Absolut außergewöhnlich: ein Streik unter KZ-Häftlingen

Die Arbeitsniederlegung der niederländischen Zwangsarbeiterinnen im Dachauer Außenlager Agfa-Kamerawerke stand im Mittelpunkt der Lesung aus den Erinnerungen von Kiky Gerritsen-Heinsius in der KZ-Gedenkstätte am 5. Juni 2018.

Lydia Starkulla liest aus den Memoiren von Kiky Gerritsen-Heinsius

Im Rahmen des Begleitprogramms zur derzeitigen Ausstellung in der Gedenkstätte las Schauspielerin Lydia Starkulla Ausschnitte aus den Erinnerungen der niederländischen Widerstandskämpferin Kiky Gerritsen-Heinsius. Die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen führten im Januar 1945 zu einer spontanen Arbeitsniederlegung, dem einzigen Streik, der derzeit für das KZ Dachau und seine Außenlager bekannt ist.

Gerritsen-Heinsius kam im Oktober 1944 in das Außenlager Agfa-Kamerawerke in München-Giesing. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Lager Vught und Ravensbrück hinter sich. Die Niederländerin berichtet, wie das Arbeitskommando auf dem täglichen Weg zur Arbeit in München beschimpft und mit Gegenständen beworfen wurde. Die Häftlingsfrauen sassen in den Fabrikhallen neben deutschen Arbeiterinnen und mussten Zeitzünder für Luftabwehrgranaten montieren. Was für das Gelingen der feinmechanischen Arbeit nötig war, half den Frauen beim Überleben: So war eine halbwegs warme Raumtemperatur notwendig. Zum Streik kam es im Januar 1945, als das Essen immer weniger wurde. Tatsächlich erreichten die Frauen eine leichte Verbesserung ihrer Ernährung.

„Absolut außergewöhnlich“ im System der Konzentrationslager sei dieser Streik gewesen, betonte Andrea Riedle, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gedenkstätte in ihrer Einführung. Klaus Schultz, Vertreter des Mitveranstalters Versöhnungskirche, erwähnte die große Bedeutung niederländischer Häftlinge für die Entstehung der Versöhnungskirche. Ein im Begegnungsraum der Versöhnungskirche ausgestelltes Gedächtnisblatt über Kiky Gerritsen-Heinsius hat die Schülerin Anna Krombacher 2012 verfasst.

Einige harte Fakten zum Außenlager Agfa-Kamerawerke erläuterte Jascha März, wissenschaftlicher Volontär an der Gedenkstätte. Dieses Lager war nach dem Außenlager München-Allach das zweitgrößte KZ in München. Wie kam es, dass unterschiedliche Häftlingsfrauen ihre Lebensbedingungen im Lager und auch die Person des Kommandanten so verschieden einschätzten? Jascha März meinte dazu, dass diejenigen, die aus ihrem normalen Lebens in das Lager deportiert wurden, die Situation anders wahrnahmen als jene Frauen, die vorher schon andere Konzentrationslager erleben mussten.

Gedächtnisblatt und weitere Informationen über Kiky Gerritsen-Heinsius

(23.6.2018; Text und Foto: Irene Stuiber)