Geschichtswerkstatt Hebertshausen: Gedenkstein am Ampermochinger Weiher

Zu Beginn der Recherche über das Arbeitskommando der Häftlinge am Ampermochinger Weiher in der Gemeinde Hebertshausen und zu Josef Rothammer stand ein Zufallsfund. Ein vergessener Gedenkstein gab den Anstoß. Bevor die biographische Recherche begann, bekam ein 2,5 Tonnen schweres Denkmal von Hermann Kleinschmidt einen würdigen Rahmen. Thomas Schlichenmayer berichtet darüber.

Als mir im Herbst 2013 am Dorfweiher in Ampermoching ein unscheinbarer, versteckter, von Brennnesseln überwucherter und mit Müll umlagerter Steinblock auffiel, ahnte ich noch nicht, welche Geschichte und Geschichten sich um diesen Stein rankten. Der Stein mit den Abmessungen von ca. 1,40 Meter Breite, 1,20 Meter Höhe und 0,75 Meter Tiefe war bearbeitet und mit Moos und Flechten bewachsen. Bei genauem Hinsehen war eine eingemeißelte Inschrift zu erkennen: „Die Opfer des Nationalsozialismus“

Der Gedenkstein am ursprünglichen Standort (Foto: Thomas Schlichenmayer)
Der Gedenkstein am ursprünglichen Standort (Foto: Thomas Schlichenmayer)

Für mich ergaben sich nach der Entdeckung Fragen:

Wer hat den Stein bearbeitet?
Wer war möglicherweise Auftraggeber?
Warum wurde der Stein mit dieser Inschrift geschaffen?
Warum steht er am Ufer des Ampermochinger Dorfweihers?
Seit wann steht er dort?

Entsprechende Nachfragen bei verschiedenen Ampermochingern, auch sogenannten Alteingesessenen, brachten keine Erkenntnisse. Man wusste zwar, dass es am Weiher einen Stein gibt. Aber wer ihn geschaffen hat, seit wann er dort steht und welche Inschrift er trägt, wusste niemand zu sagen.

Auf jeden Fall war ich der Ansicht, ein Gedenkstein, der an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert, darf nicht versteckt und vergessen an einer Stelle stehen, an der er nicht wahrgenommen werden kann. Ein solcher Gedenkstein sollte seinen Platz gut sichtbar und offen an einer anderen Stelle am Dorfweiher bekommen.

Mit dieser Idee stieß ich bei meinen Ampermochinger „Mitstreitern“ aus der Geschichtswerkstatt, insbesondere bei Josef Glas, Albert Klingensteiner und meiner Frau Hedy Esters auf offene Ohren.

Es war klar, dass wir die Idee nicht so ohne Weiteres umsetzen konnten. Zunächst brauchten wir die Zustimmung des Grundstückseigentümers für den neuen Standort. Das erwies sich wider Erwarten als recht einfach. Ein Anruf genügte und der Eigentümer ließ uns freie Hand, den neuen Standort am Weiher zu bestimmen.

 

Der Künstler

Aber auch ohne Zustimmung des Künstlers wollten wir den Stein nicht von seinem ursprünglichen Standort entfernen. Wie konnten wir herausfinden, wer den Stein geschaffen hat? Jetzt kam uns der Zufall zu Hilfe. Beim „Stöbern“ im Internet stieß ich zufällig auf einen Aufsatz von Peter Pinnau. (Peter Pinnau, Zu einigen weniger bekannten Arbeiten von Hermann Kleinknecht, Kurt Benning und Leiko Ikemura;  in Haupt- und Nebenwege, Edition belleville, 1994, S.31-36, Verlag Michael Farin, München.)

Darin beschreibt Peter Pinnau, dass der Bildhauer Hermann Kleinknecht 1984/85 einen Arbeitsraum in einem ehemaligen Schulhaus in Ampermoching gefunden hatte. Die Gemeinde Hebertshausen stellte in dieser Zeit Räumlichkeiten für freischaffende Künstler zur Verfügung.

„Mit Pfarrkirche, Dorfweiher zwei Kriegerdenkmälern und Gasthof ist von dort aus der historische Ortskern auf einigen hundert Metern Fußweg abgeschritten.

Nichts in der scheinbar intakten dörflichen Umgebung weist darauf hin, dass Ampermoching ‚Arbeitseinsatzstelle‘ des 6 km entfernten Konzentrationslagers Dachau gewesen ist und der große Weiher von Häftlingen des Konzentrationslagers trockengelegt und neu ausgeschachtet worden war.

Kleinknecht erfuhr dies im Laufe der Zeit und mit manchen Details von den Dorfbewohnern. Hierauf mit einem Gedenkstein zu reagieren, war eine Sache persönlicher Entscheidung. Unterstützung von öffentlicher Seite gab es nicht; der Pächter gab seine Einwilligung zur Aufstellung des Steines.

Reagiert hat der Künstler wohl auch auf das Jahr 1985, 40 Jahre nach der deutschen Kapitulation. Damals wurden die Folgen des Nationalsozialismus wieder intensiver diskutiert, die Diskussion kulminierte kurz darauf im sogenannten ‚Historikerstreit‘.

Seit Mitte Dezember 1985 befindet sich der Stein am Uferrand des Weihers unter Bäumen, von weitem nicht gleich als Denkmal erkennbar.

Es ist ein Block aus Carrara-Marmor (H.120cm, B. 140cm, T. 75cm) rohbelassen mit den Spuren von Bohrlöchern und Bruchflächen. Die zum See hin ausgerichtete Längsseite zeigt eine glatte, leicht schräge Schnittfläche in welche die Inschriftzeile

‚DIE OPFER DES NATIONALSOZIALISMUS‘

eingemeißelt ist. Das Reststück des Schnitts liegt am Boden davor.“

Soweit ein Ausschnitt aus Peter Pinnaus Aufsatz. Bei den Arbeiten zur Versetzung des Steines konnte das erwähnte Reststück, das vor dem Stein liegen sollte, nicht mehr gefunden werden.

Der Name des Künstlers war jetzt also bekannt. Es war dank Internet nun nicht mehr schwierig, Daten wie Wohnort und Telefonnummer des inzwischen international erfolgreichen und mit vielen Auszeichnungen bedachten Hermann Kleinknecht herauszufinden.

Ich erreichte ihn telefonisch an seinem jetzigen Wohnort in Berlin. Für das Gespräch hatte ich mich auf schwierige Verhandlungen eingestellt. Ich stellte mir vor, dass ein Künstler durchaus berechtigte Einwände vorbringen könnte, wenn eines seiner Werke einfach hin- und hergeschoben werden sollte. Aber nichts dergleichen. Er zeigte sich von der Idee, dem Stein einen prominenteren Standort zu geben, sofort angetan und gab uns, wie schon der Grundstückseigentümer, bei der Wahl des neuen Standorts freie Hand. Ich schlug Hermann Kleinknecht vor, zum besseren Verständnis der Hintergründe des Gedenksteines eine kleine Informationstafel zu installieren, mit einem von ihm verfassten Zitat dazu. Auch diese Idee fand seine Zustimmung. Er formulierte dazu folgenden Text:

 

„Opfer gab es hier wie dort. Die Opfer waren immer leidende Menschen.“

 

Ich ließ daraufhin eine Tafel aus Edelstahl anfertigen, auf der ein erklärender Text zu lesen ist:

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Die Tafel habe ich auf einen kleinen Carrara-Marmor Block geschraubt und dieser steht jetzt, etwas abgesetzt und im Boden verankert, ein Stück neben dem eigentlichen Gedenkstein. Den kleinen Marmorblock hat ein Dachauer Steinmetz für wenig Geld besorgt und für den vorgesehenen Zweck bearbeitet.

Im Telefongespräch mit Hermann Kleinknecht habe ich von der Idee berichtet, am neuen Standort für den Stein eine kleine feierliche Zeremonie zu veranstalten. Es sollte so etwas wie eine späte Einweihung sein, denn bisher war dies nicht geschehen. Hermann Kleinknecht hat das begrüßt und seine persönliche Teilnahme für diesen Fall angekündigt, da er sich ohnehin öfters in München aufhalten würde.

 

Die Umsetzung

In der Zwischenzeit hatte ich Kontakt zum frisch gewählten Bürgermeister der Gemeinde Hebertshausen Richard Reischl geknüpft. Ich schilderte ihm unser Vorhaben. Der Bürgermeister war von unserer Idee sofort angetan und hat spontan jede mögliche Unterstützung durch die Gemeinde zugesagt. Ich habe meine Absicht unterbreitet, einen Antrag an die „Bürgerstiftung Hebertshausen“ auf eine finanzielle Unterstützung zu stellen. Es sind Kosten entstanden für die Edelstahltafel samt Beschriftung und für den kleinen Marmorblock auf den die Tafel montiert wurde. Auch hier sagte der Bürgermeister sofort zu, diesen Antrag zu unterstützen. Letztlich hat die Bürgerstiftung sämtliche Kosten in Höhe von etwa 500.-€ übernommen. Offizieller Antragsteller war der federführende Träger für die „Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau“ das Dachauer Forum. Wir als Privatinitiative hätten keine Förderung durch die Bürgerstiftung erhalten können.

Es blieb jetzt die Frage zu klären, wie schaffen wir es, einen ca. 2,5 Tonnen schweren Marmorblock vom ursprünglichen Standort an den etwa 25 m weiter nördlich gelegenen neuen Standort zu bewegen.

Mein erster Gedanke war, einen Landwirt mit einem entsprechenden landwirtschaftlichen Gerät um Mithilfe zu bitten. Meine Anfragen bei verschiedenen Landwirten in Ampermoching und Umgebung wurden zwar freundlich zur Kenntnis genommen und der Wille zu helfen war durchaus erkennbar. Jedoch scheiterte das Vorhaben an unzureichendem Gerät. 2,5 Tonnen Gewicht war eine Dimension, die die landwirtschaftlichen Fahrzeuge nicht bewältigen konnten. Hier half wieder Bürgermeister Reischl, dem ich das Problem schilderte. Er schlug vor, die Aktion als Übung des Technischen Hilfswerks (THW) durchzuführen. Da die Gemeinde Hebertshausen Mitglied beim THW ist, müsste das möglich sein, meinte er. Ein spontanes Telefongespräch mit Sven Langer, einem Ampermochinger Bürger der beim THW aktiv ist, brachte die Lösung. Sven Langer trug beim THW das Anliegen vor und die Übung mit der Bezeichnung „Heben und bewegen schwerer Lasten“ wurde genehmigt. Der Bürgermeister sagte auch weitere Hilfe durch den Bauhof der Gemeinde bei der Gestaltung des Umfeldes am Gedenkstein zu.

Das THW bei der Arbeit (Fotos: Josef Glas)
Das THW bei der Arbeit (Fotos: Josef Glas)

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Ich habe später Hermann Kleinknecht gefragt, wie er denn den schweren Marmorblock vom alten Schulhaus zum ca. 150 Meter entfernten Weiher hatte schaffen können. Er schilderte, dass er mit Hilfe eines Landwirtes, dessen Name ihm entfallen war, den Stein mit Ketten an einen Traktor gehängt und die 150 Meter zum Standort über die Straße geschleift hätte.

Vor der Umsetzung des Steines musste dieser zunächst vom Algen- und Moosbefall befreit werden. Nach Entfernung der Patina war der Carrara-Marmor in leuchtendem Weiß auch als solcher wieder zu erkennen.

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Reinigung des Gedenksteins am 23. September 2014 (Foto: Thomas Schlichenmayer)

Nach erfolgreicher Umsetzung legten wir in Absprache mit dem Bürgermeister und dem örtlichen Pfarrer den Einweihungstermin für Donnerstag, den 27.11.2014 fest. Entsprechende Einladungen wurden verschickt.

Als ich mit meiner Frau und Enkelin Anna am 27. Oktober im Schnellzug von München nach Bozen saß, erreichte mich kurz vor Innsbruck der Anruf meiner Tochter auf dem Mobiltelefon. Sie berichtete aufgeregt, dass ein Herr Kleinknecht vor der Haustür stünde und fragte, was denn mit der Einweihung des Gedenksteines am Weiher wäre. Herr Kleinknecht hatte sich um einen Monat geirrt, versprach aber, am 27. November wieder in Ampermoching zur Einweihung zu erscheinen.

Einweihung des Gedenksteins (Foto: Josef Glas)
Einweihung des Gedenksteins am 27.11.2014: v.l. Pfarrer Eichhammer, Thomas Schlichenmayer, Hermann Kleinknecht, Bürgermeister Richard Reischl (Foto: Josef Glas)

Die Einweihung fand dann am 27. November 2014 in einem sehr würdevollen Rahmen statt. Etliche interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Vertretern der Gedenkstätte Dachau, dem Dachauer Forum, der Evangelischen Versöhnungskirche in der Gedenkstätte Dachau, Vertretern der Gemeinde Hebertshausen, voran Herr Bürgermeister Richard Reischl, die örtliche Pfarrei vertreten durch Herrn Pfarrer Eichhammer u.a. waren erschienen. Auch der Künstler Hermann Kleinknecht war eigens aus Berlin angereist, um an der kleinen Zeremonie teilzunehmen. Ebenso war Herr Peter Pinnau erschienen, der 1994 den Aufsatz zum Gedenkstein verfasst hatte. Die Presse berichtete am darauf folgenden Tag ausführlich über das Ereignis.

(Text: Thomas Schlichenmayer, Fotos: Thomas Schlichenmeyer, Josef Glas)