Interview zur Ausstellung „Namen statt Nummern“ an der Berufsfachschule für Kinderpflege in München

Liebe Frau Röll, Sie unterrichten an der Berufsfachschule für Kinderpflege in München. Die Berufsfachschule  zeigt die Ausstellung zum Gedächtnisbuchprojekt schon zum wiederholten Mal?
Die Ausstellung „Namen statt Nummern“ wird heuer das dritte Mal jeweils im Abstand von zwei Jahren an unserer Schule gezeigt. Alle Klassen der 10. und 11. Jahrgangsstufe der Berufsfachschule für Kinderpflege besuchen die Ausstellung in der Zweigstelle in der Hiltensbergerstr. 72 zusammen mit ihren Ethik- und Religionslehrkräften. Die 10. Klassen haben im Vorfeld einen Seminartag am Max-Mannheimer Studienzentrum in Dachau mit Besuch der Gedenkstätte absolviert.

 

Wie wird dieser Ausstellungsbesuch inhaltlich in den Unterricht eingebettet?

Die Ausstellungsbesuche schließen sich an die Thematik Judentum an. Unsere Absicht ist es, den Jugendlichen, die zum Großteil viele unterschiedliche Nationalitäten haben, den Holocaust näher zu bringen. Noch wichtiger ist es, anhand der Ausstellung die Einzelschicksale näher kennenzulernen. Dazu erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Arbeitsauftrag. Sie sollen sich in Gruppen eine Person aussuchen, mit deren Leben sie sich näher befassen wollen.
Auf der Basis des Gedächtnisbuchs und anderer Quellen sollen sie dann den Lebensweg z.B. auf einem Plakat visualisieren, also die hellen und die dunklen Zeiten. Genauso wichtig ist aber die Frage, warum wir uns heute mit diesen Schicksalen beschäftigen. Was sagen sie uns? Was können wir von ihnen lernen?Inwiefern sind sie für mich heute ein Vorbild?

Was sagen Ihre Schülerinnen und Schüler dazu?

Die Jugendlichen sind in der Regel von der Ausstellung fasziniert. Sie sind sehr motiviert, sich auf die Personen einzulassen. Auch die Präsentation ihrer Arbeit ist häufig sehr emotional und die Ergebnisse sehenswert.

Diese guten Erfahrungen haben uns davon überzeugt, die Ausstellung immer wieder den neuen Schülergenerationen zu zeigen. Sie hat in den Jahren nichts von ihrer Wirkung auf die jungen Menschen verloren. So hoffe ich, dass sie noch einige Jahre unsere zukünftigen Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger auf eindrucksvolle Weise zeigen kann, dass Menschen auch in extrem schwierigen
Situationen ihre Menschlichkeit bewahren und leben können.

 

 Zum ersten Foto: Vor den Bannern stehen Vasen. Die Schülerinnen und Schüler übernehmen für „ihren“ Häftling eine Patenschaft, indem sie Blumen in die Vasen stellen und auch Steine davor ablegen.  Die Vasen sind noch nicht gefüllt, das Foto ist vom Beginn der Ausstellung.

Aufruf Trägerkreis: Zur Lage in der Ukraine

Wir, Mitarbeiter und Mitglieder im Trägerkreis des Gedächtnisbuchs für die Häftlinge des KZ Dachau, sind in tiefer Sorge um den Frieden in der Ukraine, in Russland, in Europa.
Mit größter Bestürzung beobachten wir die nicht enden wollenden Nachrichten über die vielen Verletzten und Toten auf beiden Seiten des Konfliktes. Unsere Gedanken sind mit den Angehörigen, ihrer Sorge und Trauer. Und mit unseren Freunden und Partnern aus gemeinsamen Projektzeiten, die mit größter Sorge in die Zukunft sehen. Wir möchten unsere Solidarität mit allen bekunden, die sich um eine friedliche Lösung der Konflikte und um den Dialog bemühen.
Aus unserer Arbeit mit Überlebenden der Konzentrationslager wissen wir um die schrecklichen Folgen von Krieg und Terror: Durch die Erfahrungen von Gewalt, Ohnmacht und Leid werden die Betroffenen bis ins hohe Alter in traumatischer Weise durch Albträume, physische und psychische Qualen verfolgt; oft setzt sich dies bis in die zweite und dritte Generation fort.
Auch tausende ukrainische und russische Deportierte haben im Konzentrationslager Dachau gelitten – bis heute ist deren Leid nicht überwunden und schon wieder droht den Angehörigen der beiden Völker ein neuer Krieg!? Besonders fürchten wir die Sogwirkung der Gewalt: je tiefer und zahlreicher die Verletzungen, umso stärker die Aggressionen bis hin zu Hass und Rache.
Die Spirale der Gewalt muss beendet werden, alle Anstrengungen für neue Wege der Verständigung müssen unternommen werden!
Aber wie? „Was können wir schon tun?“ Stark spüren auch wir diesen Impuls, im Schrecken zu erstarren und unsere Ohren vor den schlimmen Nachrichten zu verschließen! Doch wollen wir uns wirklich einmal vorwerfen müssen, dass wir nicht einmal versucht haben, unsere Stimme zu erheben?
Es gibt doch Wege aus der Spirale der Gewalt! Wir glauben, dass der erste Schritt sein muss, sich bewusst zu machen:  „Der Feind“ ist nicht „der Russe“ oder „der Westukrainer“ oder „die Separatisten“, nicht einmal „die Faschisten“ – alle diese Begriffe werden ohnehin von jedem anders verstanden, und beziehen sich meist auf Menschen, die wir nicht kennen, deren Beweggründe wir meist nicht verstehen, weil es keinen Dialog mit ihnen (mehr) gibt.
„Der Feind“ ist ganz woanders zu finden: in der Gewaltanwendung an sich. Das heißt, dass wir alle Bestrebungen unterstützen wollen, die Wege aus der Gewalt suchen.
Ideologien wie der Nationalismus führen häufig dazu, die Anwendung von Gewalt zu fördern. Menschen werden schnell eingeteilt in „die unseren“ und „die anderen“ – ein Versuch, zuzuhören kommt gar nicht erst zustande. Häufig wird zudem der Vorwurf, nationalistisch zu sein, wechselseitig gegeneinander erhoben.
Tatsächlich sucht die Politik nach Wegen zu einer diplomatischen Lösung. Dafür müssen jedoch die Kontrahenten eines Konflikts zum echten Dialog bereit sein. Es gilt also, wo immer möglich, die Dialogfähigkeit wieder zu stärken. Hier glauben wir, dass es zahlreiche Möglichkeiten auch für „normale“ Bürger gibt, einen Beitrag zu leisten:
Wir fordern alle Seiten auf:
—     HÖREN: Was haben Menschen an Schmerz und Leid erfahren? Welche konkreten Situationen haben sie erlebt und was haben sie dabei persönlich empfunden? Das alles muss gehört werden und darf nicht in Frage gestellt, kommentiert oder gar angegriffen werden.
—   ANERKENNEN: Wenn es um das Erleben und Erinnern geht (z.B. um das Erleben von Unterdrückung, Stigmatisierung), gibt es immer so viele verschiedene Wahrheiten, wie Menschen beteiligt waren, und nicht nur „die eine Wahrheit“.
—    UNTERLASSEN: Die Suche nach dem „Schuldigen“ oder dem, der den „ersten Schlag“ oder das schlimmere Unrecht begangen hat; das führt nicht zu einem guten Ziel, meistens führt es zu gegenseitigen Anklagen und dazu, dass Kontrahenten den Dialog abbrechen, streiten oder aggressiv werden.

 

—   SPRECHEN: Alle Beteiligten sollen sich äußern:
Was sind ihre konkreten Ängste oder Befürchtungen?
Welche Situationen beeinträchtigen sie?
Was ist ihnen besonders wichtig, welche Erwartungen, Wünsche oder Ziele haben sie?
Alle Beteiligten sollen zuhören und zugestehen, welche Sorgen und Wünsche die anderen äußern!
Das erfordert einerseits Zeit und Geduld, andererseits trägt es dazu bei, dass wirkliches Verstehen gelingen kann, dass negative Gefühle abgebaut und Vertrauen aufgebaut werden kann.
Auf diese Weise wird es möglich, gemeinsam herauszufinden:
— wie die größten Befürchtungen für alle Seiten beruhigt werden können und
— wie man sich an die wichtigsten Bedürfnisse von allen Seiten annähern kann.
 Hilfreich und notwendig ist, dass diese Art von Dialogfähigkeit auch von denen geübt wird, die am Rande beteiligt sind (deren Interessen in den Konflikt hineinspielen).
  Die Anbahnung solcher Dialoge braucht Vermittler (Mediatoren), die von beiden Seiten akzeptiert sind.
Wir sind überzeugt:
— Dass die Dialogfähigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen geübt werden sollte.

— Dass es hilfreich ist, wenn an vielen Stellen in Ost und West, wo Kontrahenten des „Ukraine-Konflikts“   aufeinanderprallen, ein echter Dialog gesucht und gefördert wird.

—  Dass jeder und jede dazu beitragen kann, dass Gewaltexzesse im Vorfeld vermieden werden können, indem er oder sie dazu beiträgt, in kleinen Gruppen eine Gesprächskultur zu schaffen, die dazu führt, dass die Beteiligten sich anhören.
—  Wir können uns vorstellen, dass z.B. kirchliche, gesellschaftliche Institutionen, Bildungseinrichtungen und viele andere, an ihrem Ort dazu beitragen können, dass auch Minderheiten sich trauen, Ihre Gedanken zu äußern, dass Minderheiten und Mehrheiten zuhören lernen und bereit zum Dialog werden.
Wir laden ein:
—  ALLE: Bringen Sie sich an Ihrem Arbeitsplatz, in Ihrer Familie, in Ihrer Nachbarschaft, bei Ihren Freunden mit dem Wunsch nach Dialog und der Abwendung von Gewalt ein!
Berichten Sie uns über positive Erfahrungen der Gewaltvermeidung und der Dialogbereitschaft in diesem Konflikt!
—  ÜBERLEBENDE des Konzentrationslagers Dachau in der Ukraine und in Russland: Was können Sie den jungen Menschen bei ihrer Suche nach einem friedlichen Zusammenleben mit auf den Weg geben? Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Situation?

—   Ehemalige PROJEKTPARTNER, und Freunde des Gedächtnisbuch-Projekts: Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Situation? Welche Möglichkeit sehen Sie für sich, mit der Krise deeskalierend umzugehen.

Dürfen wir Ihre Beiträge online stellen?
Schließen Sie sich unserem Appell an, indem Sie uns bitte Ihren Namen, Ort und E-Mail-Adresse schicken. Wir werden dann Ihren Namen und den Ort hinzufügen.

 

Erstunterzeichner aus dem Trägerkreis für das  „Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ Dachau“:
Sabine Gerhardus, Andreas Kreutzkam, Dr. Björn Mensing, Nina Ritz, Ludwig Schmidinger, Klaus Schultz, Annerose Stanglmayr, Dr. Eva Strauss
Für die Lagergemeinschaft Dachau: Ernst Grube; für die Initiative „!Nie wieder“: Eberhard Schulz

Trägerkreis: Dachauer Forum – Katholische Erwachsenenbildung e.V. Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau e.V.Katholische Seelsorge an der KZ‑Gedenkstätte Dachau § Max Mannheimer Studienzentrum | c/o: Dachauer Forum e.V. Ludwig-Ganghofer-Straße 4,