Jahrespräsentation – neun Biographien vorgestellt

Gut besucht war die Jahrespräsentation des Gedächtnisbuchs am 22. März 2016 in der Kirche des Karmel in Dachau. Hier ein Rückblick auf die Veranstaltung in Text und Bild.

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Klaus Schultz und Sabine Gerhardus berichten aus dem Projekt

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Klaus Schultz wies darauf hin, dass zum ersten Mal seit dem Bestehen des Gedächtnisbuchs 1999 an diesem Abend kein Überlebender des KZ Dachaus teilnimmt. Herzlich begrüßte er die Angehörigen ehemaliger Häftlinge, auch ihr Leben sei von den Verfolgungserfahrungen der Eltern und Großeltern geprägt. Schultz bat um Verständnis dafür, dass nur eine eingeschränkte Zahl von Gedächtnisblättern vorgestellt werden kann, einige andere Biographien seien online auf der Projektwebsite zu finden. „Die Gedächtnisblätter sind auch eine Verpflichtung, in die Gegenwart zu schauen, in der auch heute Menschen um ihr Leben fürchten müssen und aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Religion verfolgt werden.“

Projektleiterin Sabine Gerhardus erläuterte die Möglichkeiten, die die neue Website Interessierten und Projektteilnehmern bietet. „Ein großer Schritt vorwärts im Vergleich zur alten Website.“ Einige Highlights der Projektarbeit im vergangenen Jahr konnte Gerhardus aufzählen: Die große Sonderausstellung im Amsterdamer Widerstandsmuseum und die begleitende Theaterproduktion Anfang Mai 2015, in Deutschland die Zusammenarbeit mit Schulen im Rahmen von W-Seminaren in Grafing, Freising und Bamberg und im Kontext der Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau verschiedene Ausstellungen, die auch in den kommenden Monaten ihre Fortsetzung finden.

 

Gewerkschafter und Sozialdemokrat: Karl Rittmann

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Die Grafinger Schülerin Eva Huber übernahm die Vorstellung der Biographie von Karl Rittmann stellvertretend für die Verfasserin und Schulkameradin Vanessa Busch, die leider nicht anwesend sein konnte. Karl Rittmann war Gewerkschafter, Sozialdemokrat und Kommunalpolitiker in Freilassing und wirkte dort als Bürgermeister sowohl in Weimarer Republik wie auch in der Nachkriegszeit. Mehrmals führte sein politisches Engagement zu seiner Verhaftung und Inhaftierung.

 

Standhaft in höchster Gefahr: Truus Gelsing

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Die bewegende Lebensgeschichte der niederländischen Widerstandskämpferin Truus Gelsing erzählte Anneke Nolet. Besonders beschäftigte sie sich mit der Frage, warum Truus Gelsing ihre Kameraden nicht verraten hat, im Gegensatz zu einem Kollegen in vergleichbarer Situation. Ihr Resümée: „Ich denke: Der wesentliche Unterschied zwischen Truus und dem Verräter unter ihren  Kollegen ist, dass der Verräter sich – mit Recht – für seine Familie verantwortlich fühlte, aber sonst für nichts und niemanden. Truus dagegen fühlte sich in erster Linie verantwortlich für ihre Widerstandskameraden – das war die Widerstandsregel: verrate keinen. Dadurch schaffte es Truus zu schweigen und so blieb sie standhaft.“

 

Lehrer in München: Ferdinand Kissinger

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Die Grafinger Schülerin Katharina Steinegger recherchierte im W-Seminar und im Rahmen des BLLV-Projekts Erinnern über den jüdischen Lehrer Ferdinand Kissinger. Kissinger stammte aus Unterfranken und war später in München tätig, von München-Milbertshofen wurde er 1941 nach Kaunas deportiert und dort ermordet. „Während meiner Recherche zu Ferdinand Kissinger habe ich zahlreiche Orte besucht, darunter sein Münchner Wohnhaus und auch das Neunte Fort in Kaunas. Ich hätte Ferdinand Kissinger sehr gerne persönlich kennengelernt.“

 

Gesellschaftliches Engagement: Piotr Wodnik

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Sowohl auf Deutsch wie auch auf Polnisch konnte der Freiwillige der Aktion Sühnezeichen, Maurycy Przyrowski, die Lebensgeschichte von Piotr Wodnik erzählen. Wodniks gesellschaftliches Engagement war die Ursache der Verfolgung durch die deutschen Besetzer, er erlitt die Lager in Dachau und Gusen.

 

Stolz und gläubig: Ernst Jacob

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Zur Biographie des Augsburger Rabbiners Ernst Jacob recherchierte die Grafinger Schülerin Elisabeth Urban im Rahmen des BLLV-Projekts Erinnern. Jacob gelang die Emigration in die USA. Die Referentin bewunderte die breit gestreuten Interessen und Aktivitäten Jacobs: „Er war ein Mensch, der sehr vielseitig interessiert war und der sehr viel geschrieben hat: theologische Abhandlungen, wissenschaftliche Abhandlungen, aber auch Briefe an seine Verwandten, vor allem an seinen Vater. Und er hat in seiner Zeit in den USA an die Gemeindemitglieder, die in der ganzen Welt verstreut waren, Rundschreiben verfasst, um so Vernetzung zu betreiben. Er war ein sehr stolzer und ein sehr gläubiger Mensch.“

 

Kommunistisches Engagement und Hilfe für andere: Andreas Lenz

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Die Geschichte von Andreas Lenz, der aufgrund seiner Mitgliedschaft in der KPD verfolgt wurde, erforschte die Grafinger Schülerin Selina Moosbauer. Lenz unterstützte nach seiner Haft eine jüdische Familie, trotz der akuten Bedrohung, der er selbst ständig ausgesetzt war. „Mir mich war es sehr berührend, die Geschehnisse dieser Zeit aus der Sicht eines Betroffenen zu sehen.“, erzählt die Referentin über ihre Projektarbeit.

 

Für Antimilitarismus und Christentum: Josef Cohen

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Die Lebensgeschichte des niederländischen Pfarrers jüdischer Herkunft Josef Cohen stand im Mittelpunkt der Ausführungen der niederländischen Historikerin Anne-Liese Bobeldijk. Sie erzählt: „Was mich an der ganzen Geschichte von Josef Cohen besonders berührt, ist, dass er, aber auch seine Ehefrau Tine, sehr stark vom Antimilitarismus und dem Christentum überzeugt waren. Was mich während Gesprächen mit einem der drei Söhne von Cohen, Orpheus Cohen, sehr ergriffen hat, ist, dass die Familie zu Hause und insbesondere Tine als Witwe, sich sehr mutig verhalten haben. Tine hat, nachdem sie die Meldung bekam, dass Josef gestorben war, weiterhin Widerstand geleistet. Sie hat einem jüdischen Mädchen Unterkunft geboten und auch Leute der lokalen Widerstandbewegung durften im Pfarrhaus übernachten während ihrer Reisen. Sie hatte keinen Groll auf Deutsche oder Nationalsozialisten, nicht während des Kriegs und auch nicht nach dem Krieg.“

 

KZ-Haft nach Denunziation: Georg Lerchl

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Von einer schwierigen Recherche erzählte Hedy Esters, nur wenige Dokumente zur Biographie des Hilfsarbeiters Georg Lerchl waren aufzufinden. Ihre Spurensuche fand im Rahmen der Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau statt. Der Geburtsort Ampermoching von Georg Lerchl liegt etwa sechs Kilometer von Dachau entfernt. Schwarzschlachtung einer Sau war die Haftursache, höchstwahrscheinlich ging dem eine Denunziation voraus.

 

Politische Aktivitäten: Benno Glas

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Eigentlich wollte Agco Halmen, Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, über drei Brüder aus Bibereck (Gemeinde Bergkirchen) schreiben, die im KZ Dachau inhaftiert waren. Zu viele Informationen tauchten jedoch im Verlauf der Nachforschungen auf, daher werden nun drei Gedächtnisblätter entstehen. Politische Aktivitäten in der Arbeiterbewegung, entweder in der SPD oder in der KPD, führten im Leben von Benno Glas zu zwei Verhaftungen während der NS-Zeit. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Benno Glas in der DDR.

 

Und heute?

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Einen Bezug zwischen den vorgestellten Biographien und der Gegenwart spannte Ludwig Schmidinger in seinem Schlusswort: „Es wurden Menschen vorgestellt, die sich ganz dezidiert für Frieden in der Welt eingesetzt haben. Wir wir sehen, ist das eine Aufgabe, die noch lange nicht abgeschlossen ist – vielleicht nehmen Sie Gedanken dieser Art mit nach Hause.“

 

Musikalische Umrahmung

 

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Herzlichen Dank für die musikalische Umrahumg des Abends an Jasmin und Leon Gärtner sowie an Maurycy Przyrowski.