50 Jahre Versöhnungskirche: Wir gratulieren!

Ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau, kirchliche Vertreter und Ehrengäste aus mehreren Ländern legten am 8. Mai 1965 den Grundstein für die Versöhnungskirche. Beim Architektenwettbewerb hatte ein Entwurf das Rennen gemacht, der gleichwertig zur Kirche einen Begegnungsraum vorsah.
Ein ambitioniertes Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm zeigt bis heute, wie wichtig der Gedanke der Begegnung an diesem Ort war und ist. Die Versöhnungskirche ist einer der Träger des Gedächtnisbuchprojekts, im Begegnungsraum findet seit 15 Jahren die ausgestellten Gedächtnisblätter ihren Platz. Nicht zuletzt soll erwähnt werden, dass die Versöhnungskirche architektonisch als einer der wichtigsten Sakralbauten der Nachkriegszeit gilt. Wir gratulieren sehr herzlich zum 50jährigen Jubiläum!

Interview zur Ausstellung „Namen statt Nummern“ an der Berufsfachschule für Kinderpflege in München

Liebe Frau Röll, Sie unterrichten an der Berufsfachschule für Kinderpflege in München. Die Berufsfachschule  zeigt die Ausstellung zum Gedächtnisbuchprojekt schon zum wiederholten Mal?
Die Ausstellung „Namen statt Nummern“ wird heuer das dritte Mal jeweils im Abstand von zwei Jahren an unserer Schule gezeigt. Alle Klassen der 10. und 11. Jahrgangsstufe der Berufsfachschule für Kinderpflege besuchen die Ausstellung in der Zweigstelle in der Hiltensbergerstr. 72 zusammen mit ihren Ethik- und Religionslehrkräften. Die 10. Klassen haben im Vorfeld einen Seminartag am Max-Mannheimer Studienzentrum in Dachau mit Besuch der Gedenkstätte absolviert.

 

Wie wird dieser Ausstellungsbesuch inhaltlich in den Unterricht eingebettet?

Die Ausstellungsbesuche schließen sich an die Thematik Judentum an. Unsere Absicht ist es, den Jugendlichen, die zum Großteil viele unterschiedliche Nationalitäten haben, den Holocaust näher zu bringen. Noch wichtiger ist es, anhand der Ausstellung die Einzelschicksale näher kennenzulernen. Dazu erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Arbeitsauftrag. Sie sollen sich in Gruppen eine Person aussuchen, mit deren Leben sie sich näher befassen wollen.
Auf der Basis des Gedächtnisbuchs und anderer Quellen sollen sie dann den Lebensweg z.B. auf einem Plakat visualisieren, also die hellen und die dunklen Zeiten. Genauso wichtig ist aber die Frage, warum wir uns heute mit diesen Schicksalen beschäftigen. Was sagen sie uns? Was können wir von ihnen lernen?Inwiefern sind sie für mich heute ein Vorbild?

Was sagen Ihre Schülerinnen und Schüler dazu?

Die Jugendlichen sind in der Regel von der Ausstellung fasziniert. Sie sind sehr motiviert, sich auf die Personen einzulassen. Auch die Präsentation ihrer Arbeit ist häufig sehr emotional und die Ergebnisse sehenswert.

Diese guten Erfahrungen haben uns davon überzeugt, die Ausstellung immer wieder den neuen Schülergenerationen zu zeigen. Sie hat in den Jahren nichts von ihrer Wirkung auf die jungen Menschen verloren. So hoffe ich, dass sie noch einige Jahre unsere zukünftigen Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger auf eindrucksvolle Weise zeigen kann, dass Menschen auch in extrem schwierigen
Situationen ihre Menschlichkeit bewahren und leben können.

 

 Zum ersten Foto: Vor den Bannern stehen Vasen. Die Schülerinnen und Schüler übernehmen für „ihren“ Häftling eine Patenschaft, indem sie Blumen in die Vasen stellen und auch Steine davor ablegen.  Die Vasen sind noch nicht gefüllt, das Foto ist vom Beginn der Ausstellung.

„Mein Sohn, werde Imker, dann wirst Du hundert Jahre alt werden“

Am Donnerstag, den 30. April waren Pjotr Stepanowitsch  Kudin und Mussij Dmytrowytsch Galajko bei mir zu Gast. Beide sind in unserer Wanderausstellung zu sehen. Herrn Kudin kenne ich inzwischen seit 1996 oder 1998, zunächst von dem Einladungsprogramm des Fördervereins, für das ich früher die Gruppenbetreuungen gemacht habe, dann von den Spendenaktionen in der Ukraine und natürlich vor allem durch das Osteuropa-Projekt im Gedächtnisbuch, bei dem zwei ukrainische Teilnehmerinnen, Viktoria Naumenko und  Inna Demus, für die beiden Gedächtnisblätter erstellt haben. In diesem Zusammenhang waren sie auch beide 2007 auf Einladung des Gedächtnisbuchs in Dachau, Mussij Galajko damals auch schon in Begleitung seines Sohnes Wladimir, der auf dem Bild am Tisch ebenfalls zu sehen ist. Kudin ist momentan als Gast des Fördervereins in Dachau, Herr Galajko auf Einladung der KZ-Gedenkstätte. Er wird von seiner Familie begleitet.

Wir haben unser Wiedersehen gefeiert und gemeinsam mit Tatjana Pastushenko, Historikerin in Kiew, einen schönen Abend verbracht. Tatjana Pastushenko hat von 2005-2007 eine Gedächtnisbuch-Werkstattgruppe in Kiew geleitet. Sie ist momentan mit einer Gruppe von ehemaligen Häftlingen verschiedener Lager auf Einladung des Arbeiter-Samariter-Bundes in München und wir nutzten die Gelegenheit für ein Wiedersehen. Sie hat die Fotos gemacht – vielen Dank dafür!

Herr Galajko hat sich seine freundliche bescheidene Art erhalten und strahlt Zufriedenheit und Gelassenheit aus. Es ist schön zu sehen, wie liebevoll seine Familie zu ihm steht und ihm während seines Aufenthaltes in Dachau beisteht.

Ich erinnere mich immer an einen Spruch aus dem Gedächtnisblatt von Herrn Kudin, in dem er seinen Vater zitiert: „Mein Sohn, werde Imker, dann wirst Du hundert Jahre alt werden“. Herr Kudin ist auf dem besten Weg dazu: Er ist jetzt 90 Jahre alt und wirkt agil wie eh und je. Er hält immer noch Bienen. Ich danke Ihnen, Mussij Dmytrowytsch und Pjotr Stepanowitsch für Ihren Besuch und wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie und ihre Angehörigen in eine friedliche Zukunft sehen können!

(Text: Sabine Gerhardus)

Foto: Jack van Ommen

Herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des General-André-Delpech-Preises an Jos Sinnema!

Der Trägerkreis freut sich mit Jos Sinnema über eine außergewöhnliche Anerkennung seines unermüdlichen Einsatzes für die Erinnerung an die ehemaligen KZ-Häftlinge in den Niederlanden. Am 24. April 2015 wurde Jos Sinnema im Rahmen einer Dachau-Lesung in Amsterdam der General-André-Delpech-Preis  des CID verliehen. Die Laudatio hielt Sonja Holtz-Arendse, die Medaille wurde Jos von der ehemaligen Leiterin der KZ-Gedenkstätte und ersten Preisträgerin Dr. Barbara Distel überreicht.
Foto: Jack van Ommen

Der Preis wird an Personen verliehen, die „für das CID und für die Erinnerung beispielhaft gearbeitet haben“. Er ist benannt nach dem 2012 verstorbenen ehemaligen Widerstandskämpfer und späteren Präsidenten der französischen Lagergemeinschaft und Vorsitzenden des Internationalen Dachau Komitees, André Delpech. Bisher haben den Preis erhalten: Dr. Barbara Distel und Dr. Angela Merkel.

Das Gedächtnisbuch verdankt Jos´ Einsatz nicht nur wunderbare neue Biographien, sondern ist durch seine Mitarbeit auch internationaler geworden und hat viel zusätzliche Anerkennung erfahren. Sabine Gerhardus freut sich über „die stets anregende Zusammenarbeit, über neuen Anregungen, Ideen oder einen anderen Blickwinkel, die meine Arbeit bereichern“.

Wir gratulieren!

 

Befreiungsfeier mit ehemaligen Häftlingen

Wir freuen uns, dass auch dieses Jahr eine ganze Reihe in Gedächtnisblättern gewürdigte Dachau-Überlebende zur Befreiungsfeier anwesend sein werden.

Bisher wissen wir von

Uri Chanoch
Mussij Dmytrowytsch Halajko
Pjotr Stepanowitsch Kudin

Max Mannheimer
Abba Naor
Henk van de Water.

Wir wünschen einen angenehmen Aufenthalt!

Koningsdag im Generalkonsulat

Klaus Schultz, Sabine Gerhardus und Ludwig Schmidinger vertraten das Gedächtnisbuch am Koningsdag, der Feier des Geburtstages von König Willem-Alexander, im niederländischen Generalkonsulat am 28. April. Willem-Alexander hatte die Gedächtnisbuch-Ausstellung im Widerstandsmuseum in Amsterdam eröffnet.

 

Augsburger Allgemeine Zeitung schreibt über Henry Landman

Einen Artikel über die Erlebnisse des aus Augsburg vertriebenen Henry Landman, der als amerikanischer Soldat zurückkehrte, bringt derzeit die Augsburger Allgemeine Zeitung. Wir haben in den letzten Einträgen seine Dachauer Erfahrungen bei Kriegsende wiedergegeben.
Online findet sich der Artikel der Augsburger Allgemeinen hier:
http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Ein-Befreier-einst-aus-Augsburg-vertrieben-id33865627.html .

 

Henry (Heinz) Landman und der 70. Jahrestag der Befreiung von Dachau

(Der englische Originaltext findet sich im vorhergehenden Blogeintrag.)

Veronika Stumpf schrieb vor einigen Jahren die Biographie von Henry Landman für das Gedächtnisbuch. Wir danken Rick Landman sehr herzlichen für den folgenden Text, der er über die Erinnerungen seines Vaters an die Befreiung von Dachau schrieb.

Mein Vater war sehr aufgewühlt, als er die Einladung zum 70. Jahrestag der Befreiung Dachaus erhielt. Denn er war nicht nur einer der amerikanischen Soldaten bei der Befreiung, sondern er war auch als Jude nach der Kristallnacht in Dachau interniert gewesen. Im Lauf der Jahre hat er mir viel über Dachau erzählt, aber die folgende Geschichte ist die wichtigste für den 70. Jahrestag der Befreiung. Sie folgt dem, was mir mein Vater erzählt hat.

 

1945 bestand die Stadt Dachau im wesentlichen aus einer Hauptstraße mit einigen Seitenstraßen. Als er diese Straße erreichte, war sie voller Menschen, die schrien, aßen, plünderten, und entweder wegen ihrer neuen Freiheit aufgeregt waren oder in Sorge darüber waren, was als nächstes passieren würde. Colonol Porter teilte ihm einen Jeep zu, und als er die Straße entlang fuhr, sprang eine Frau in einem langen schwarzen Kleid in die Mitte der Straße und winkte, um die Aufmerksamkeit meines Vaters auf sich zu ziehen. Sein Jeep hielt und mein Vater sprang in seiner US-Army-Uniform heraus, er hatte sein Gewehr bei sich und fragte sie, was sie wollte. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Dringlichkeit und Angst, aber sie beruhigte sich und bedeutete ihm, ihr in ein kleines Haus mit einer Bäckerei im Erdgeschoß zu folgen. Sie wollte die Straße verlassen, um ihm zu erzählen, warum sie so außer sich war. Im Haus erklärte sie, dass sich unten jemand versteckte, der sich direkt bei einem amerikanischen Soldaten ergeben wollte. Sie sagte, sie wolle ihn aus dem Haus haben und wüsste nicht, was sie tun sollte.

Der Mann, der in ihren Laden gerannt war, trug immer noch seine SS-Uniform und fürchtete sich mehr vor den gerade befreiten KZ-Häftlingen als vor der US-Armee. Mein Vater ging eine Wendeltreppe hinunter, er sicherte mit seinem Gewehr, als er langsam hinabstieg, und da, in eine Ecke gedrückt, stand womöglich ein ehemaliger diensthabender Hauptsurmführer der SS-Offiziere des Dachauer Konzentrationslagers. Als der Nazi-Offizier meinen Vater sah, stand er auf, salutierte mit dem amerikanischen Gruß und sagte, er wolle sich einem Amerikaner ergeben, um sicher vor dem Mob der früheren KZ-Insassen zu sein. Das alles kam meinem Vater sehr bizarr vor, denn er erinnerte sich gut daran, wie es war, in Dachau eingesperrt zu sein. Auch wenn dieser Mann nicht derselbe Diensthabende war wie 1938, erschien es meinem Vater sehr seltsam, der Retter eines SS-Offiziers zu werden. Rückblickend fragte sich mein Vater, ob der Oberst vielleicht der Sohn der schreienden Frau war und ob sie ihn vielleicht dazu gebracht hat, ihren Sohn zu retten.

Mein Vater erklärte nicht, wer er war und warum er Deutsch sprach und er ließ sie im Unklaren, ob alle US-Soldaten so versiert waren wie er. Der Offizier stieg mit den Händen über dem Kopf die Treppe hinauf. Mein Vater und der andere Soldat, der den Jeep bewachte, brachten den Hauptmann auf der Kühlerhaube des Jeeps unter und sie befahlen ihm, sich an der Metalstange festzuhalten, die an der Frontstoßstange befestigt war. Dieses Metalstange war die neueste Erfindung der Amerikaner, die die Jeepfahrer davor schützen sollte, enthauptet zu werden. Denn die Deutschen spannten dünne Metalldrähte zwischen Bäumen beiderseits der Straße und warteten darauf, dass die Amerikaner in ihren offenen Jeeps hineinfuhren und ihnen die Köpfe abeschnitten wurden.

An diesem Tag musste sich mein Vater nicht mehr wegen einer Enthauptung sorgen. Zusätzlich zur vorstehenden Metallstange hatte er einen Nazi-Offizier vor sich, der jeden Draht zuerst zu spüren bekommen würde. Als mein Vater die Dachauer Hauptstraße entlang fuhr mit dem prominenten Nazi auf dem Kühler, erinnerte er sich daran, dass man ihm vor sechs Jahren, als er aus Dachau entlassen wurde, gesagt hatte, er solle so schnell wie möglich Deutschland verlassen, weil er das nächste Mal nicht mehr lebend aus dem Lager käme. Sechs Jahre später rettete er einen Mann, der für das ganze Morden verantwortlich war.

 

Henry (Heinz) Landman and the 70th Anniversary of the Liberation of Dachau

(Eine deutsche Übersetzung findet sich im nächsten Blogeintrag.)

Veronika Stumpf wrote the biography of Henry Landman for the book of remembrance some years ago. Many thanks to Rick Landman who wrote the following text about his fathers remembrance on the liberation of Dachau.

My father was so excited to be invited to the 70th Anniversary of the liberation of Dachau; for he was not only there at the liberation as an American soldier, but was also interned there as a Jew after Kristallnacht.  Sadly, he died shortly after receiving the invitation.  Over the years, he told me so many stories about Dachau, but I think this one is the most relevant for the 70th Anniversary of the Liberation. This is in remembrance of one of the stories my father told me.In 1945, the town of Dachau had one major road with a few side streets off to the sides.  When he arrived the street was full of people shouting, eating, looting, and running around either in exuberance of their new freedom or fear of what will happen next.   Colonel Porter gave him a jeep, and while riding down the street, a woman in a long black dress jumped into the middle of the street waving her hands trying to get my father’s attention. His jeep stopped and my father hopped out in his U.S. Army uniform, carrying his rifle and went up to her asked her what she wanted.  Her face showed a combination of urgency and fear, but she calmed down and motioned him to go with her into a small house with a bakery on the ground floor.  She wanted to get off the street before she would tell him why she was so frantic.  When inside, she explained that someone was hiding downstairs who wanted to surrender directly to an American soldier.  She said that she just wanted him out of her house and didn’t know what to do.

The man who ran into her store was still wearing his S.S. uniform and was more afraid of the newly liberated concentration camp prisoners than he was of the U.S. Army.  My father went down a spiral staircase pointing his rifle as he slowly descended, and there hovering in the corner, was probably a former Captain in charge of the S.S. officers at Dachau Concentration Camp.  When the Nazi officer saw my father, he stood up and saluted him with an American salute and he said that he wanted to surrender to an American, and be away from the mob of former inmates.  The whole thing was so bizarre to my father who could still remember being in Dachau as an inmate.  Even if this man was not the same Captain as in 1938, the thought of my father being the savior of an S.S. officer was quite ironic.  In retrospect, my father wondered if the Captain was actually the son of the screaming woman, and she tricked him into saving her son.

My father didn’t explain who he was and why he spoke German and just let them wonder if all of the U.S. soldiers were as conversant as he.  The Captain walked upstairs with his hands over his head, and then my father and the other soldier who was watching the jeep put the Captain on the hood of the jeep and told him to hold on to the metal bar that was attached to the front bumper.  This bar was the latest invention of the Americans to try to keep them from being decapitated.  The Germans would tie a thin wire around a tree on one side of the street and then cross the street and tie it to another tree, hoping that the American soldiers in the convertible jeeps would ride by and have their heads sliced off.

My father didn’t have to worry this day about any decapitation.  In addition to the outreaching metal stick, he had a Nazi officer in the front who would feel any wire before they would.  As my father drove down the main street of Dachau with this prominent Nazi on the hood, he remembered that six years earlier he was released from Dachau and was told that he better get out of Germany, because the next time he ended up in that camp, he wouldn’t be getting out alive.  Now six years later, he was an American soldier saving the life of a man in charge of all that killing.