Bergkirchen: „Die Glas, die haben sich nicht verbiegen lassen“
Im Mittelpunkt der Ausstellungseröffnung in Bergkirchen standen die Lebensgeschichten der drei Brüder Glas aus Bibereck. Sabine Gerhardus berichtet von der Veranstaltung und fasst die Biographien der Brüder zusammen.
„Die Glas, die haben sich nicht verbiegen lassen.“ Diese Erinnerung eines Verwandten an die drei Brüder Glas aus Bibereck klang wie ein Refrain durch die Eröffnung der Ausstellung „Das Lager und der Landkreis“ in Bergkirchen am Donnerstag, den 19. Januar 2017.
Bürgermeister Simon Landmann eröffnete den Abend mit einem Zitat von Jean de La Fontaine (1621-95): „Was uns die Geschichte immer wieder lehrt, ist, dass die Kleinen stets durch die Torheiten der Großen leiden.“ Den meisten von uns seien Namen wie Sophie Scholl, Claus Schenk, Graf Stauffenberg oder Dietrich Bonhoeffer ein Begriff. Wir sprächen von bekannten Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus im Dritten Reich. „Was vielen von uns aber nicht bekannt ist/war- auch in unserem direkten Umfeld, in unserer kleinen Gemeinde gab es Menschen, die sich nicht unterkriegen ließen…“
Die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki wies darauf hin, dass die Lebensgeschichten von aufrechten Menschen wie den Brüder Glas, die sich nicht verbiegen haben lassen, in dieser Zeit, in der Populisten immer mehr Gehör finden, ein positives Beispiel geben können. Die Arbeit der Geschichtswerkstatt trage dazu bei, den Wert der Demokratie im Bewusstsein zu halten und zu zeigen, dass Offenheit und Freiheit keine Selbstverständlichkeit seien.
Der Vorsitzende des Dachauer Forums, Anton Jais, bedankte sich mit einem Geschenk bei Andreas Kreutzkam für dessen langjährigen Einsatz im Trägerkreis des Gedächtnisbuchs.
Sabine Gerhardus freute sich über die mit 70 Gästen gut besuchte Veranstaltung und besonders darüber, dass Angehörige der Familie Glas in großer Zahl gekommen waren. Sie nannte die Namen von zwei weiteren NS-Verfolgten aus dem Gemeindebereich, über die jedoch noch wenig bekannt sei: Der Gärtner Michael Heigl, geboren in Palsweis war von 1937 bis 1939 als „Emigrant“ im Konzentrationslager Dachau. Franz Xaver Ostermaier, geboren in Feldgeding, war von 1935 bis 1937 dort inhaftiert.
Andreas Kreutzkam überreichte Bürgermeister Simon Landmann die erste Patenschaftsurkunde des Gedächtnisbuchs – die der Gebrüder Glas. Für die gelungene musikalische Umrahmung sorgte Larissa Siafakas an der Geige.
Spurensuche ab 2015
Die Erinnerung an Josef, Johann und Benno Glas, geboren zwischen 1901 und 1909 im Bergkirchner Ortsteil Bibereck, verdankt die Geschichtswerkstatt der engagierten Spurensuche von Agco Halmen. Die Studentin war von Herbst 2015 ein Jahr lang Freiwillige der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste und des Gedächtnisbuchs. Über ihre Recherche berichtete sie: „Ich habe viele Stunden in Archiven verbracht, habe gelernt, Sütterlin einigermaßen zu entziffern, saß viel am Computer. Habe viele Emails verschickt, Gespräche geführt. Ich habe viele Fehler gemacht, viel gelernt.“ Weil es am Anfang geheißen hatte, dass schon mal jemand zu den Brüdern recherchiert habe, das Material aber nicht für ein Gedächtnisblatt gereicht habe, hatte sie sich vorgenommen, zu versuchen, ein Gedächtnisblatt für alle drei Brüder zusammenzustellen. Ende November 2015 hat sie angefangen mit den Recherchen, Ende Januar ungefähr wurde dann klar, dass es wider Erwarten genügend Material gab, um eine Biographie für jeden der drei Brüder zu schreiben: „Ich habe viel über die Brüder gelernt, viele Menschen kennengelernt durch meine Recherche.“
Überwältigt waren Agco Halmen, Andreas Kreutzkam und Sabine Gerhardus, dass so viele Angehörige der Brüder Glas zur Ausstellungseröffnung gekommen sind: Was Josefs Tochter Helga im Interview erzählt hatte, dass ihr Vater nie über das KZ gesprochen habe, bestätigten alle. Trotzdem endete der Abend beim Umtrunk und Häppchen mit lebhaftem Austausch an Erinnerungen, jemand hatte sogar ein Foto der Familie aus der Prittlbacher Arbeitersiedlung vor der Kulisse des Konzentrationslagers mitgebracht. Immer wieder hörte man: „Bis jetzt wurde nie darüber gesprochen!“ Endlich ist das Schweigen gebrochen!
Ute Hönle vom Sozialbüro der Gemeinde Bergkirchen schreibt uns als Resümée der Ausstellungseröffnung: „Die Ausstellung im Bruggerhaus war wirklich ein Erfolg. Sie haben sich mit viel Mühe eingebracht und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Toll, wie Frau Halmen ihren Beitrag geleistet hat, wie sie mit viel Engagement herausfand was verborgen lag und wie lebhaft sie uns die Glas Brüder vorgestellt hat. Vielen Dank dafür! Am eindrucksvollsten fand ich die Haltung der anwesenden Familie, die sich da auf ganz besondere Weise begegnet ist – eine erfüllende Erfahrung auch für mich.“
Kurzbiographien: Josef, Johann und Benno Glas
Josef Glas (geb. 1901) war der älteste. Er war aktiv im Burschenverein von Feldgeding und wurde Fabrikarbeiter. Er war mit Anna Simperl verheiratet, mit der er sechs Kinder hatte. Kurz nach der Hochzeit zogen sie in die Arbeitersiedlung nach Prittlbach in die Deutschen Werke auf dem Gelände der ehem. Munitionsfabrik. Genau daneben wurde 1933 das Konzentrationslager Dachau eröffnet. Im gleichen Jahr wurde Josef im KZ eingesperrt, es gibt leider keine Quellen die den Grund dafür angeben. Aber da er gleichzeitig mit seinem jüngeren Bruder Benno verhaftet wurde, kann man annehmen, dass er wie Benno aus politischen Gründen verhaftet wurde. Nach seiner Entlassung arbeitete er bei Krauss-Maffei und die Familie zog nach Allach. Die Familie lebte in einem Schulhaus im oberen Geschoss, da Anna das Schulhaus als Hausmeisterin betreute. Josef war ein gewissenhafter, pflichtbewusster Mann. Er half seiner Frau am Feierabend noch in der Schule und arbeitete auch am Sonntag. Josef war ein fleißiger, strenger, aber humorvoller Familienvater. Im Jahr 1977 erlitt Josef einen Schlaganfall und starb kurz danach im Krankenhaus Haar.
Johann Glas (geb. am 28.3.1903) war Zimmermann. Er wohnte zunächst wie seine Brüder in der Arbeitersiedlung auf dem Gelände der ehemaligen Pulver- und Munitionsfabrik (Deutsche Werke) in Prittlbach. Dort heiratete er Rosa Pointmair (auch Paintmeir), bevor sie 1927 nach München zogen. Wie seine jüngerer Bruder Benno verteilte Johann Flugblätter gegen die Nazis. Er wurde deshalb am 15.6.1935 während seiner Arbeit am Führerbau in der Archisstraße verhaftet. Nach einigen Wochen Haft im Polizeigefängnis München kam er am 31.7.1935 ins KZ Dachau. Seine Ehe wurde zu der Zeit rechtlich geschieden, deshalb heiratete er am er 10.12.1938, nach seiner Entlassung, Maria Göttler geb. Raab. Im April 1976 wurde er im Krankenhaus München-Neuperlach wegen Lungenkrebs behandelt. Dort starb er am 12.4.1976 an Herzversagen.
Benno Glas (geb. 22.7.1905) lernte das Kernmacherhandewerk, heiratete im Alter von 22 Jahren Walburga Wagner und bekam zwei Söhne. Er war Mitglied der SPD oder der KPD und verbreitete illegale Flugblätter, weshalb er zweimal verhaftet und ins KZ Dachau gebracht wurde, das erste Mal für einen knappen Monat, das zweite Mal für über drei Jahre. 1943 wurde er eingezogen und musste als Kradmelder an die italienische Front. Nach dem Krieg baute er sich ein Fuhrunternehmen auf. Der frühzeitige Tod seiner Frau traf ihn jedoch hart und er verschwand in die DDR, wo er eine neue Familie gründete und 1963 verstarb.
Galerie: Fotos von der Ausstellungseröffnung
(Text: Sabine Gerhardus, Fotos: vhs Bergkirchen)