Warum gibt es in München keine
Ludwig-Kaumheimer-Straße?
Interview mit Thomas Nowotny

Foto: Thomas Nowotny

Als der Kinderarzt Thomas Nowotny zum ersten Mal die Gedenkstätte in Dachau besuchte, dachte er, zum Glück war niemand von meiner Familie hier eingesperrt. Später erforschte er die Geschichte seiner Familie und erfuhr, dass vier seiner Münchner Verwandten in Dachau inhaftiert waren. Thomas Nowotny verfasste Gedächtnisblätter zu seinen Angehörigen und ein weiteres über den Münchner Kinderarzt Ludwig Kaumheimer, auf den er durch die schriftlichen Erinnerungen seiner Großmutter aufmerksam geworden war.

Deine Tante hat in den Zwanzigerjahren ihre Mutter gefragt: „Warum gibt es in München keine Kaumheimer-Straße?“, so beeindruckt war sie von ihrem Kinderarzt. Gibt es heute wieder einen Grund, diese Frage zu stellen?

Ja, unbedingt. Er war ein guter Kinderarzt, er war am von Haunerschen Kinderspital tätig, er hat dort auch Forschung betrieben, er ist im ersten Weltkrieg Soldat gewesen, hochdekoriert. Und dann ist er eben von den Nazis wie alle jüdischen Münchner sehr schlecht behandelt worden, er wurde in Dachau eingesperrt und ist aus dem  Land gejagt worden. Ich denke, das sind schon viele Gründe, auch heute an ihn zu erinnern.

Straßen werden oft nach Menschen benannt, die sich besonders für die Gesellschaft engagiert haben. Du hast die Tätigkeit von Ludwig Kaumheimer am von Haunerschen Kinderspital und seine wissenschaftliche Forschung als Arzt erwähnt. Gibt es darüber hinaus noch weitere Aktivitäten?

Ludwig Kaumheimer hat bis in die dreißiger Jahre, bis zu seiner Emigration, die Kinder im Antonien-Heim ehrenamtlich betreut. Das Antonienheim war ab Mitte der zwanziger Jahre ein Heim für arme jüdische Kinder. Und er hat sich im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in München engagiert, er war stellvertretender Vorsitzender. Er gehörte also zu den Menschen, die sich öffentlich gegen Antisemitismus wandten und sich für die Integration jüdischer Deutscher in die Gesellschaft einsetzten.

Gibt es einen speziellen Ort, ein städtebauliches Umfeld, wo du dir eine Ludwig-Kaumheimer-Straße gut vorstellen könntest?

Ludwig Kaumheimer hatte seine Praxis in der Karlstraße 7. Ich denke nicht, dass man die Karlstraße umbenennen wird. Dort sollte aber eine Gedenktafel oder ein Stolperstein an ihn erinnern. Jetzt ist in Großhadern ein Neubau für das von Haunersche Kinderspital geplant. Bei einem solchen Neubau entstehen in der Regel neue Straßen. Da wäre es doch eine Idee, eine dieser Straßen nach ihm zu benennen.

Ludwig Kaumheimer ist 1938 in die USA emigriert. Was bedeutete das Exil für sein Leben?

Es bedeutete einen völligen Einschnitt, nicht nur was seine materiellen Lebensverhältnisse, sondern auch, was seine berufliche Karriere anging. Er konnte nicht mehr als Arzt arbeiten, weil er durch mangelnde Sprachkenntnisse nicht in der Lage war, das amerikanische Examen abzulegen. Er war ja nicht mehr der Jüngste, er war schon Mitte Fünfzig. Er arbeitete dann als Krankenpfleger in einem Krankenhaus in der Nähe von San Francisco. Und ich denke, das war ein harter Schlag für ihn. Denn nach dem, was ich über ihn weiß, war er mit Leib und Seele Kinderarzt.

(Das Interview führte Irene Stuiber.)

Zwischenbericht von Maya:
„Das, was passiert, betrifft jede und jeden von uns“

 

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Maya, zur Zeit ASF-Freiwillige in Dachau und auch im Gedächtnisbuch-Projekt, hat ihren Zwischenbericht mit diesem Foto illustriert. Hier ihre Erklärung, warum sie dieses Graffiti fotografiert hat:
„Im Januar bin ich in Dachau spazieren gegangen, um die Stadt einer Freundin aus Russland zu zeigen. Da habe ich dieses Graffiti gesehen. Es war an der Wand eines Kindergarten, glaube ich. Ich sah es und ich dachte: „Das ist es. Dies drückt es perfekt aus. Wir sind alle Dachau, weil das, was passiert, betrifft jede und jeden von uns…“

Niederlande: Bernulphuskerk Oosterbeek zeigt Ausstellung „Namen statt Nummern“

Die Bernulphuskerk Oosterbeek zeigte vom 23.5.-30.5.2015 die Ausstellung „Namen statt Nummern“. Dabei werden die neuen Banner für Jan van Kuik und Velo Biermann enthüllt.

Kriegsende und Nachkriegszeit
im Landkreis Dachau

Ausstellung der Geschichtswerkstatt in Markt Indersdorf

Die Geschichtswerkstatt Indersdorf präsentiert ihre Forschungsergebnisse ab dem 22.5.2015 in der Wanderausstellung des Landkreis-Projektes „Kriegsende und Nachkriegszeit im Landkreis Dachau (1945-1949)“. Bilder, Dokumente, Zeitzeugenberichte und Objekte aus dieser Zeit veranschaulichen die schwierigen Lebensumstände der Menschen in der Nachkriegszeit. Ein besonderer Aspekt der Ausstellung ist das Lager Wagenried, in dem nach dem Krieg Flüchtlinge und Heimatvertriebene untergebracht waren.

Eröffnet wird die Ausstellung am 22.5.2015 um 19 Uhr. Es sprechen Bürgermeister Franz Obesser, Anton Jais, der Vorsitzender des Dachauer Forum und Kurator Hans Kornprobst. Eine Einführung in die Ausstellung übernimmt
Annegret Braun.

Ausstellungsdauer: 22.5.-20.9.2015
Ort: Augustiner Chorherren Museum, Marienplatz 1-3, Markt Indersdorf
Öffnungszeiten: Freitag und Samstag jeweils 13 – 16 Uhr, Sonntag 13 – 17 Uhr

 

Für Ideale einstehen und in der Freundschaft treu sein – Theateraufführung Amsterdam

Ein besonderes Programm an einem besonderen Tag, dem 4. Mai 2015: Am Vortag der Befreiung vom Faschismus vor 70 Jahren wird überall in den Niederlanden an die Opfer des Naziterrors erinnert. Mit meiner Frau besuche ich zuerst die Ausstellung „Geen Nummers maar Namen“ im Amsterdamer Widerstandsmuseum, dann die zentrale Gedenkfeier zum nationalen Totengedenken mit unglaublich vielen Menschen auf dem Dam und schließlich das „Theater na de Dam“: Schülerinnen und Schüler, die Häftlingsbiographien erstellt haben, treten gemeinsam mit Überlebenden auf, unterstützt von einem Moderator und zwei Musikern.

Wie heutzutage in fast jedem Theaterstück, ist auch ein kurzer Film Teil der Aufführung. Obwohl wir mangels Sprachkenntnissen leider nicht alles verstehen können, ist die ausverkaufte Vorstellung absolut beeindruckend. Aus der Rede der Ravensbrück- und Dachau-Überlebenden Willemijn Petroff-van Gurp:„Dies ist eine Lektion aus dem Lager, die ich gerne weitergeben möchte: Mach keinen Unterschied. Urteile nicht nach der Oberfläche und urteile nicht zu schnell. Es ist besser, Fragen zu stellen und zu versuchen, die andere Person zu verstehen. Im Widerstand und im Lager habe ich nicht nur gelernt, für Ideale einzustehen, sondern auch, wie wichtig es ist, in der Freundschaft treu zu sein. Für einander da zu sein.“ In bewegenden Worten schildert sie die Wärme und Fürsorge, die sie unter den Extrembedingungen des KZ von ihren Freundinnen erfuhr, ohne die sie wahrscheinlich nicht überlebt hätte. „Diese und andere Ereignisse haben mir gezeigt, dass alle Menschen gleich sind. Der wirkliche Wert liegt nicht im Rang oder Stand, sondern im Herzen. Auch das ist eine Lektion aus dem Lager, die ich gerne weitergeben möchte.“

Diese unglaubliche Kraft und Herzenswärme, die so oft bei der Vorstellung der Biographien für das Gedächtnisbuch und besonders bei Ansprachen der ehemaligen Häftlinge zu spüren ist, wirkt auf alle im Saal. Und so ist auch die Botschaft des Abschlussliedes sehr authentisch: „Du bist nicht allein“. Viel Schreckliches haben die jungen Biographen von den alten Häftlingen erfahren, doch niemand wurde alleingelassen. Danke an Sabine Gerhardus und Jos Sinnema für dieses wunderbare Projekt!

Text und Bild: Tom Nowotny

 

Theateraufführung in Amsterdam – Reisetagebuch

Freitag,  1. Mai 2015:

An  diesem Tag haben wir uns am Münchner Flughafen kennengelernt. Als  wir abends in Amsterdam gelandet sind, hat uns Jos Sinnema, unser  niederländischer Betreuer und Ansprechpartner beim Verfassen der  Biografie, vom Flughafen abgeholt und uns zu dem B&B gebracht, in  dem wir übernachtet haben. Dort sind wir müde und gespannt auf die  Proben am nächsten Tag ins Bett gefallen.

Samstag,  2. Mai 2015:

Wir sind extra früh aufgestanden und losgefahren, um uns mit Jack van  Ommen, dem Sohn von Renny van Ommen-de Vries, über die ich  (Henriette) geschrieben habe, zu treffen. Leider haben wir aber für  eine Strecke, die man normalerweise in 15 Minuten radelt, 45  gebraucht – tja, Fahrrad fahren in Amsterdam ist nicht gerade  leicht. Als wir dann endlich da waren, haben wir uns richtig gut mit  Jack unterhalten und zusammen einen Kaffee getrunken.

Danach  hat uns Jos netterweise wieder abgeholt und wir sind zusammen zu den  Proben gefahren, sonst wären wir dort wahrscheinlich auch viel zu  spät angekommen. Von 13-18.00 Uhr waren die Proben. Wir haben erst  die anderen niederländischen Teilnehmer kennengelernt und uns sofort  mit allen verstanden. Es war sogar extra eine Übersetzerin für uns  da (vielen Dank, liebe Paula, du hast uns wirklich geholfen!!).  Außerdem haben wir Organisatorisches geklärt und angefangen, die  Lieder einzustudieren, wie unter anderem auch das Dachau-Lied, das  zwei Häftlinge damals im Konzentrationslager im Kopf “geschrieben“  haben.

Nach  dem Proben saßen wir dann noch mit ein paar Leuten bei Aik Meeuse  (Produzent des Theaterstücks) zusammen und haben uns unterhalten.  Später sind wir nur noch Essen gegangen und dann ziemlich müde ins  Bett gefallen.

 Sonntag,  3. Mai 2015:

Der  Sonntag lief eigentlich ähnlich ab wie der Samstag. Morgens haben  wir ein bisschen Sightseeing gemacht und waren im Westerpark auf  einem sehr schönen Markt.

Da wir  auf keinen Fall zu spät kommen wollten, sind wir von dort wieder  einmal extra früh Richtung Proben gefahren, diesmal waren wir jedoch  überpünklich da und standen erstmal noch vor verschlossenen  Türen.  Die Proben an dem Tag liefen auch ziemlich wie am Vortag  ab. Abends bin dann ich (Henriette) mit meiner Tante und deren  Familie, die in der Nähe von Amsterdam wohnen, Abendessen gegangen  und ich (Anna) bin im strömenden Regen nach Hause geradelt –  natürlich hab ich mich wieder einige Male verfahren.

Montag,  4. Mai 2015:

Und  schon war der Tag der Aufführung da… Bevor wir uns um 15:30 Uhr im  Theater Bellevue zur Generalprobe getroffen haben, haben wir uns den  Vondelpark, die Museumsplein und den Blumenmarkt angeschaut.

Die  Generalprobe lief ziemlich entspannt ab. Wir haben Ton und Licht  getestet, noch einmal alle Lieder gesungen und die letzten  Unstimmigkeiten geklärt. Später ist noch Sabine Gerhardus  dazugekommen, die extra für die Aufführung nach Amsterdam gekommen  ist und wir sind alle zusammen Essen gegangen.

Dann  ging alles ziemlich schnell. Wir haben uns für die Aufführung  hergerichtet und danach die Totengedenkfeier am Dam (zentraler  Hauptplatz der Stadt) im Fernsehen angeschaut.

Als  wir dann alle die Mikrofone anhatten, ging es auch schon los. Die  Aufführung bestand hauptsächlich aus einer Art Interview darüber,  welche Erfahrungen wir bei der Recherche, den Besichtigungen der KZ’s  und dem Verfassen der Biografie gemacht haben. Es wurde auf  niederländisch moderiert und geantwortet, nur wir wurden direkt in  Englisch angesprochen und haben auch so geantwortet. Währenddessen  wurde weiterhin von Paula alles für uns leider Unverständliche  übersetzt. Das ganze wurde mit Musik, Filmen und Bildern untermalt.  Ganz besonders war die Rede der Überlebenden Willemijn Pertroff-van  Gurp und das kurze Interview mit dem Überlebenden Jan `Skippy`de  Vaal, der gerade bei der Totengedenkfeier einen Kranz niedergelegt  hatte.

Die  Aufführung war wirklich toll, ist gut gelaufen und hat uns richtig  Spaß gemacht, auch wenn wir davor natürlich schrecklich nervös  waren. Es war auch schön, danach mit einigen Leuten zu reden und  ihre Meinung dazu zu hören. Auch Jack van Ommen und seine Schwester  Karolien haben sich die Aufführung angeschaut. Viele sind zu uns  gekommen und haben (oft sogar auf Deutsch) gesagt, dass sie es sehr  schön fanden, dass wir dabei waren und dafür extra nach Amsterdam  gekommen sind – das war ein tolles Gefühl.

Die  Zeit ist an dem Abend wie im Flug vergangen und auf einmal war es  schon 2 Uhr. Wir waren dann ziemlich müde und sind (wieder) im  strömenden Regen in unsere kleine Dachgeschossunterkunft gefahren  und haben uns natürlich auch wieder verfahren – das ist die wahre  Amsterdam-Erfahrung.

Dienstag,  5. Mai 2015:

Am  Dienstag waren wir zusammen mit Jos und seiner Familie im  Widerstandsmuseum und haben uns die Ausstellung „Geen nummers maar  Namen“ angesehen. Es ist eine eindrucksvolle und berührende  Ausstellung. Jos konnte uns auch noch viele weitere Details zu den  Biografien und ausgestellten Gegenständen erzählen, was es noch  interessanter gemacht hat.

Nach  dem späten Mittagessen wurden wir zum Flughafen gebracht und damit  war unsere Reise leider schon vorbei. Wir wären am liebsten beide  länger geblieben.

An  dieser Stelle möchten wir uns auch noch einmal bei allen Beteiligten  der Vorstellung bedanken und natürlich auch bei Sabine Gerhardus und  Jos Sinnema für die Ermöglichung der Reise. Wir haben dabei viel  neues gelernt und tolle Erfahrungen gemacht. Vielen, vielen Dank!

Das Tagebuch führten  Henriette Schulze und Anna Krombacher.

(Foto: Jack van Ommen)

„Du solltest es einmal erzählen, denn bald wirst Du nicht mehr da sein, und dann gibt es keine Zeugen mehr.“ Eindrücke von der Theateraufführung „Namen statt Nummern“

Jedes Jahr  feiern die Niederländer am 5. Mai den „Bevrijdingsdag“. Die Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung und das Ende des Krieges haben bis heute große Bedeutung für die Menschen. Der 5. Mai ist gesetzlicher Feiertag, überall finden Festivals und Konzerte statt. Am Vorabend, dem 4. Mai, wird der Toten gedacht. Am zentralem Platz, dem „Dam“, vor dem Königspalais in Amsterdam versammelten sich in diesem Jahr so viele Menschen, dass – so sah es zumindest in der Fernsehübertragung aus, die ich im Theater Bellevue live verfolgen konnte – keiner mehr dazwischen gepasst hätte. Um 20 Uhr legten König Willem-Alexander und seine Frau Maxima einen Kranz am Nationalmonument nieder. Das Königspaar begrüßte fünf Delegationen von Veteranen, die ebenfalls einen Kranz niederlegten. Darunter war auch der Überlebende des KZ Dachau, Jan (Skippy) de Vaal. Anschließend stehen die Tausende auf dem Platz mehrere Minuten in stillem Gedenken. Im Anschluss an die Kranzniederlegung wurde Skippy direkt zu uns ins Theater Bellevue gefahren.
Zu uns: das waren fast alle (ehemaligen) Schüler aus den
Niederlanden, Henriette Schulze (ehemalige Schülerin des Camerloher-Gymnasiums Freising)
und Anne Krombacher (ehemals Ignaz-Taschner-Gymnasium Dachau), die bisher am Projekt Gedächtnisbuch beteiligt gewesen sind und jetzt auf ihren Auftritt warten, Willemijn Petroff-van Gurp, die als Überlebende des KZ Dachau ebenfalls am Stück beteiligt war, die Organisatoren und Produzenten Jos Sinnema, Aik Meeuse und ihre Crew und ich. Zwischen der Generalprobe und dem Beginn der Aufführung war noch so viel Zeit, dass wir Skippys Kranzniederlegung  beobachten konnten. Pünktlich um 21.00 Uhr beginnt im ganzen Land „Theater na de Dam“ – verschiedene Theateraufführungen nach der zentralen Totengedenkfeier. In diesem Jahr war dank der Initiative von Jos
Sinnema und Aik Meeuse auch eine Aufführung von Schülern aus dem Gedächtnisbuch-Projekt möglich.

Der Theatersaal war bereits auf bis auf den letzten Platz gefüllt, die Schüler hatten mit der Aufführung begonnen, als Skippy den Saal betrat und mit großem Applaus begrüßt wurde. Aus meinen rudimentären
Holländisch-(Un)kenntnissen und der raschen Übersetzung von Aik, der neben mir saß, habe ich verstanden:  Ja, der König hatte ihn, Skippy, wiedererkannt – keine zwei Wochen vorher hatten sie sich ja bereits bei der Ausstellungseröffnung im Widerstandsmuseum kennengelernt.

In einer raschen Folge sahen und hörten wir nun Eindrücke
aus den Erinnerungen an die Projektarbeit der Schüler, unterlegt mit Filmausschnitten und einer musikalischen Darbietung. Anna Krombacher (ehemalige Schülerin des ITG Dachau aus Sulzemoos) erzählte mir:  „Es geht vor allem darum, auch unsere Erfahrungen herauszubringen, mit unserer Arbeit an den Gedächtnisblättern und
mit unserer Arbeit mit der damaligen Zeit. Herzstück des ganzen waren Willemijns Erinnerungen an die Zeit ihrer Haft in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Dachau und den Weg, den sie – auch durch das Gedächtnisbuch – vom Schweigen und Verdrängen der Erinnerungen hin zum Sprechen gefunden hat:  „Seitdem habe ich meine Geschichte schon öfters erzählt. Und ich kann Ihnen sagen: es ist wie eine Befreiung. Das Leid hat sein schärfsten Kanten verloren und die schönen Erinnerungen aus dem Lager sind in den Vordergrund gerückt. Damit meine ich die intensive Freundschaft, die ich im Lager erleben durfte.“ Willemijn ist diesen Schritt gegangen,  „weil ich es wichtig finde, dass die Jugend versteht, was Freiheit bedeutet, was Meinungsfreiheit bedeutet, was die Gefahren der Diktatur sind und was es heißt, wenn Menschen für minderwertig erklärt werden.“
Mit Anna und Henriette konnte ich noch vor der Aufführung ein kurzes Interview führen. Ich fragte sie, was für sie das Besondere an diesem Projekt war:
(Foto: Jack van Ommen)
Anna sieht man ihre Begeisterung an: „Ich find‘ wahnsinnig toll, dass wir die Chance haben bei so was mitzumachen. Ich meine, ich habe meine Biographie für das Gedächtnisbuch 2010/2011 geschrieben. Also das sind jetzt 5 Jahre her, und jetzt sitze ich hier in Amsterdam und hab die Gelegenheit bei so was Tollem mitzumachen, bei dem Buch, und dann die Theateraufführung. Ich meine, es sind ehemalige Häftlinge dabei, die wir heute sprechen hören – hoffentlich dann auch verstehen, weil die Paula ein bisschen übersetzen wird. Ich find das ein Wahnsinns-Projekt!“ Henriette ergänzt: „Ich finds auch schön, dass es hier
gemacht wird, nicht nur in Deutschland, dass es sich ausgeweitet hat auf andere Länder und dass die auch daran Interesse haben, es mit Deutschen zu teilen und die mitmachen zu lassen, obwohl es ja um Niederländer geht und wir ja nicht niederländisch sind. Das find ich schon was besonderes, dass sie uns teilhaben lassen.“
Wie das Theaterprojekt für die beiden ablief, haben sie in einem Reisetagebuch für den Blog aufgeschrieben.
Vielen Dank an alle Beteiligten für diesen anrührenden Abend!
(Foto: Jack van Ommen)
( Text: Sabine Gerhardus)

Veranstaltung: Heimkehr 1945 – Der schwierige Weg der befreiten KZ-Häftlinge

Gerd Modert, Historiker und Referent des Dachauer Forums, spricht am 19.5.2015 um 19.30 Uhr in der Versöhnungskirche über die Herausforderungen, denen sich die Überlebenden der Konzentrationslager nach der Befreiung stellen mussten. Nähere Informationen finden sich auf der Website der Versöhnungskirche: http://versoehnungskirche-dachau.de/angebote/pages/Veranstaltungen.php .

Wer will, kann bei dieser Veranstaltung im Gedächtnisbuch blättern, das im Veranstaltungsraum der Versöhnungskirche ausliegt.

Dokumentation: Rede von Romani Rose am 2.5.2015 in Dachau

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Naor, meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

der Name des Konzentrationslagers Dachau steht auch stellvertretend für den Völkermord an den Sinti und Roma. Es handelt sich um ein Staatsverbrechen, das akribisch geplant und ins Werk gesetzt wurde. Der nationalsozialistische Staat sprach den Angehörigen unserer Minderheit auf der Grundlage einer menschenverachtenden Rassenideologie kollektiv und endgültig das Existenzrecht ab, nur weil sie als Sinti oder Roma geboren worden waren.

Bereits die berüchtigten Nürnberger Gesetze wurden auf direkte Anweisung von Reichsinnenminister Frick auf Sinti und Roma genauso angewandt wie auf Juden. In der Folge wurden die Angehörigen unserer Minderheit systematisch aus allen gesellschaftlichen Bereichen ausgegrenzt. Im Dezember 1938 forderte Himmler in einem Erlass die (Zitat) „endgültige Lösung der Zigeunerfrage“. Mitte Mai 1940 begann die SS-Führung mit der Deportation ganzer Familien ins besetzte Polen.

Höhepunkt der Vernichtungspolitik war die Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich und dem besetzten Europa nach Auschwitz-Birkenau, auf der Grundlage eines Himmler-Befehls vom 16. Dezember 1942

Die Gaskammern von Auschwitz, in denen Tausende unserer Menschen einen qualvollen Tod erleiden mussten, sind zum Symbol für ein Verbrechen geworden, das in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel ist.

Das Netz der Konzentrationslager, der Erschießungsstätten und der Massengräber mit den ermordeten Angehörigen unserer Minderheit zieht sich über ganz Europa. Über 500.000 Sinti und Roma fielen der systematischen Vernichtung zum Opfer.

Für diesen Zivilisationsbruch steht auch das ehemalige Konzentrationslager Dachau. Der Ort, an dem wir heute stehen, ist für uns Sinti und Roma zuallererst ein riesiger Friedhof.

Im Zuge der Massenverhaftungen im Juni 1938 trafen erstmals Sinti und Roma in größerer Zahl im Lager ein, wo sie dem Terror der Bewacher hilflos ausgesetzt waren. Zu den furchtbarsten Kapiteln der Leidensgeschichte unserer Minderheit im KZ Dachau gehören die medizinischen Experimente, die an Sinti- und Roma-Häftlingen durchgeführt wurden. Niemand kann die Qualen ermessen, die sie dabei erleiden mussten.

Es waren die alliierten Soldaten, die dem beispiellosen Morden des NS-Staates unter Einsatz ihres eigenen Lebens Einhalt geboten und die Europa unter großen persönlichen Opfern vom Nationalsozialismus befreit haben. Ihnen gilt unser besonderer Dank.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jede unserer Familien war vom nationalsozialistischen Völkermord in existenzieller Weise betroffen. Diese Erfahrung absoluter Rechtlosigkeit hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt und unsere Identität als Minderheit geprägt.

In der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft hingegen wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verdrängt, verharmlost oder gar geleugnet.

Die Beamten aus dem SS- und Polizeiapparat, die den Völkermord ins Werk gesetzt hatten, blieben weiterhin in Amt und Würden. Beispielhaft für diese personelle und ideologische Kontinuität ist Josef Eichberger. Er war im Dritten Reich in der Münchener „Zigeunerzentrale“ mit der systematischen Erfassung der Sinti und Roma befasst.

Am 16. Mai 1938 befahl Himmler als „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“ den Umzug der Münchner „Zigeunerzentrale“ – samt ihrer Abertausenden Akten – ins Reichskriminalpolizeiamt nach Berlin. Dort wurde im Oktober 1938 eine eigene „Reichszentrale“ eingerichtet, die die Verfolgung und Deportation der Sinti und Roma fortan steuerte. Im Folgejahr wurde sie Teil des neu gegründeten Reichssicherheitshauptamtes.

Josef Eichberger gehörte zu den so genannten „Zigeunerspezialisten“, die 1938 von München nach Berlin gingen, um dort den europaweiten Völkermord an den Sinti und Roma zu organisieren.

Nach dem Krieg wurde Eichberger zwar kurzfristig interniert, gelangte aber schon 1949 wieder in den Staatsdienst. Später wurde er Leiter der so genannten „Landfahrerzentrale“ beim Bayerischen Landeskriminalamt in München, wo er unter Weiterverwendung der NS-Akten die rassistische Sondererfassung von Sinti und Roma fortsetzte. Dabei scheute man nicht einmal davor zurück, die in Auschwitz eintätowierten KZ-Nummern als Erkennungsmerkmale zu registrieren.

Die bayerische „Landfahrerzentrale fungierte bald wieder als bundesweite Nachrichtensammelstelle für Sinti und Roma. Ein Ermittlungsverfahren gegen Eichberger und seinen früheren Vorgesetzten im Reichsicherheitshauptamt, SS-Hauptsturmführer Wilhelm Supp, wegen ihrer Verstrickung am Völkermord wurde 1963 eingestellt.

Um die rassenideologischen Motive der NS-Verfolgung zu verschleiern, rechtfertigten die vormaligen Täter die Deportationen von Sinti und Roma in die Vernichtungslager als angeblich „kriminalpräventiv“. Die Kriminalisierung der Opfer war eine entscheidende Vorausaussetzung für die Täter, sich selbst zu entlasten.

Die öffentliche Wahrnehmung unserer Menschen in der Nachkriegszeit war weiterhin von den Zerrbildern der NS-Propaganda geprägt. So heißt es in einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1956 zur Entschädigung (ich zitiere): „Sie [die Zigeuner] neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung von fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb zu eigen ist.“ (Zitat Ende)

Damit übernahm der BGH die Rechtfertigungsstrategie der Nationalsozialisten und deren demagogische Hetze. Versuchen Sie sich vorzustellen, was es für einen traumatisierten Angehörigen unserer Minderheit, der der Hölle der Konzentrationslager entronnen war, bedeuten musste, einer solch infamen Diffamierung von höchstrichterlicher Stelle ausgesetzt zu sein. Es ist eine wichtige symbolische Geste, dass sich die derzeitige BGH-Präsidentin Bettina Limperg von diesem Urteil kürzlich in aller Klarheit distanziert hat.

Es war die Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma, die sich den ehemaligen Tätern entgegengestellt und die personellen wie ideologischen Kontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus öffentlich angeprangert hat.

Eine entscheidende Zäsur war der Hungerstreik hier in der Gedenkstätte Dachau an Ostern 1980, der in den internationalen Medien ein bis dahin ungekanntes Echo fand.

Dass der Völkermord an unserer Minderheit einen eigenen historischen Stellenwert hat, dass unseren Opfern eine eigene Erinnerung und eine eigene Würde zukommt – dafür haben die deutschen Sinti und Roma lange kämpfen müssen. Dass dieser jahrzehntelange Kampf nicht vergebens war, bezeugt das nationale Denkmal für die ermordeten Angehörigen unserer Minderheit beim Berliner Reichstag, das im Oktober 2012 im Beisein von Bundespräsident Gauck und Bundeskanzlerin Merkel der Öffentlichkeit übergeben wurde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, siebzig Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur kann es ganz gewiss nicht darum gehen, den Nachkommen der Täter irgendeine Form von Schuld aufzubürden. Der Sinn des Erinnerns besteht vielmehr in der gelebten Verantwortung für die Gegenwart und für unser Gemeinwesen.

Minderheiten wie Sinti und Roma, Juden oder Muslime müssen wieder einmal als Sündenböcke für ökonomische Fehlentwicklungen und soziale Verwerfungen herhalten. Rechte Parolen finden bis in die Mitte der Gesellschaft Widerhall. Doch die angebliche Verteidigung des Abendlandes vor Entfremdung ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Infragestellung dessen, was die offene demokratische Gesellschaft im Innersten zusammenhält.

Als politischer Vertreter der deutschen Sinti und Roma möchte ich ganz klar sagen: Rassismus und Populismus bedrohen nicht nur die Rechte von Minderheiten, sondern zielen auf das Herz der Demokratie. Es geht dabei immer um unsere demokratische Kultur und um die Grundlagen unseres Zusammenlebens.

Wenn – wie kürzlich in Sachsen-Anhalt geschehen – ein Bürgermeister aus Angst vor dem rechten Terror zurücktritt und ein Landrat wegen Morddrohungen von der Polizei geschützt werden muss, wenn Rechtsextreme ganze Landstriche zu Tabuzonen oder so genannten „No-go-Areas“ für Ausländer erklären – dann ist unsere freiheitliche Demokratie in ihrer Substanz bedroht. Dann sind wir alle gefordert, unsere Gesellschaft und die sie tragenden Werte gegen rassistische Gewalt und Menschenverachtung zu verteidigen.

Jeder Brandanschlag auf ein Wohnheim für Asylsuchende und jeder Angriff auf einen Menschen anderer Hautfarbe ist ein Angriff auf unseren Rechtsstaat und das friedliche Zusammenleben in unserem Land. Wir dürfen den Rechtsradikalen nicht den öffentlichen Raum überlassen, da sonst die Demokratie Schaden nimmt.

Rituelle Gesten der Betroffenheit reichen nicht aus. Politik, Justiz und Gesellschaft stehen gleichermaßen in der Pflicht, menschenfeindliches und antidemokratisches Handeln konsequent zu ächten. Doch ebenso wichtig ist es, die sich vielerorts engagierenden Netzwerke gegen rechts auch staatlicherseits zu unterstützen.

Die Errungenschaften der offenen Gesellschaft müssen wir gemeinsam verteidigen, für diese Werte müssen wir die junge Generation immer wieder neu gewinnen und begeistern.

In diesem Sinne begreife ich das Vermächtnis all derer, die an diesem historischen Ort leiden und sterben mussten.

Ich danke Ihnen.