoslowakei. Müller wurde 1941 verhaftet, nachdem die Gestapo regimekritische Briefe gefunden hatte. Von November 1941 bis April 1945 musste er im KZ Dachau unter anderem auf der Plantage Zwangsarbeit leisten, drei Wochen vor der Befreiung des Lagers wurde er entlassen.

(28.3.2019; Irene Stuiber)