Aber eine Frage fehlte noch: Was für ein Mensch war er?
Maja Lynn, Freiwillige im Gedächtnisbuch, berichtet über ihre Recherche-Reise in die Niederlande.
Als ASF- (Aktion Sühnezeichen Friedensdienst) Freiwillige für die Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstatte Dachau und das Projekt Gedächtnisbuch arbeite ich an einem Gedächtnisblatt über den niederländischen Haftlinge Jacobus „Jac“ de Vries. In diesem Zusammenhang hatte ich die Gelegenheit zur Recherche in die Niederlande zu fahren.
Vorher hatte ich schon Dokumente aus verschiedenen Archiven und eine Privatsammlung erhalten und wusste vieles über Jacobus’ Leben. Ich wusste, dass er Soldat in der KNIL (Königlich Niederländisch-Ostindischen Armee) war und im Laufe seiner Karriere Kapitän geworden ist. Er war ein Kolonialist und Monarchist. Jac und seiner Frau Mini hatten eine Tochter Johanna und er war Pflegevater eines älteren Mädchens Katy aus Mini’s erster Ehe. Ich wusste, dass er Mitglied der Widerstandsgruppe Odredienst geworden ist, nachdem die Nazis die Niederlande besetzt hatten. Deswegen wurde er im April 1941 inhaftiert. Ich wusste, dass er in ein Gefängnis in Scheveningen gebracht worden war und danach ins Polizeiliches Durchgangslager Amersfoort, dann ins KZ Buchenwald, das KZ Natzweiler und schließlich ins KZ Dachau. Und ich wusste, dass er am 3. Januar 1945 in Dachau gestorben ist.
So hatte ich schon einige Details seiner Geschichte, aber eine wichtige Frage fehlte noch: Was für ein Mensch war er? Diese Frage hoffte ich beantworten zu können mit Unterstützung von Sabine Gerhardus und besonders von Jos Sinnema, der mich durch die Niederlande begleitet hat. Er hatte mir schon Übersetzungen der niederländischen Dokumente gegeben.
Wahrend der Reise habe ich zwei Familienangehörige besucht, die Gedenkstätte in Amersfoort, das Gefängnis in Scheveningen gesehen und das Nationalarchiv besucht. Zum Glück konnte ich auch den niederländischen Gedenktag für die Opfer des Zweiten Weltkriegs miterleben. Während der Hauptzeremonie steht das ganzes Land für zwei Minuten in Erinnerung an niederländische Opfer still. Dieses starke Symbol des Schmerzes und des Verlustes, an dem sich das ganze Land beteiligt, hat mich sehr berührt und hat mir geholfen, die Bedeutung meiner Biographiearbeit besser zu verstehen. Ruth Wellema, die Enkeltochter von Jacobus de Vries erinnert sich immer noch daran, wie an diesem Tag in ihrer Kindheit die ganzen Familie zusammensaß. Obwohl sie wenig über ihren Opa wusste, konnte sie ein unverkennbares Gefühl von Traurigkeit im Raum fühlen. Es waren solche Erinnerungen, die diese Reise für mich so besonders gemacht haben. Erinnerungen an die Familie de Vries und alte Geschichten über Jacobus, die mir Ruth und ihre Schwägerin Marjan Wellema erzählt haben.
Erfolgreich war auch die Suche nach Dokumenten, denn zu meinem großen Glück haben wir Hunderte von Briefen, Fotos und anderen Objekten der Erinnerung an Jacobus´ Leben bei der Familie und im Nationalarchiv entdeckt. Zusammen mit Jos haben wir alles fotografiert und sind den ganzen Montag in der Bibliothek gesessen, um die Briefe zu übersetzen. Es waren darunter Briefe von Jac aus dem KZ und von überlebenden Mithäftlingen, die seiner Frau nach dem Krieg von Jac berichtet haben. Diese Briefe waren sehr emotional und es war eine langer spannender Tag und ein arbeits- und erfolgreiches Wochenende. Ich habe jetzt fast zu viel Information, es wird schwierig, auszuwählen. Aber ich habe sehr vieles erfahren, was meine Biografie hoffentlich lebendig machen wird.
(6.6.2018; Text: Maja Lynn/IS)