Dokumentation: Begrüßung von Oberbürgermeister Florian Hartmann am 2.5.2015

Verehrte Zeitzeugen,
verehrter Abba Naor,
sehr geehrter Herr Romani Rose,
sehr geehrte Gäste,

ich darf  Sie als Oberbürgermeister der Stadt Dachau im Namen der Stadt und der Dachauer Initiative Mahnmal Todesmarsch zur Gedenkfeier am Todesmarsch-Mahnmal herzlich begrüßen.  Ich bin beeindruckt und bewegt, dass anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau so viele Menschen an dieser Gedenkfeier teilnehmen. Und ich bin dankbar dafür, dass wir in diesem Jahr so viele Überlebende aus so vielen Ländern Europas und der Welt hier in Dachau begrüßen dürfen. Ganz besonders begrüßen darf ich an dieser Stelle Abba Naor, der im Anschluss zu uns sprechen wird. Ihre Anwesenheit, verehrte Zeitzeugen, ist für uns eine große Ehre; zugleich ist sie ein Geschenk, da sie uns Nachgeborenen die Möglichkeit gibt, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen und ihren Leidens- und Lebensgeschichten kennenzulernen; Ihre Anwesenheit ist für uns aber auch Verpflichtung, Verpflichtung, Ihre Geschichte und Ihr Vermächtnis in die Zukunft zu tragen und dafür zu sorgen, dass sie niemals vergessen werden.

Es ist in diesem Sinne ein sehr schönes Zeichen, dass sich an der heutigen Gedenkfeier auch Schülerinnen und Schüler des Josef-Effner-Gymnasiums Dachau mit einer Lesung beteiligen, die ich mit den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern ganz herzlich begrüßen darf. Mein besonderer Gruß gilt auch Herrn Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, der ebenfalls im Anschluss zu uns sprechen wird. Musikalisch umrahmt wird die Gedenkfeier von der Familie Huber-Ewald und vom Chor „Valentin Polansek“ unter der Leitung von Bozo Hartmann aus dem slowenischen Obirsko, das nahe der Dachauer Partnerstadt Klagenfurt liegt. Der Chor wurde von Valentin Polanšek, selbst Überlebender des KZ Dachau, gegründet und steht bis heute in der Tradition des slowenischen Chores im KZ Dachau, dessen Lieder zu den wichtigsten Widerstandsaktionen der Kärntner Slowenen gehörten. Es ist mir eine ganz besondere Freude, dass wir neben dem Chor auch politische Repräsentanten aus nahezu allen Dachauer Partnerstädte begrüßen dürfen. So die Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Klagenfurt Dr. Maria-Luise Mathiaschitz, den Bürgermeister der Gemeinde Renkum in den Niederlanden Jean Paul Gebben, den Bürgermeister der Gemeinde Oradour-sur-Glane in Frankreich, Philippe Lacroix, sowie Stadträte aus dem italienischen Fondi und aus dem polnischen Oswiecim. Eine ganz besondere Ehre für die Stadt Dachau ist die Anwesenheit von Robert Hebras, Überlebender des von der Waffen-SS verübten Massakers von Oradour-sur-Glane am 10. Juni 1944.

Verehrte Zeitzeugen, sehr geehrte Damen und Herren,

wenn wir heute hier am Mahnmal gemeinsam der Toten des Todesmarsches gedenken – auf den die SS wenige Tage vor der Befreiung Ende April 1945 mehr als zehntausend Häftlinge trieb, die zu tausenden auf diesem Marsch vor Entkräftung und Krankheit zu Tode kamen, erschossen oder erschlagen wurden – so müssen wir uns auch 70 Jahre nach der Befreiung des KZ Dachau unermüdlich immer wieder in Erinnerung rufen, was damals in Europa, in Deutschland, hier in Dachau geschehen ist. Wenn wir von 6 Millionen ermordeten Juden sprechen, von 40.000 ermordeten Häftlingen im KZ Dachau, von tausenden von Toten auf dem Todesmarsch sprechen, so sollten wir uns vergegenwärtigen: jeder einzelne der Ermordeten war ein Mensch mit einer Geschichte wie wir, einem Leben, das gelebt hätte werden können, wie das unsere, mit einer Familie, die ihn liebte und die er liebte, wie wir unsere Familien lieben. Ausgelöschte Leben, vernichtet nur aufgrund einer Religion, einer politischen Haltung, einer Herkunft.

Wir können es uns kaum vorstellen, so wie wir hier zusammen sind, friedlich, gleichberechtigt, Menschen aus so vielen Ländern, so unterschiedlicher Religion und Herkunft. Es ist oft die Rede von Versöhnung. Ja, es gibt Versöhnung – aber nein, Versöhnung darf nicht vergessen heißen. „Nie wieder“, so lautet der Appell der Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau. „Wachsam sein“, das muss uns dabei bewusst bleiben. Ihnen, den Überlebenden, möchte ich als ein junger Oberbürgermeister dieser Stadt persönlich und aus tiefstem Herzen versichern: Die Stadt Dachau wird alles daransetzen, Ihren Appell und Ihren Auftrag in die Zukunft weiterzutragen.

 

 

 

 

 

 

Gedenkfeier zur Erinnerung an die Todesmärsche: „Wir dürfen den Rechtsradikalen nicht den öffentlichen Raum überlassen, da sonst die Demokratie Schaden nimmt!“

Für das Gedächtnisbuchprojekt war diese Veranstaltung von besonderer Bedeutung: Zu Abba Naor gibt es eine Biographie im Gedächtnisbuch. Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg, dessen Vorsitzender Romani Rose ist, hat im Jahr 2008 die Internationale Wanderausstellung des Gedächtnisbuchs gezeigt. Diese Ausstellung zeigt ein Porträt des österreichischen Roma-Angehörigen Karl Wacker Horvath, für den es auch ein Gedächtnisblatt gibt. Andreas Pflock, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Dokumentationszentrums, hat mit Jugendlichen Biographien für das Gedächtnisbuch erarbeitet, eine davon für den deutschen Sinto Karl Pasquali.

Wir freuen uns, dass wir die Reden von Romani Rose und die Begrüßung des Dachauer Oberbürgermeisters Florian Hartmann im Original dokumentieren dürfen. Sie finden Sie in den nachfolgenden Posts.

 

Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, erinnerte an die Ermordung von 500.000 Roma und Sinti, an die Fortführung der rassenideologischen Denkweise der Nationalsozialisten bis weit in die Nachkriegszeit. Er erinnerte auch an den Kampf der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma, sprach von Erfolgen auf dem Weg zur Gleichberechtigung, prangerte aber auch Missstände an: „Minderheiten wie Sinti und Roma, Juden oder Muslime müssen wieder einmal als Sündenböcke für ökonomische Fehlentwicklungen und soziale Verwerfungen herhalten. Rechte Parolen finden bis in die Mitte der Gesellschaft Widerhall.“

Rassismus und Populismus bedrohten nicht nur die Rechte von Minderheiten, sondern zielten auf das Herz der Demokratie, so Rose. „Jeder Brandanschlag auf ein Wohnheim für Asylsuchende und jeder Angriff auf einen Menschen anderer Hautfarbe ist ein Angriff auf unseren Rechtsstaat und das friedliche Zusammenleben in unserem Land. Wir dürfen den Rechtsradikalen nicht den öffentlichen Raum überlassen, da sonst die Demokratie Schaden nimmt.“

Rose rief Politik, Justiz und Gesellschaft dazu auf, rassistisches und menschenfeindliches Handel konsequent zu ächten und antirassistische Netzwerke zu unterstützen.

Sein Appell: „Die Errungenschaften der offenen Gesellschaft müssen wir gemeinsam verteidigen, für diese Werte müssen wir die junge Generation immer wieder neu gewinnen und begeistern.“

Im Anschluss an Romani Rose sprach der Überlebende des KZ Dachau, Abba Naor, der am 26. April 1945 als siebzehnjähriger auf den Todesmarsch geschickt wurde. Abba Naor hielt eine kurze Ansprache im Namen der anwesenden Zeitzeugen: „Wir brauchen uns nicht erinnern, weil wir nicht vergessen haben. Wir waren dabei.“ Seit 2006 ist Abba Naors Lebensgeschichte im Gedächtnisbuch nachzulesen. Zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers ist er mit zwei seiner acht Urenkel angereist.

Aus den Erinnerungen ehemaliger Häftlinge zitierten Schüler und Schülerinnen des Josef-Effner-Gymnasiums. Die Veranstaltung wurde musikalisch von der Familie Huber-Ewald und vom Chor „Valentin Polanšek“ aus Slowenien begleitet. Der Chor wurde von dem Überlebenden des KZ Dachau, Valentin Polanšek, gegründet und steht bis heute in der Tradition des slowenischen Chores im KZ Dachau.

 (Text und Fotos von Sabine Gerhardus)