Jahrespräsentation am 22. März 2017

Einer der Höhepunkte der diesjährigen Präsentation: Mohamed Mesli spricht über seinen Vater. Eine Übersetzerin sorgt dafür, dass alle seine französischen Worte verstehen. Das Gedächtnisblatt zu Abdelkader Mesli stammt von Gerhard Bökel. – Wir danken Robert Kiderle sehr herzlich für die Fotos zu diesem Beitrag.

 

„Es ist nun unsere Verantwortung, die Geschichten dieser Menschen zu erzählen“

Klaus Schultz

Klaus Schultz, Diakon der Versöhnungskirche und Mitglied des Trägerkreises, erinnert an den im vergangenen Jahr verstorbenen Schirmherrn Max Mannheimer: „Er hat uns viele Jahre unterstützt. Gerade in der Anfangszeit war seine Unterstützung ganz, ganz wichtig für das Projekt. Er gehörte zu den Menschen, die dieses Projekt ermöglicht haben.“ Dass zum zweiten Mal seit Bestehen des Projekts kein Überlebender an der Vorstellung der neuen Biographien teilnimmt, macht, so Schultz, mehr als deutlich, dass nun etwas wirklich zu Ende geht. „Es ist nun unsere Verantwortung, die Geschichten dieser Menschen zu erzählen.“

Sabine Gerhardus

Projektleiterin Sabine Gerhardus betont die Bedeutung der Arbeit an Gedächtnisbuchbiographien als Bestandteil politischer Bildung. „Was die Biographiearbeit bei jungen Erwachsenen anstoßen kann, möchte ich mit zwei Zitaten verdeutlichen. Eine Projektteilnehmerin hat nach der Erstellung eines Gedächtnisblatts geschrieben: Der Schutz von benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist mir wichtiger geworden. Eine andere Teilnehmerin äußerte sich so: Ich bin sehr viel intoleranten gegen Rechtsterrorismus geworden und toleranter gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten.

Klaus Wenzel (BLLV)

Klaus Wenzel vom BLLV wendet sich in seinem Grußwort besonders an die anwesenden Schüler. „Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten Erhebliches investiert, Sie haben viel gelernt, Sie waren in Archiven, Sie haben recherchiert – und Sie haben es geschafft, dass aus Nummern Namen werden.“ Wichtig findet Klaus Wenzel die Unterstützung des Projekts durch den BLLV nicht zuletzt aufgrund der eigenen Verbandsgeschichte. „Der BLV – so hieß er 1933 noch – hat gefehlt. Das ist zweideutig und auch so zu verstehen.“ Der Bayerische Lehrerverein habe Fehler gemacht und er habe gefehlt, als Persönlichkeiten ihn gebraucht hätten. „Wir sind uns dieser Schuld bewußt und wir wissen, dass wir sie nicht mehr gut machen können. Wir sind dankbar, dass wir mit der finanziellen Unterstützung dieses Projekts wenigstens dafür sorgen, dass junge Menschen sich mit diesem Teil der deutschen Geschichte beschäftigen.“

 

Gedächtnisblatt über Paul Possenheimer

 

Paul Possenheimer (D/GB) von Gülperi Yardimci, Bamberg

Der jüdische Lehrer Paul Possenheimer emigrierte nach seiner Haft im KZ Dachau nach England. Während seiner KZ-Haft kündigte der Staat sein Dienstverhältnis und widerrief das zweite Staatsexamen. Possenheimer starb bereits im Alter von nur 51 Jahren im Exil. Seine Angehörigen sind sich sicher, dass sein früher Tod mit den schrecklichen Erfahrungen im Konzentrationslager zusammenhängt und vor allem auch mit dem Verlust seiner Familienangehörigen.

Die Verfasserin Gülperi Yardimci konnte leider nicht anwesend sein, als Schülerin des Eichendorff-Gymnasiums in Bamberg wurde sie wegen vieler aktueller Klausuren nicht vom Unterricht befreit.

 

Ferdinand Zwack: SPD-Politiker in Freising

Ferdinand Zwack (D)
Ferdinand Zwack (D) von Emilia Jackermaier, Freising

Emilia Jackermaier, Schülerin des Camerloher-Gymnasiums in Freising, stellt die Biographie des Freisinger SPD-Kommunalpolitikers Ferdinand Zwack vor. Er gehörte zu den frühen Dachauer Häftlingen, wurde dann wieder freigelassen und später ein zweites Mal inhaftiert. 1944 starb er in Freising. Bereits 1946 wurde nach ihm eine Straße in Freising benannt, an der viele Häuser der von ihm gegründeten Baugenossenschaft stehen.

 

Korbinian Geisenhofer: KZ-Haft für Graffiti

Korbinian Geisenhofer (D)
Korbinian Geisenhofer (D) von Maxi Häcker, Freising

Hammer und Sichel, gemalt zusammen mit Freunden auf die Ortsstraße in Hohenkammer, brachte dem Handwerker Korbinian Geisenhofer eine erste KZ-Haft in Dachau ein. Eine zweite Inhaftierung war die Folge einer Wirtshausrauferei mit örtlichen Nazis. Die Schülerin Maxime Häcker hat die Biographie Geisenhofers für das Gedächtnisbuch recherchiert und stellt ihre Ergebnisse vor. Besonders bei der Tochter Agnes Geisenhofer bedankt sich Maxime Häcker für wiederholte Interviews und viele Einblicke in das Leben Korbinian Geisenhofers.

 

Franz Xaver Schmid: Mitglied der Reformbewegung der Siebenten-Tag-Adventisten

Franz Xaver Schmid (D)
 Maurycy Przyrowski (PL)

Schmids Engagement für seinen Glauben führte noch im Januar 1945 zur KZ-Haft und wenig später zu seinem Tod im KZ-Dachau. Maurycy Przyrowski, im letzten Jahr ASF-Freiwilliger im Gedächtnisbuch-Projekt stellt die Biographie vor. Er zitiert aus einem Verhör: „Ich grüße auch nicht mit dem Deutschen Gruß, weil nur Gott die Ehre gebührt.“

 

Karl Fruchtmann: Regisseur im Nachkriegsdeutschland

Karl Fruchtmann (D), vorgestellt von Sophie Weller, Freising

Geboren in einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Thüringen orientierte sich Fruchtmann bereits als Schüler politisch links. Er legte sein Abitur in der Schweiz ab, kehrte aber nach dem Tod des Vaters 1934 nach Deutschland zurück. Er wurde 1936 als „Emigrant“ verhaftet, erlitt verschiedene Konzentrationslager, auch das KZ Dachau. Später floh er nach Palästina, diente in der Luftwaffe und arbeitete bei El Al. 1958 kehrte er nach Deutschland zurück und machte sich einen Namen als Regisseur. Sein bekanntester Film heißt „Kaddisch nach einem Lebenden“.

Sophie Weller vom Freisinger Camerloher-Gymnasium präsentiert seine Biographie. Fruchtmanns Tochter erinnerte sich im Interview mit der Schülerin an den Satz ihres Vaters: „Heulen kannst du hinterher.“ Sie glaubt, dass sich ihr Vater diesen Satz im KZ häufig selbst gesagt hat.

 

Moses Lewkowitz: Engagement für den Israelitischen Lehrerbildungsverein

Moses Lewkowitz (D)
Sandra Usselmann als Vortragende (GB)

Lewkowitz studierte an der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Würzburg, nach seinem Examen 1932 arbeitete er in Butterwiesen. Nach der KZ Haft 1938 emigrierte er 1939 nach Palästina und diente in der britischen Armee. Er starb bereits mit 40 Jahren in Israel.

Seine Lebensgeschichte recherchierte die Grafinger Schülerin Lena Fiedler, die allerdings nicht anwesend sein konnte. Sandra Usselmann, derzeit ASF-Freiwillige in Dachau, präsentiert die Biographie an Stelle der Verfasserin.

 

Josef Reisbeck: Rote Rebellen

Josef Reisbeck (D) von Lena Althaus, Freising
Lena Althaus, Freising

Reisbeck verteilte illegale Druckschriften und engagierte sich im sozialdemokratischen Widerstand. Nach einer Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat wird er im KZ Dachau eingesperrt, eine zweite Verhaftung mit Freispruch folgt 1940. Er stirbt bereits 1944.

Seine Biographie stellte die Freisinger Schülerin Lena Althaus vor. Sie freut sich, dass sie trotz schwieriger Recherchen nun ein Gedächtnisblatt abschließen kann.

 

Abdelkader Mesli: Als Imam tätig in der Résistance

 

Abdelkader Mesli (F), vorgestellt von Gerhard Bökel (F)
Mohamed Mesli spricht über seinen Vater

Die sehr ungewöhnliche Lebensgeschichte von Abdelkader Mesli stellt Gerhard Bökel vor. Mesli war als Imam in Paris und Südfrankreich aktiv in der Resistance, er betreute muslimische Zwangsarbeiter und verschaffte jüdischen Menschen muslimische Identitäten. Der Referent betont: „Der Fakt, dass muslimische Imame Juden gerettet haben, ist wirklich bemerkenswert und schön zu sehen. Zu sehen, dass es so etwas gab, ist gerade vor dem aktuellen politischen Kontext wirklich sehr bemerkenswert!“

Bökel, Jurist, Journalist, Politiker, beschäftigt sich seit einiger Zeit intensiv mit dem Train Fantôme, dem sogenannten Geisterzug, auf den er in Südfrankreich aufmerksam geworden war. Auch Abdelkader Mesli wurde mit diesem Zug nach Dachau deportiert. Bereits in den Jahren 2003/2004 waren Gedächtnisblätter über Gefangene verfasst worden, die mit diesem Transport nach Dachau gekommen waren. Eines davon gilt Renée Lacoude, mit ihr und ihrem 80jährigen Sohn steht Bökel in Kontakt und übermittelte Grüße. „Ich werde Ihr Grüße zurück übermitteln.“, versprach er der Versammlung. „Nächste Woche wird Frau Lacoude 100 Jahre alt.“

Als die ersten Gedächtnisblätter zum Train Fantôme entstanden, wußte niemand, dass Mesli mit diesem Zug nach Dachau gekommen war. Auch seine Kinder wussten nur, dass er in Dachau gewesen war, seine Widerstandstätigkeit war ihnen unbekannt. Erst nach dem Tod der Ehefrau vor wenigen Jahren fanden seine Kinder kistenweise Dokumente, die derzeit von Abdelkader Meslis Sohn Mohamed in Verbindung mit Gerhard Bökel aufgearbeitet werden.

Mohamed Mesli wandte sich an die Versammlung: „Ich bin zum ersten Mal in Dachau. Es ist sehr, sehr schwierig, die Emotionen auszuhalten. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den Schülern, die tolle Arbeit machen, eine Arbeit, die mich sehr tröstet.“

 

Marceau Mollard: Opfer einer deutschen Racheaktion

Marceau Mollard (F)
Als Vortragende Lisa Kappes, Vierkirchen

Die Biographie von Marceau Mollard verfasste Johanna Mollard, vorgetragen wurde sie von Lisa Kappes, die die Verfasserin gut kennt und sie bei der Recherche unterstützt hat. 112 Männer aus dem Ort Clermont-en-Argonne und der unmittelbaren Umgebung deportierten deutsche Truppen 1944 nach einem Widerstandsakt in KZs. Unter ihnen befand sich der Urgroßvater der Verfasserin, Marceau Mollard. Er starb nach Aufenthalten in verschiedenen Konzentrationslagern, darunter auch Dachau, am 27.11.1944. Der Ort Clermont-en-Argonne leidet bis heute unser diesem Verbrechen der deutschen Besatzer.

 

Albert Eise: Ein Leben für die katholische Schönstatt-Bewegung

Albert Eise (D) von Maria Gross, Freising
Albert Eise (D) von Maria Gross, Freising

„Leid ist das Küssen Gottes. So wisst jedoch, dass nach Karfreitag immer Ostern kommt.“, schrieb Albert Eise in einem Brief aus dem Konzentrationslager Dachau an seine Familie, bemüht, aus seinem Glauben Trost zu schöpfen. Der katholische Priester war Gründungsmitglied der Marianischen Konkregation, aus der später die Schönstatt-Bewegung hervorging. Seine Referententätigkeit für die Schönstatt-Bewegung war den Nazis ein Dorn im Auge, 1941 wurde er verhaftet. Er starb im September 1942 im KZ Dachau an der Hunger-Ruhr.

„Für mich ist Albert Eise ein Vorbild, wie man mit Tod und Leid umgehen kann, dass man auf Gott vertrauen kann, dass er auch wieder gute Zeiten geschehen lässt.“, berichtet die Biographin Maria Gross vom Camerloher Gymnasium über ihre persönlichen Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit Eises Lebensgeschichte. „Es war sehr interessant, sich mit Albert Eise und seinem Leben zu beschäftigen.“

 

Anton Held: Rauferei mit SA-Angehörigen

Anton Held (D) von Nina Augustin, Freising
Anton Held (D) von Nina Augustin, Freising

Nina Augustin berichtet über Anton Held, der aus Hohenkammer stammt. Dass dieser Ort nicht allzu weit entfernt liegt, empfand sie als Ansporn für ihre Forschungen. Anton Held gehörte zu jenen, die in Hohenkammer gegen die SA opponierten. Der Grund für die Verhaftung war eine Rauferei mit SA-Angehörigen in der Nähe von Hohenkammer und das Verteilen antinationalsozialistischer Flugblättern. Die Referentin bedankt sich sehr herzlich bei allen, die ihre Recherche möglich gemacht haben: Angehörige, Lokalhistoriker und Archivare.

 

Ein Dankeschön an das Karmel

 

Möglich gemacht wurde die Veranstaltung nicht zuletzt durch die sehr freundliche Überlassung der Kirche des Karmel Heilig Blut als Veranstaltungsort. Ludwig Schmidinger überreichte einen Blumenstrauß. An dieser Stelle auch ein Hinweis auf den neuen Webauftritt des Klosters: http://dachau.karmelocd.de/ .

 

Fotogalerie


Text:Irene Stuiber
Fotos: Robert Kiderle, Robert Kiderle Fotoagentur – vielen Dank für die freundliche Überlassung der Fotos!