Ausstellung niederländische Häftlinge: Kuratorin Karen Tessel im Gespräch

Karen Tessel, Kuratorin der Ausstellung „Namen statt Nummern. Niederländische politische Häftlinge im KZ Dachau“, spricht im Interview über Schwerpunkte und Grundgedanken der Ausstellung. Bis Februar 2019 ist die Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte in Dachau zu sehen.

V.l.n.r.: Karen Tessel, Willemijn Petroff-van Gurp , Jos Sinnema. 2015

To the interview in English

Karen, was genau war deine Rolle bei dem Ausstellungsprojekt?

Namen statt Nummern wurde im April 2015 im niederländischen Widerstandsmuseum in Amsterdam eröffnet. Jos Sinnema und ich haben bei der Entwicklung der Ausstellung eng zusammengearbeitet. Jos übernahm die Recherche und die Verbindung zum Schulprojekt. In diesem Projekt haben Oberstufenschüler Biographien von niederländischen Dachau-Häftlingen für das Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ-Dachau geschrieben. Ich arbeitete für die Ausstellung als Kuratorin und Ausstellungsmacherin, entwickelte das Konzept und die Handlungsstränge, die Filme und die interaktiven Elemente, wählte Geschichten und Objekte aus und leitete das Ausstellungsdesign und die Produktion. Es ist großartig, dass die Ausstellung nun in der KZ-Gedenkstätte Dachau zu sehen ist.

Was war deine erste Idee, als du begonnen hast, an der Ausstellung für das Widerstandsmuseum Amsterdam zu arbeiten?

Wir am niederländischen Widerstandsmuseum waren beeindruckt von Jos Projekt für das Gedächtnisbuch. Der biographische Zugang war von Anfang an das Herz des ganzen Projekts. Wir finden, dadurch werden große und schwierige Themen verständlicher und greifbarer. Zwölf ehemalige Dachau-Häftlinge stehen im Zentrum der Ausstellung. Mit ihrer Auswahl soll den Besuchern ein repräsentativer Eindruck vom Leben in den Konzentrationslagern vermittelt werden. Ich betone die Mehrzahl des Wortes “Lager”, denn ohne Ausnahme waren die Gefangenen in mehreren Lagern und Gefängnissen, bevor sie in Dachau inhaftiert wurden. Ein zweites wichtiges Grundelement von Anfang an war es, ihre Geschichten durch die Präsentation von persönlichen Gegenständen zu zeigen. Diese Gegenstände machen deutlich, wie die Gefangenen versuchten, ihre Menschlichkeit und Würde in einem System zu bewahren, in dem alles auf Entwürdigung angelegt war.

Hattest du einen roten Faden, eine wichtige Idee, die sich durch die Ausstellung ziehen sollte?

Ich erinnere mich sehr lebhaft an einen Abend im November 2014. Ich war in einem Restaurant in Amsterdam zum Abendessen eingeladen. Am Tisch saßen die 95-jährige Willemijn Petroff-van Gurp und ihre Biographen Jop Bruin und Jelle Braaksma. Auch am Tisch saß Jos, der Jop und Jelle betreut hatte, und Marcel Mulders, der Geschichtslehrer von Jop und Jelle am Cartesius Lyceum. Jos Frau Corrie war auch mit dabei. Alle zusammen waren wirklich eine ganz besondere Gruppe. Wir hatten einen tollen Abend und sprachen über alle möglichen Dinge. Andere Gäste im Restaurant wurden auf uns aufmerksam und kamen sogar, um zu fragen, was genau die Verbindung zwischen uns war. Das war eine gute Frage.

Jop und Jelle kannten Willemijn seit zwei Jahren, durch das Gedächtnisbuch-Projekt. Sie waren Freunde geworden. Willemijn war zu einer Art Adoptiv-Großmutter für die Jungen geworden. Ich war beeindruckt, dass sich zwischen den jungen Biograpieschreibern und Willemijn so eine enge Verbindung entwickelt hatte. Das war keine Ausnahme. Diese Verbindung zwischen den Generation war der rote Faden, den ich in der Ausstellung zeigen wollte.

Gibt es ein Ausstellungsstück, an das du dich noch in 20 Jahren erinnern wirst? Warum?

Die Menge an wundervollen Ausstellungsgegenständen macht es mir wirklich schwer zu wählen! Eine Ausstellung zusammenzustellen, bedeutet eine Auswahl zu treffen, einen Schwerpunkt zu setzen, einen Rahmen zu finden. Wir haben zwölf Häftlinge ausgewählt, aber es waren mehr als 2000 Niederländer in Dachau in den Jahren 1941 bis 1945 inhaftiert. Für sie alle haben wir ein interaktives Denkmal in der Ausstellung errichtet. Die zwölf Häftlinge der Ausstellung stehen im Focus, aber neben ihnen stehen alle niederländischen Dachau-Häftlinge. Jeder von ihnen hat einen eigenen kleinen Block an der Wand, dadurch wird die große Menge der vielen anderen ehemaligen  Häftlinge neben den 12 herausgehobenen  Häftlingen dargestellt. Diese kleinen Blöcke haben alle dieselbe Form und Größe. Jeder  Block besteht aus Schichten, weil  jeder Mensch vielschichtig ist, aber auch weil hinter jedem niederländischen Gefangenen viele Gefangene anderer Nationalitäten verborgen sind.

Die Besucher können nach den Menschen hinter den Lager-Nummern suchen. Wo kamen sie her? Wie alt waren sie? Wie viele Frauen waren in Dachau eingesperrt? Wie viele der Gefangenen waren in Nebenlagern? Wir haben die Besucher eingeladen, ihre Informationen durch eine App auf der Website mit uns zu teilen. Wir hoffen, es wird noch mehr werden, nun, nachdem die Ausstellung nach Dachau gereist ist. Hier ist der Link: http://www.verzetsmuseum.org/dachau

Was ist der Unterschied zwischen der Ausstellung in Amsterdam und der Ausstellung in Dachau?

Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass der Abschlussteil fehlt. In Amsterdam hatten wir ein abschließendes “Kapitel” zu politischen Gefangenen heute hinzugefügt. Wir haben es in Zusammenarbeit mit der niederländischen Sektion von Amnesty International entwickelt. Es ist scheint räumlich und zeitlich weit weg zu sein, aber auch jetzt, während unseres Gesprächs, versucht Amnesty, kontinuierlich Bewusstsein und Kampagnen für Menschen zu entwickeln, die aus politischen Gründen eingesperrt sind.

Einige Schüler haben Biographien über drei dieser Gefangenen geschrieben, genau auf dieselbe Art und Weise wie es Schüler über die ehemaligen Dachau-Häftlinge getan haben. Wir haben diese drei heutigen Gefangenen ausgewählt, weil die Gründe ihrer Verhaftung und ihrer Inhaftierung so ähnlich sind. Ihre Geschichten wurden getrennt von den Dachau-Häftlingen vorgestellt.

Zum Beispiel Aster Fissehatsion aus Eritrea. Dieses Land wird manchmal als afrikanisches Nordkorea bezeichnet. Aster hat zusammen mit 14 anderen 2001 einen offenen Brief an den Präsidenten Eritreas geschrieben. Dieser Präsident hatte sich in den Jahren zuvor zu einem Diktator entwickelt. In ihrem Brief fordern die 15 Schreiber einen demokratischen Dialog. Sie wurde verhaftet wegen sogenannter “Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates”. Seitdem gibt es von ihr und den 14 anderen keine Spur. Sie sind verschwunden in “Nacht und Nebel”…

Ibrahim, Asters Sohn, war zu dieser Zeit fünfzehn. Wenige Jahre später ist er in die Niederlande geflohen und er war tapfer genug, um mit uns an diesem Projekt zu arbeiten. Die Schüler interviewten ihn und es gab etwas ganz Besonderes: In der Ausstellung konnte der Mantel seiner Mutter gezeigt werden. Eine wirklich eindrucksvolle Aussage. Genau diesen Mantel hat Aster getragen, die Frau, die spurlos verschwunden ist.

Verändert der Ort die Ausstellung?

Natürlich ist der Ausstellungsraum in der Gedenkstätte anders als der in Amsterdam, so dass das Team der Gedenkstätte die Ausstellung anpassen musste. Sie haben das großartig gemacht! Ich denke auch, dass der Eindruck für die Besucher emotional ein anderer ist, denn die Ausstellung steht nun dort, wo das alles geschehen ist. Im bin sehr neugierig zu erfahren, wie Besucher die Ausstellung in der Gedenkstätte erleben.

 

(12.10.2018; Interviewfragen und Übersetzung: Irene Stuiber)